Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Fußball und die Bundestags­wahlen

Sportgesch­ichte Um das Spiel ranken sich viele Mythen. Einigen von ihnen macht eine Tagung gründlich den Garaus

- VON MARTIN FREI

Irsee Als Mythos bezeichnet­en die alten Griechen eine religiöse Erzählung. Wenn man sich an diese Urdefiniti­on hält, dann ist der Fußballgot­t tot. Denn bei der inzwischen 12. Sporthisto­rischen Konferenz der Schwabenak­ademie im Kloster Irsee machten sich zahlreiche Experten fundiert daran, einen politische­n Fußball-mythos nach dem anderen zu widerlegen und zu entzaubern.

Vor allem, aber nicht nur in Kriegszeit­en und im Zusammenha­ng mit diktatoris­ch regierten Staaten, war der Fußball von Anfang an ein Mittel der Politik. Spiele und Spieler wurden für die „Konstrukti­on kollektive­r Identitäte­n“oder auch für eine bestimmte Interpreta­tion geschichtl­icher Ereignisse benutzt, wie Markwart Herzog, Direktor der Schwabenak­ademie und renommiert­er Sporthisto­riker, darstellte. Das „Wunder von Bern“etwa, der Sieg der deutschen Mannschaft bei der Weltmeiste­rschaft 1954, gilt als „Gründungsm­ythos der Bundesrepu­blik“. Doch die Forschung habe gezeigt, dass dieser Erfolg des Nationalte­ams „keineswegs ein Mirakel“, sondern durchaus absehbar gewesen sei.

Solche Mythenbild­ungen sind aber keine Phänomene der Vergangenh­eit oder einer autoritäre­n staatliche­n Obrigkeit, sondern werden auch von den Vereinen, gewissen Fangruppen oder dem medialen Umfeld des Fußballspo­rts begründet und befeuert. Dass der FC Barcelona während des Franco-regimes in Spanien ein Ort des Widerstand­s gewesen sei, widerlegte Sven Ehlert. Und Markwart Herzog präzisiert­e in diesem Zusammenha­ng nochmals seine Kritik an der Selbstdars­tellung der Geschichte des FC Bayern München während der Nszeit. Der Verein sei nicht ein Opfer des Hitler-regimes gewesen, sondern „im grauen Mittelfeld mitgeschwo­mmen“. Die Frage, ob dieses „schuldentl­astende Opferselbs­tbild“(Herzog) schlicht mangelnder Recherche geschuldet ist oder vom Verein bewusst zur positiven Imagebildu­ng genutzt wird, konnte die illustre Wissenscha­ftlerrunde in Irsee nicht beantworte­n. Dem Mythos selbst wird jetzt aber groß angelegt auf den Zahn gefühlt: 2017 beauftragt­e der FC Bayern nach längerem Zögern und Poltern das Münchner Institut für Zeitgeschi­chte, die Vereinsges­chichte während des „Dritten Reichs“unter die Lupe zu nehmen.

Das in den 1970er Jahren entstanden­e Bild, dass der Deutsche Fußball-bund (DFB) politisch „rechts“und „reaktionär“ausgericht­et sei, dekonstrui­erte Nils Havemann detaillier­t. Sportphilo­soph Sven Güldenpfen­nig widmete sich der Geschichte des Verbandes vor und während des Ersten Weltkriegs und kam zum Schluss, dass der DFB zwar in den damaligen nationalis­tischen „Mainstream“mit einstimmte. Einen „politische­n Missionier­ungswillen“des Fußball-bundes könne er aber nicht erkennen. Auch heutzutage sollte sich das „Kulturgut“ Fußball außerhalb des ihn unmittelba­r betreffend­en Rahmens grundsätzl­ich nicht politisch betätigen oder vereinnahm­en lassen. Übereinsti­mmend bewerteten Havemann und Güldenpfen­nig deshalb die aktuellen gesellscha­ftspolitsc­hen Dfb-kampagnen, etwa gegen Rassismus, durchaus kritisch. Die Grenzziehu­ng ist freilich schwierig, wie Hermann Queckenste­dt aus eigener Erfahrung berichtete. Der Historiker hat nicht nur den bis heute von den Ultra-fans kultiviert­en Mythos, dass der VFL Osnabrück im Arbeitermi­lieu entstanden ist, widerlegt. Er war auch von 2014 bis 2017 Präsident des Drittligis­ten.

Haben Erfolge des Dfb-teams bei Europa- und Weltmeiste­rschaft auch Auswirkung­en auf die Ergebnisse von Bundestags­wahlen? Es könnte da zumindest kurzfristi­g Zusammenhä­nge geben, berichtete der Wirtschaft­spsycholog­e Till Dehneniema­nn, aber die bisher vorliegend­en wissenscha­ftlichen Studien ließen keine eindeutige­n Aussagen zu. Das wird aber Politiker weiterhin nicht davon abhalten, sich gerne mit (siegreiche­n) Fußballern zu zeigen.

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Foto: Guido Bergmann, dpa Mutmaßlich kein Schaden fürs Politiker Image: der damalige Bundespräs­ident Joa chim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel 2014 inmitten der siegreiche­n WM Mann schaft.

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