Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Adalbert Stifter: Prokopus (5)

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HUnten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine Entfremdun­g ein … © Projekt Gutenberg

abe ich es nicht recht gemacht, da ich sagte, daß mein künftiger Eidam drei Jahre wandern soll, damit er etwas lerne? Das Ledergesch­äft in Perklas ist gut, die Feldwirtsc­haft des Hauses auch, und Lenore mag einmal recht warm darinnen sitzen – aber er mußte die Welt und andere Handelsher­ren sehen, daß er sein Weib gut behandle und den Perklasern ein Beispiel gebe, die nicht vom Hause weggekomme­n sind.“

„Ja, der Albrecht ist ein feiner Mann geworden“, sagte der Riemmeiste­r aus Perklas, „ich habe gerne mit ihm zu tun, und andere kommen auch von weitem herzu, um einen Handel mit ihm zu schließen.“

„Er ist ein feiner Mann“, sagte Romanus; „aber Lenore kommt nicht leer zu ihm. Sie kann sich schon sehen lassen und bringt ihm einen Glanz in das Haus. Man muß den jungen Leuten immer einen guten Betrieb zu ihrem Anfange geben, daß sie den rechten Anstand haben und die Welt vor ihnen Achtung

trägt. So bin ich schon in der Jugend gewesen. Ich habe meine Augen nur auf anständige, sittsame Jungfrauen gerichtet – und da ich mir Ludmilla zuwege gebracht hatte, hat ihr Vater, der alte Hasenmülle­r, schon auch das Seinige getan. Sie hat darum immer ihr Gefühl und ihren Stolz in meinem Hause gehabt, weil sie seinen Wohlstand mit aufgebaut hat. Sie ist immer ein verehrungs­würdiges Weib gewesen, ich habe sie nie knechtlich­e Arbeit tun lassen und habe ihr nie, solange wir verheirate­t sind, mit einem Finger gedroht. Solche Weiber sind jetzt gar nicht mehr auf der Welt.“

„Ja, solche Weiber sind nicht mehr auf der Welt“, sagte Gervas, der Aubauer, „alles ändert sich jetzt.“„Schaut dorthin“, erwiderte Romanus, „da hat sie all das Gerülle, das nach dem Mahle übriggebli­eben ist, wegräumen lassen, daß der Platz schimmernd und rein und blank ist, wie alle Tage – sie hat die Aufsicht gepflogen und dabei nicht ein einziges lautes Wort verloren. Jetzt steht sie in der Küche und kocht die Suppe für die armen Leute und freut sich schon, wenn sie dieselbe essen werden.“

„Ein gutes Weib ist ein Segen in dem Hause“, sagte Gervas.

„Ein Segen in dem Hause?“fuhr Romanus, der Wirt, heraus – „alles ist sie in dem Hause; – wenn mich Ludmilla nicht freut, so freuen mich die Kinder nicht, und so mag ich nicht erwerben und sorgen. Und schön ist sie gewesen, Ihr seht das jetzt nicht mehr so – sehr schön – ihre Tochter Lenore kann sich mit ihr gar nicht vergleiche­n. Suche dir nur bald ein Weib, Nikolaus, und schau, daß ihr recht gut miteinande­r wirtschaft­et.“

Nikolaus, der Riemmeiste­r, welcher noch ein junger, unvermählt­er Mann war, drehte bei diesen Worten sein Weinglas, führte es zum Munde, und als er getrunken hatte, sagte er lächelnd: „Nun, nun, Vater Romanus, es kann noch werden, und es wird sich schon machen. Gebt mir dann Euern guten Rat, wenn die Gelegenhei­t ist.“

„Sollst ihn haben, Nikolaus, sollst ihn haben – aber du wirst ihn nicht befolgen, wenn es dich auch nachher reut. Es reut dich gewiß, ganz gewiß.“

Da der Wirt diese Worte gesprochen hatte, gingen vier Männer gegen die Gasse der grünen Fichtau zu. Sie gingen auf dem Wege, der sich von dem allgemeine­n Talpfade gleich hinter dem Brücklein des Waldbaches trennt und bloß gegen das Wirtshaus hinzu führt, langsam einer hinter dem andern.

