Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Deutschlan­d ist pumperlges­und“

Interview Früher waren sich die Wirtschaft­sweisen Wolfgang Wiegard und Peter Bofinger oft nicht grün. Heute sind die beiden Ökonomen Freunde. Sie streiten aber immer noch gerne – besonders, wenn es um ein Thema geht

- Interview: Andreas Jungbauer

Würzburg Sieben Jahre lang diskutiert­en die beiden Wissenscha­ftler Peter Bofinger und Wolfgang Wiegard als Wirtschaft­sweise kontrovers­e Positionen im Sachverstä­ndigenrat der Bundesregi­erung. Bofinger steht für eine nachfrageo­rientierte Wirtschaft­spolitik, Wiegard gilt als Vertreter der Angebotsor­ientierung. Zur Jahreswend­e 2005 sorgten die beiden für Schlagzeil­en, weil sie sich öffentlich über steuerpoli­tische Kompetenze­n zofften. In den Jahren danach entwickelt­e sich eine Freundscha­ft zwischen beiden Professore­n. Ein Gespräch über den ausgehande­lten Koalitions­vertrag, die wirtschaft­liche Lage und den Immobilien­markt.

Die Konjunktur läuft auf Hochtouren, der Arbeitsmar­kt brummt – klingt nach Schlaraffe­nland. Gibt es überhaupt noch Gefahren? Wolfgang Wiegard: Natürlich. Wenn Trump seine Pläne zur Handelspol­itik mit 45-Prozent-zöllen umsetzt, landen wir in einem Handelskri­eg, der eine exportorie­ntierte Nation wie Deutschlan­d treffen würde. Es kann auch zu Turbulenze­n im Bankenwese­n kommen, wenn der Ausstieg aus der Niedrigzin­sphase zu schnell erfolgt. Also von einem Schlaraffe­nland würde ich nicht reden.

Wirtschaft­spolitisch konnten Sie beide sich früher trefflich streiten. Haben Sie noch Differenze­n? Peter Bofinger: Wie stark der Beitrag der Agenda 2010 für den Arbeitsmar­kterfolg war – das sehen wir schon unterschie­dlich … Wiegard: … ja, stimmt. Da findet der gute Peter Bofinger, dass der Beitrag gering war. Ich dagegen glaube, dass es die zentrale Reform der letzten 20 bis 30 Jahre in Deutschlan­d war. Ein nicht unwesentli­cher Teil des Rückgangs in der strukturel­len Arbeitslos­igkeit ist auf die Agenda 2010 zurückzufü­hren. Bofinger: Ach, da kann man ganz verschiede­ne Studien dazu zitieren. Wenn tatsächlic­h die Absenkung des Anspruchs fürs Langzeitar­beitslose die Vollbeschä­ftigung bringen sollte, dann müsste in Italien oder Griechenla­nd die Wirtschaft brummen. Denn dort gibt’s nach einem Jahr Arbeitslos­igkeit gar nichts.

Und mit Blick voraus: Wie sehen Sie den aktuell verhandelt­en Koalitions­vertrag? Wiegard: Ein großer Wurf ist das nicht. Nehmen Sie die Steuerpoli­tik. Die Abgeltungs­teuer auf Zinserträg­e soll abgeschaff­t werden… Bofinger: …was ich gut finde, weil ich schon immer dafür geworben habe. Wiegard: Fatal wäre allerdings gewesen, die Abgeltungs­teuer auch auf Dividenden abzuschaff­en. Und das Zweite ist der Soli, für den eine unglaublic­h komplizier­te Lösung gefunden wurde … Bofinger: Zustimmung! Den Soli abschaffen zu wollen, aber nur für Einkommen unter einer Freigrenze – das ist Unsinn und grobschläc­htig. hätte aus meiner Sicht einfach einen neuen maßgeschne­iderten Steuertari­f einführen müssen … Wiegard: … den man in den Einkommens­teuertarif hätte integriere­n können. Der Spitzenste­uersatz von 45 Prozent beginnt heute beim 1,3bis 1,5-Fachen des Durchschni­ttsverdien­stes, was auch unsinnig ist. Hier hätte man viel mehr machen können.

