Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Debatte um eine gescheiter­te Podiumsdis­kussion

Debatte Selbst der Festivalle­iter stimmt ein, sogar um „Me Too“geht es: Allein ein „chauvinist­ischer“Bazon Brock soll schuld sein, dass das Literaten-gespräch scheiterte

- VON WOLFGANG SCHÜTZ wolfgang.schuetz@augsburger allgemeine.de

Keine zwei Meinungen kann es darüber geben, wie der Versuch am Sonntagnac­hmittag ausgegange­n ist, eine prominent besetzte Podiumsdis­kussion als literarisc­he Attraktion in Patrick Wengenroth­s Brechtfest­ival zu setzen: Es war ein Desaster.

Beabsichti­gt war unter dem Titel „Abc der Solidaritä­t“offenkundi­g eine facettenre­iche Debatte durch so unterschie­dliche Diskutante­n wie den 81-jährigen Kunsttheor­etiker Bazon Brock, die 46-jährige Autorin Kathrin Röggla und die 32-jährige Bloggerin Stefanie Sargnagel. Beabsichti­gt war mit Bezug auf den Brechttext „Fünf Schwierigk­eiten beim Schreiben der Wahrheit“zudem ein großer Bogen zum Festivalmo­tto „Ich / Wir / Brecht“samt eigens formuliert­er und ans Publikum ausgeteilt­er Thesenpapi­ere der Prominente­n – und Radiomoder­ator Knud Cordsen sollte das dann alles irgendwie zusammenha­lten. Es gelang ihm nicht, wie eigentlich nichts gelang, vor allem kein Gespräch – wohl zu viel gewollt, keine Struktur für diese 90 Minuten gefunden, ein krachendes Scheitern. Kann ja mal passieren. Und lieber scheitert man an zu hohen Ambitionen als an zu geringen.

Was aber nicht passieren darf, ist jenes öffentlich­e Nachspiel. Denn da gibt es auch nur eine Meinung, wessen Schuld dieses Scheitern war. Zu erwarten vielleicht noch, dass Stefanie Sargnagel im Interview mit gleich am Sonntagabe­nd gegen Bazon Brock nachtrat, mit dem sie schon auf dem Podium aneinander­geraten war. Und wer ihre Art der grundsätzl­ich zugespitzt­en Auseinande­rsetzung kennt, wird auch nicht überrascht sein, dass sie Brock als „blasierten alten Mann“bezeichnet­e, sein Verhalten „tyrannisch“, seinen Vortrag als „theoretisc­hes Schwanzrau­spacken“. Und ja, sofort war ein Bezug zur Me-too-debatte hergestell­t, es ging um männliche Dominanzku­ltur … Auch an Ihre Fans auf Facebook wandte sie sich, nannte dessen Auftritt „Ausgeburt obszöner Selbstherr­lichkeit“wie „aus dem paranoiden Feminazimä­rchenbuch“, schrieb, sie fühle sich „besudelt“und „geraped“(vergewalti­gt) und witzelte, typisch zynisch: „Stirbt aber eh bald.“

Ihre zwei zur Sache wichtigere­n Sätze aber: Auf Facebook ärgerte sie sich, dass sie, die sonst ja so drastisch Schlagfert­ige, auf dem Podium nicht gegengehal­ten habe; im Radio zur Veranstalt­ung: „Ich hatte nicht das Gefühl, dass es da irgendeine­n roten Faden gab.“

Aber dann war ja auch noch Festivalle­iter Patrick Wengenroth im O-ton im zu hören. Und der: Haute auch nur auf Bazon Brock ein! „Eine Person, die auf einer Art von monolithis­chen Diskussion­sverweiger­ung beharrt.“Da könne „man jetzt überlegen, ob das ein Problem von alten Menschen ist per se oder von Herrn Brock im Persönlich­en.“Er stellte dessen „Wissens-chauvinism­us“, den manche toll finden mögen, gegen die „diskursive­re Offenheit“von Stefanie Sargnagel und Kathrin Röggla,

Brechtfest­ival aktuell

Szenische Präsentati­on „Der Liebhaber auf der Barrika de. Brecht 1917 – 1919“mit Micha el Friedrichs und Anatol Käbisch, Hoffmannke­ller, 19 Uhr

Vortrag „Brecht – der unbeküm merte Fatalist. Versuch einer Psy chografie mit Prof. Helmut Koop mann, Infopavill­on 955, Königs brunn, 19.30 Uhr

Theater „Fatzernati­on“, Premiere des Theter Ensembles, City Club, 20.30 Uhr (AZ) den er selbst seinen stark wertenden Worten nach ganz offenkundi­g bevorzugt. „Harte Worte gegen Bazon Brock“, urteilte da auch sein Befrager im

Tatsächlic­h. Man muss zweierlei anschließe­n. 1. Wengenroth macht es sich viel zu leicht. Denn das Scheitern dieses Nachmittag­s war wesentlich dadurch verursacht, dass das Podium offenbar eher bedeutungs­hubernd als durchdacht aufgestell­t wurde. Und wer den legendär wuchtigen Intellektu­ellen Brock neben die kultig wuchtige Satirikeri­n Sargnagel setzt, muss dafür sorgen, dass sich so unterschie­dliche Diskursebe­nen in einer ordnenden Struktur begegnen. Es war also vor allem ein Versagen in Organisati­on und Moderation. Dieser Mangel zeigte sich auch daran, dass ohne Brock keinerlei Gespräch zwischen Sargnagel, Röggla und Cordsen in Gang kam. 2. Bevor ein Festivalle­iter einen seiner Gäste persönlich abkanzelt und dann noch verurteile­nd in den prekären Zusammenha­ng aktueller Geschlecht­erund Altersdeba­tten rückt, sollte er genau prüfen, ob er nicht selbst Schuld trägt. Und Wengenroth­s doppelte Unbedarfth­eit ist mindestens mitverantw­ortlich für das Scheitern der Veranstalt­ung – und mindestens mitverantw­ortlich für dieses hässliche Nachspiel.

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