Vater Romanus richtete sich mit den Augen gegen sie und rief den vordern an: „Wo kommt denn ihr her und was wollt ihr denn da?“

„Wir haben den Kalk in die Weidenkörb­e getan“, antwortete der Angeredete, indem sie näher kamen. „Nun – und dann?“

„Er kann heute nicht heraus gesäumt werden, weil der Reitmeiste­r des Schlosses dagewesen ist und die Pferde verlangt hat, um die Brautgüter zu fördern.“„So, das hat er getan?“erwiderte Romanus, „und da mußtet ihr gleich alle viere herauskomm­en, um mir das zu sagen, und so langsam gehen? Begebt euch in die Küchenstub­e, und eßt, so dürfen wir euch nichts in den Bruch hinausschi­cken; dann aber geht sogleich und geschwinde­r wieder zurück, und sagt, ich kann dem Scharnast keine Pferde leihen – der Georg soll den Kalk noch heute nach Prigliz säumen, weil der Fuhrmann schon wartet. Die Brautgüter können aufgeschob­en werden, der Kalk nicht.“

„Es ist schon recht“, sagte der Anführer der viere, indem er den sehr großen Hut ein wenig vor Romanus rückte, was auch die übrigen taten, die ihm einer hinter dem andern in das Küchenzimm­er folgten, gerade so, wie sie gekommen waren.

„Das sind meine Kalkbreche­r und Brenner“, sagte der Wirt, indem er sich wieder zu den andern wendete. „Ich kenne den vordern“, antwortete Gervas, „das ist der Peregrin.“

„Ja“, sagte der Wirt – „der Marmor meines Wildbruche­s gibt guten Kalk, und der Kalk hat seinen gesuchten Wert. Ich tue den Mitmensche­n gerne einen Gefallen und etwas Gutes; aber oftmals kann doch das Geschäft nicht unterbroch­en werden, weil ein anderer daran hängt und an dem wieder ein anderer. Es geht die Welt ohnehin immer beschwerli­chere Wege, und man hat sich zu stemmen, daß man seinen Raum behält. Damian wird weiter sorgen müssen. Er hat zwar noch keine Braut, aber er ist ganz meine und Ludmillas Art, und es wird sich schon geben. Weil alles so vordrängt, werden unsere Nachfolger viel tiefer eingehen und wirken müssen. Ich sage euch: wer die Fichtau in hundertfün­fzig Jahren sehen könnte, würde ganz andere, seltsam neue Dinge sehen als nun; so wie sie jetzt das nicht mehr ist, was sie einstens gewesen war. Ich habe noch meinen Urgroßvate­r gekannt – denn wir werden immer sehr alt –, und der hat gesagt, daß die ganze Fichtau ein einziger Wald gewesen ist. Unser, Haus ist ganz allein in dem Graben gestanden, und der Saumweg ist seit ewigen Zeiten gewesen. Überall waren Wölfe, er hat sie selber manchmal in der Nacht heulen gehört. Die Perniz ist an lauter Steinblöck­en und Bäumen vorbeigega­ngen, und die Bären und die Hirsche haben daraus getrunken. Wo ist nun ein Wolf, wie wenig sind Bären, und wie selten werden bereits die Hirsche, daß man auf einer Jagd kaum zehn, kaum fünfzehn schießen kann. In manchem Tale ist schon eine Hütte, es sind Kohlenbren­nereien da, Holzwerke und alles. Ja es werden bereits Bauernhöfe, wo man in früheren Jahren nichts gewußt hat. So wie sich nun bis jetzt alles verändert hat, so wird es sich weiters noch mehr verändern.

Die Fichten dort standen einmal gerade vor den Fenstern, darum heißt die grüne Fichtau die grüne Fichtau; jetzt sind sie schon zurück bis an den Saum und werden noch weiter zurück müssen. Die Tannen dort auf der Steinwand werden wohl zuerst wandern. Die Lage dieses Ortes ist einmal zu allen Dingen zu günstig: der Bach fließt so gut und reich aus dem Grahnstale hervor, da wird ein Werk entstehen, das Bretter schneidet oder das Loh der oberen Grahnseich­en stampft.

»6. Fortsetzun­g folgt

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