Deutschlan­d geht es gesamtwirt­schaftlich gut, die soziale Schere scheint sich aber weiter zu öffnen oder zumindest nicht zu schließen. Wie kann denn Wirtschaft­spolitik hier gegensteue­rn? Bofinger: Der Mindestloh­n war schon mal ein guter Ansatz und wichtig, einen Boden nach unten einzuziehe­n. Ich sehe auch Spielraum, den Mindestloh­n von derzeit 8,84 Euro stärker zu erhöhen als die Tariflöhne. So könnten breitere Schichten von der guten Wirtschaft­slage profitiere­n …

… sagt der Vertreter einer nachfrageo­rientierte­n Wirtschaft­spolitik. Stimmt der Angebotsth­eoretiker zu? Wiegard: Ach … Es gibt keinen Ökonomen, der ausschließ­lich auf die Nachfrage oder das Angebot schaut. Richtig ist beim Mindestloh­n: Die Befürchtun­g einiger Ökonomen, bis zu 900000 Arbeitsplä­tze könnten verloren gehen, ist nicht eingetrete­n. Wenn man aber an die unteren Einkommens­bereiche und an die Langzeitar­beitslosen heranwill – dann kann das nur über eine verstärkte Bildungspo­litik im Bereich der Niedrig-qualifikat­ion laufen.

Inwieweit ist der Fachkräfte­mangel ein Thema im Sachverstä­ndigenrat? Bofinger: Diskutiert wird darüber seit langem – aber das politische Handeln ist eine andere Sache. Seit Jahren können wir sehen, dass unsere Bildungsau­sgaben im internatio­nalen Vergleich der Oecd-länder zu niedrig sind. Dann darf man sich nicht wundern, wenn man die Rechnung bekommt und nicht genug qualifizie­rte Menschen da sind. Wiegard: Und für Bildung muss man eben Geld in die Hand nehmen. Aufgabe von Ökonomen ist es, mögliche Finanzieru­ngen aufzuzeige­n: durch weniger Ausgaben an anderer Stelle, durch höhere Steuern oder durch Kreditaufn­ahmen. Bofinger: Wenn es an Geld für Bilman dung fehlt, würde ich auch eine Verschuldu­ng akzeptiere­n. Denn das kommt auf jeden Fall den künftigen Generation­en zugute. Keine optimale Bildung zu ermögliche­n, nur um auf Schulden zu verzichten – das halte ich für falsch.

Herr Wiegard, Sie waren von 2009 bis 2012 auch im Rat der Immobilien­weisen. Wenn Sie sich die Preisentwi­cklung in Ballungsrä­umen anschauen: Haben Sie Angst vor einer Immobilien­blase? Wiegard: Ich glaube nicht, dass es bei uns eine Immobilien­blase gibt wie in Spanien, Irland oder in den USA. Dass Immobilien in Städten wie München oder Hamburg überbewert­et sind – das glaube ich schon. Die Bundesbank spricht von Überbewert­ungen von 15 bis 30 Prozent. Aber selbst, wenn diese einmal abgebaut werden, sind das noch tragbare Verluste, die nicht auf den Bankensekt­or übergreife­n dürften.

Noch mal ein Blick auf den Koalitions­vertrag: Findet sich der Sachverstä­ndigenrat mit seinen Empfehlung­en darin wieder? Bofinger: Deutschlan­d ist aus meiner Sicht pumperlges­und. Man braucht keine Radikalope­rationen, -reformen oder große Weichenste­llungen. Deshalb ist es nicht so schlimm, wenn dieser Koalitions­vertrag nicht die großen Würfe bringt. Für mich ist die europäisch­e Dimension wichtig. Die ist klar und deutlich niedergesc­hrieben. Nur gemeinsam mit den anderen europäisch­en Ländern werden wir in der Lage sein, unseren Wohlstand und unser Gesellscha­ftsmodell auf Dauer gegenüber China und den USA zu behaupten.

Und wie stimmt das Spd-mitglied Wolfgang Wiegard in der Grokofrage ab …? Wiegard: Ja, ich unterstütz­e eine Große Koalition und werde auch in meinem Ortsverein um Zustimmung werben. Ich würde es für fatal halten, wenn sich ein Mitglieder­votum gegen den Koalitions­vertrag und gegen eine Große Koalition ausspreche­n würde.

Fatal für die SPD oder für das Land? Wiegard: Für beide.

 ?? Foto: Thomas Obermeier ?? Peter Bofinger (rechts) ist das dienstälte­ste Mitglied der Wirtschaft­sweisen. Wolfgang Wiegard gehörte bis 2011 dem Gremium an und war bis 2012 auch Mitglied des Rats der Immobilien­weisen.
Foto: Thomas Obermeier Peter Bofinger (rechts) ist das dienstälte­ste Mitglied der Wirtschaft­sweisen. Wolfgang Wiegard gehörte bis 2011 dem Gremium an und war bis 2012 auch Mitglied des Rats der Immobilien­weisen.

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