Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der unsichtbare SEK Einsatz
Polizei Im TV läuft der Tatort, in Bobingen droht ein Eifersuchtsdrama zu eskalieren. Da greift ein Spezialkommando ein
Bobingen Sonntagabend in Bobingen. Im Fernsehen läuft der Tatort: „Waldlust“. Draußen läuft ein echter Polizeieinsatz: „SEK live“. Die erste Szene ist kinoreif. Zwei Vwbusse mit dunklen Scheiben und drei SUV preschen in den Hof eines Wohnhauses an der Hochstraße. Männer in Tarnanzügen springen raus. Eine Schiebetüre öffnet sich und gibt den Blick frei auf ein fahrbares Waffenarsenal. Es herrscht Gefahrenlage in Bobingen – nur ein paar Menschen bekommen es mit.
Diese Zeugen sind Bewohner des Anwesens. Die Familie kommt aus dem Haus und wird von den Männern des Spezialeinsatzkommandos (SEK) ganz schnell wieder in ihre vier Wände zurückgetrieben. Nein, sie könnten nichts sagen, bräuchten nur mal kurz den Hof, es gebe da ein Problem in der Nähe. Das Problem ist, dass keiner weiß, welche Gefahr eigentlich besteht. Die Polizei weiß nur von einem Mann, der außer sich ist, vielleicht verzweifelt, und der eine Schusswaffe bei sich haben soll.
Seine Lebensgefährtin hatte gegen 18 Uhr die Inspektion in Bobingen über einen Streit informiert. Es ging um Eifersucht, der 27-Jährige habe mit Selbstmord gedroht – und sie weiß, dass er eine Handfeuerwaffe besitze. Jetzt sei er alleine in der Wohnung. Polizeichef Artur Dachs entscheidet, deeskalierend zu reagieren. Er und seine Kollegen wollen verhindern, dass sich der Mann vor der Polizei verschanzt oder gar sich oder anderen Gewalt antut.
Mit diskreter Observation des Wohnhauses und Erkundung der Umgebung beginnt der Einsatz. Ziel: Der Mann soll nicht unbemerkt das Haus verlassen, ehe es zu einem Zugriff kommen kann. Gegen 20 Uhr trifft der Sek-konvoi aus München ein. Im Innenhof ziehen zehn Männer Sturmhauben über den Kopf, schnallen sich Schutzwesten um. Zwei Maschinengewehre werden einsatzbereit gemacht. Munitionsmagazine rasten ein. Die anderen Männer ziehen ihre Handschuhe fest, hören der Einweisung zu. Dann verschwinden sie teils zu Fuß, teils in einem Wagen – und sind von nun an unsichtbar.
Die Straße des Geschehens im Norden Bobingens ist keine kleine. Hier gibt es immer etwas Durchgangsverkehr. Auch abends. Doch nur drei Streifenwagen sperren die Zufahrt in weitem Abstand ab. Sie wollen den Verkehr offenbar verdünnen, aber nicht ganz abschneiden. Alles soll möglichst normal wirken. Freundlich empfehlen eine Polizistin und ihre Kollegen Autofahrern einen kleinen Umweg: „Das geht hier jetzt gerade leider nicht. Schönen Abend noch.“
Aus Seitenstraßen biegt immer wieder mal ein Auto ein und fährt vorbei. Die Fahrer ahnen nicht, welchen Schauplatz sie durchqueren und dass Spezialeinsatzkräfte alles im Blick haben. Nur wo stecken sie? Die Szene wirkt menschenleer. Und es wird immer leiser. Eine leere Straße im Licht der Laternen, parkende Autos säumen den Rand. Eine Stunde vergeht. Nichts tut sich. Jetzt ist das kein Hollywood mehr. Keine Spannung liegt in der Luft, nur Kälte. Der Tv-tatort steuert derweil seinem Finale zu. Nichts rührt sich auf der Straße. Ist alles schon vorbei? Fast.
Es ist 21.40 Uhr. Eine Haustüre in Bobingens Norden öffnet sich. Ein Mann kommt raus. Scharfe Worte hallen von der Hauswand wieder. Und schon liegt der Mann am Boden, Hände und Füße von sich gestreckt. Zwei Männer in dunklen Tarnanzügen liegen auf ihm. Ein Ruf klingt wie „Waffe“. Es geht um die Pistole, sichergestellt und aus seiner Reichweite gebracht.
Kurz darauf Lagebesprechung an den Einsatzwagen. Erleichterung ist aus dem Stimmengewirr zu entnehmen. Alles habe geklappt. Niemand wurde gefährdet, die Gefahr ist gebannt. Später wird bekannt: Die Handfeuerwaffe war eine Schreckschusspistole. Der Mann war in einem psychischen Ausnahmezustand. Mit einem Trick war er vors Haus gelockt worden. Für Presse und Öffentlichkeit gibt es noch in der Nacht einen Polizeibericht. 15 Zeilen knapp, auf Uhrzeiten und engsten Sachverhalt beschränkt. Am Ende der Hinweis: Der Mann wurde in eine Klinik eingewiesen.