Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Eine Frau erlebt den Psychoterror von Betrügern
Kriminalität Ein Anrufer gibt sich als Polizist aus. Er hält eine 81-jährige Bobingerin stundenlang am Telefon, versetzt sie in panische Angst und nimmt ihr über 70 000 Euro ab. Ein Prozess zeigt, wie die Täter ihre Opfer fernsteuern
Bobingen Die drei Männer kommen aus dem Ruhrgebiet. Sie tragen Nachnamen, die man dort kennt, vor allem bei der Polizei. Es sind die Namen zweier libanesischer Clans, die regelmäßig durch Straftaten auffallen. Ermittler sprechen von kriminellen Netzwerken, denen mehrere tausend Personen angehören sollen. In Augsburg sind die drei Männer vor dem Amtsgericht angeklagt. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sind sie Teil einer Bande, die ältere Menschen um ihr Vermögen bringt. Anna F.*, 81, ist die wichtigste Zeugin. Die Frau aus Bobingen war tagelang dem Psychoterror der Kriminellen ausgesetzt. Sie verlor rund 75000 Euro, ein großer Teil ihres Ersparten. Aber sie half der Polizei auch, die drei mutmaßlichen Täter zu fassen.
Anna F. hat früher als Lehrerin gearbeitet. Sie ist krank, geht an Krücken, benötigt einen Katheter. Sie lebt in einer betreuten Wohnanlage. Dort klingelt im August vorigen Jahres ihr Telefon. Ein „Herr Neumann“meldet sich. Er gibt vor, Kriminalbeamter zu sein. Er sagt, er ermittle gegen eine Bande, die Senioren betrüge. Die Ermittlungen seien geheim, sie dürfe mit niemandem darüber reden. Er erzählt, dass man in Bobingen eine Tasche mit Einbruchswerkzeug und einer Pistole gefunden habe. In der Tasche sei auch ein Zettel mit ihrer Adresse gewesen. Der angebliche Beamte fragt sie aus. Er will wissen, ob sie Wertsachen oder Geld besitzt.
Mit diesem Telefonat beginnt der Psychoterror. Die Kriminellen lassen der Rentnerin von da an keine Ruhe mehr. Sie bombardieren sie mit Anrufen, halten sie teils stundenlang am Telefon. Sie bringen die Frau dazu, Geld abzuheben. Beim ersten Mal sind es rund 38 000 Euro. Der „Herr Neumann“redet Anna F. ein, dass auch die Bank mit den Kriminellen zusammen arbeite. So verhindert er, dass sie bei der Bank etwas erzählt. An einem Abend fordert er sie auf, das Geld in eine Tüte zu packen und aus dem Fenster zu werfen. Er setzt sie unter Stress, sagt immer wieder „schnell, schnell“. Anna F. befolgt wie ferngesteuert seine Anweisung. In den Tagen darauf gelingt es den Kriminellen noch einmal, Anna F. so weit zu bringen. Sie wirft wieder Geld aus dem Fenster. Sie war wieder bei einer Bank und hat eine große Summe abgeho- Dieses Mal sagt der Anrufer, es laufe gerade ein Überfall auf ihre Wohnung. Sie müsse das Geld rauswerfen und sofort alle Türen und Fenster verriegeln. Die Seniorin hat panische Angst.
Anna F. sagt: „Ich lebe allein im Betreuten Wohnen, ich habe keinen Menschen, an den ich mich wenden kann.“Als ein echter Polizist in Uniform in diesen Tagen in das Haus kommt und die Bewohner befragt, ob sie seltsame Anrufe erhalten oder Geld abgegeben hätten, erzählt Anna F. dem Beamten nichts. Sie glaubt immer noch, dass sie die streng geheimen Ermittlungen, von denen man ihr am Telefon erzählt hat, sonst gefährden würde. Als dann aber auch ein Brief von der Augsburger Kripo bei ihr ankommt, beginnt sie zu zweifeln. Sie nutzt einen Termin bei einer Ärztin, um von dort aus die Polizei anzurufen. Sie ist so verunsichert, dass sie sich das von zu Hause aus nicht traut.
Als die echte Kriminalpolizei so von dem Fall erfährt, stellen die Ermittler zusammen mit Anna F. den Kriminellen eine Falle. Die Seniorin geht zum Schein auf die Forderung nach weiterem Geld ein. Sie beben. Symbolfoto: Marcus Merk hauptet, erneut 30 000 Euro abgehoben zu haben. Die Polizei hört dann mit, als der falsche Polizist am Telefon ankündigt, dass man das Geld abholen wird. Die Anrufe kommen von einem Anschluss in der Türkei. Immer wieder führt die Spur in solchen Fällen in die Türkei. Dort gibt es sogar Callcenter, die sich auf solche kriminellen Geschäfte spezialisiert haben. Allerdings sei die Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden schwierig, berichten Ermittler. Es gelinge nicht, den Tätern und den vermeintlichen Hintermännern dort das Handwerk zu legen.
Der Anrufer hält Anna F. an diesem Tag rund sieben Stunden lang fast permanent am Telefon. Zwischendurch übernimmt auch eine Frau, die sich als Psychologin ausgibt. Anna F. sagt irgendwann, sie halte es nicht mehr aus. Sie legt auf. Doch sie wird sofort wieder angerufen. Es zieht sich bis nach Mitternacht hin. Zu einer Geldübergabe kommt es dann aber nicht.
Warum die Übergabe scheitert, bleibt unklar. Drei Männer geraten an jenem Abend ins Visier der Polizei. Sie sind mit einem Mietwagen aus dem Ruhrgebiet bis nach Bobingen gefahren. Die Verdächtigen werden observiert. Doch die Männer fahren offenbar unverrichteter Dinge wieder weg. Sie werden kurz darauf in Augsburg festgenommen. Einer der Männer, ein 36-Jähriger, sitzt seither in Untersuchungshaft. Die Begleiter, sie sind beide 22 Jahre alt und seine Neffen, kommen nach mehreren Wochen Haft wieder frei.
Alle drei bestreiten, etwas von dem Betrug gewusst zu haben. Der 36-Jährige sagt vor Gericht aus, er
Was wussten die mutmaßlichen Mittäter?
habe lediglich einem Freund, der in der türkischen Stadt Izmir lebt, einen Gefallen tun wollen. Der Freund habe ihn gebeten, in Bobingen Geld abzuholen. Er habe gesagt, es gehe um Schulden eines Geschäftspartners. Als sie in Bobingen angekommen seien, sei ihm aber alles seltsam vorgekommen, sagt der 36-Jährige. Er habe deshalb entschieden, sofort wieder heimzufahren. Auch seine Neffen bestreiten, etwas von einem Betrug geahnt zu haben. Sie seien nur mitgefahren. Eine willkommene Abwechslung sei das gewesen, sagt Felix Dimpfl, einer der Verteidiger.
Sagen die Angeklagten die Wahrheit? Oder ist es nur eine gute Ausrede? Die Staatsanwaltschaft glaubt den Angeklagten bisher nicht. Sie ist überzeugt, dass sie wussten, weshalb sie nach Bobingen kommen. Zu welchem Urteil das Gericht kommt, wird sich erst in ein paar Wochen zeigen. Ein Urteil könnte nach derzeitigem Stand Mitte April fallen. Als Anna F. mit ihrer Aussage im Gerichtssaal fertig ist, hilft eine Kripobeamter ihr auf und reicht ihr die Krücken. Sie lächelt ihn an und sagt: „Es gibt zum Glück auch nette Polizisten.“