Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ewiges Rätsel um den toten Bischof

Geschichte Warum ließ sich Wolfhard von Roth als Toter in Bronze gießen? Die Wissenscha­ft sucht bis heute nach der Wahrheit hinter der 800 Jahre alten Grabplatte im Augsburger Dom

- VON STEFANIE SCHOENE

Wolfhard von Roth war anders. Die meisten seiner Bischofsko­llegen wollten nach ihrem Ableben in Stein oder Bronze verewigt der Nachwelt als 30-Jährige erhalten bleiben. Schließlic­h war auch Jesus jung gestorben, dieser Aura wollten sie im Tod nahe sein. Nicht so Wolfhard, der von 1288 bis 1302 in Augsburg als Bischof regierte. Er war der erste Kirchenman­n überhaupt, der sich nach seinem Tod auch als tatsächlic­h Toter in Bronze gießen ließ. Heute steht sein Grab samt der kunsthisto­risch einmaligen, 800 Jahre alten Platte und einem darunter befindlich­en Zinnkasten mit den Gebeinen des Geistliche­n in der Konrad-kapelle des Augsburger Doms.

Dass dies nicht der ursprüngli­che Bestattung­sort ist, wissen nur wenige. Doch darin immerhin sind sich die neun Wissenscha­ftler einig, die sich am Wochenende zum Studientag über dieses Grabmal und dessen Besitzer im Augsburger Staatsarch­iv austauscht­en. Seit etwa einem Jahr beschäftig­en sich Historiker, Kunstgesch­ichtler, Theologen sowie ein Chemiker und ein Ingenieur von den Universitä­ten Augsburg, München, Freiburg, Gotha und Berlin mit dem rätselhaft­en Kirchenman­n und seiner Grabplatte. War Wolfhard 1302 im Ostchor bestattet worden? Quellen von 1612 erwähnen, wie die gesamte Grablege von hier in gotischen Westchor geräumt wurde. Als sich 1782 Papst Pius ankündigte, wurde die schwere Bronzeplat­te an die Wand genagelt, damit der Kreuzaltar frei wurde. Vier Jahre darauf landete das Bronzewerk wieder auf der Tumba über dem im Boden versenkten Zinnkasten. 1970 ließ der damalige Bischof das gesamte Grab in die Konradkape­lle transporti­eren.

Das Gerücht, die erste Grabstätte habe sich außerhalb des romanische­n Doms befunden, hält sich. Doch geben das weder der Bau noch alte Quellen her. „Hätten wir den Gipsabdruc­k, der beim letzten Umzug 1970 offenbar von der Inschrift auf dem Zinnkasten gemacht wurde, wären wir sicher schlauer“, sagt die Münchener Historiker­in Dorothea Diemer. Aber schließlic­h habe Bischof Wolfhard von Roth großzügig gestiftet. „Warum sollte er – anders als sein Vorgänger und sein Nachfolger – nicht ebenfalls innerhalb der Kirche begraben worden sein?“, gibt sie zu bedenken.

Die Grabplatte selbst zählt zu den ungewöhnli­chsten Bilddarste­llungen des 14. Jahrhunder­ts. Die Augsburger Kunsthisto­rikerin und Projektlei­terin Rebecca Müller erklärt: „Es ist überrasche­nd, dass der Mann in der Forschung trotzdem noch so wenig präsent ist.“Mit Röntgenflu­oreszenzan­alytik rückte das Bayerische Landesamt für Denkmalpfl­ege der Bronzeplat­te zu Lei- be. Ob sie aus derselben Künstlerwe­rkstatt stammt wie eine Glocke aus St. Moritz, die dieselbe Signatur trägt – dafür konnte der Ingenieur Martin Mach kein Indiz liefern. Zu stark unterschie­den sich Zinn- und Bleigehalt­e beider Werke. Der Chemiker Björn Seewald vom Landesamt immerhin fand mit seinen Untersuchu­ngen heraus, dass die Platte wohl nicht massiv ist. Und aus Qualitätsu­nterschied­en zwischen Kopfund Fußende gewann er eine weitere Erkenntnis: Der Künstler goss das 1000 Grad heiße Material von der Mitra beginnend zu den Füßen.

Aber wer war dieser Bischof, um den solch ein Aufwand betrieben wird? Er stammte aus Oberroth in Schwaben, wurde schon 1256 ins Domkapitel berufen und 1288 zum

In der Stadt war er ein geachteter Mann

Bischof gewählt. Der Augsburger Historiker Thomas Krüger untersucht­e Siegel und Urkunden und stellt fest: „Ohne sich selbst zu inszeniere­n, hatte er wohl großen Rückhalt in der Stadt, war auch nicht einfach vom Papst eingesetzt. Er wurde als Schiedsric­hter sogar bei weltlichen Streitigke­iten gefragt.“Außerdem, darauf weist Mittelalte­rhistorike­r Mathias Kluge hin, erwähnen ihn reichsstäd­tische Rechtstext­e. „Das ist sehr ungeden wöhnlich, schließlic­h hatte die Bürgerscha­ft sich gerade vom Klerus emanzipier­t“, so der Augsburger. Hinzu kommt – dazu forscht Florian Dorn vom gleichen Lehrstuhl – die enge Verbindung zwischen Wolfhard und den seinerzeit noch verpönten religiösen Frauengeme­inschaften, hier vor allem zu den Damen in Leuthau bei Schwabmünc­hen. Für sie baute er 1262 das Augsburger Kloster St. Margareth und zahlte 25 Gulden für ihre Aufnahme in den Dominikane­rorden.

Gerhard Lutz vom Diözesanmu­seum Hildesheim ging einigen anderen „alten“Herrscherd­arstellung­en aus dem 13. Jahrhunder­t nach. Er vermutet einen Zusammenha­ng zwischen Dominikane­rinnen und der Darstellun­g des liegenden Bischofs mit eingefalle­nen Augen und Wangen, die Nase scharf und übergroß. Ähnlich gezeichnet liegt im Speyerer Dom auch der Zeitgenoss­e Wolfhards, Rudolf I. von Habsburg. Auch er hatte enge Verbindung­en zu Bettelorde­n. Ebenso wie Papst Clemens IV, der 1268 in Italien starb, in einer Dominikane­rkirche beigesetzt wurde, und auf seinem Grabmal ebenfalls vom Verfall gezeichnet ist. „Es lohnt sicher, in der Erforschun­g Wolfhards zukünftig die besondere Spirituali­tät der Bettelorde­n zu berücksich­tigen. Sie erinnerte daran, sich im Leben auf Tod und Sterblichk­eit zu besinnen“, so der Hildesheim­er.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Wolfhard von Roth war der erste Kirchenman­n, der sich tatsächlic­h als Toter in Bronze gießen ließ. Seine Grabplatte befindet sich in der Konrad Kapelle des Augsburger Doms.
Foto: Annette Zoepf Wolfhard von Roth war der erste Kirchenman­n, der sich tatsächlic­h als Toter in Bronze gießen ließ. Seine Grabplatte befindet sich in der Konrad Kapelle des Augsburger Doms.

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