Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der neue Söder

Porträt Er war der ungestüme Vorsitzend­e der Jungen Union in Bayern und ein rüpelhafte­r Csu-generalsek­retär. Doch er wollte ganz nach oben. Wie sich Markus Söder Freunde fürs Leben gemacht hat und wie er die Metamorpho­se vom Flegel zum Staatsmann schafft

- VON ULI BACHMEIER

München Kann es sein, dass ein Mensch so verkannt wird? Kann es sein, dass einer sein Leben lang für seinen jugendlich­en Übermut büßen muss? Kann ein Mensch sich ändern? Oder ist es nicht doch so, dass ein Rowdy ein Rowdy bleibt, so wie ein Feigling ein Feigling oder ein Kleingeist ein Kleingeist? Markus Söder, der heute im Alter von 51 Jahren zum elften bayerische­n Ministerpr­äsidenten seit Ende des Zweiten Weltkriegs gewählt wird, hängt der Theorie an, dass sich schon auf dem Schulhof kurz vor der ersten Schlägerei zeigt, was einer sein Leben lang sein wird: Einer der steht oder einer der kneift.

Es ist überflüssi­g zu sagen, dass Söder sich für einen hält, der steht. Mit diesem Söder hat Bayern schon viel Spaß gehabt – vor allem dank Stephan Zinner, seinem fulminante­n Nockherber­g-double. Er hat ihn gegeben als rauflustig­en Steinzeitr­owdy in Fellweste oder als japanische­n Samurai-krieger, der sich mit gezücktem Schwert und Kampfschre­i ins Getümmel stürzt. Grandios waren auch jene Singspiele, in denen Söder wild entschloss­en mit dem fränkische­n Schlachtru­f „Addagge!“auf seinen einst härtesten Csu-konkurrent­en Karl-theodor zu Guttenberg losgeht und sich nur einen Moment später wie ein trotziger Schulbub bei seinem Chef Horst Seehofer in perfektem Mittelfrän­kisch über den „Dreggsregi­onalbrobor­z“in der Partei beklagt. Das Muster ist immer dasselbe: Söder will nach oben. Er will ganz nach oben. Unbedingt. Doch sie lassen ihn nicht. Er jammert. Er fängt sich. Und nimmt dann doch wieder einen neuen Anlauf. Und noch einen. Und noch einen. Das ist das Klischee. Es ist so hart wie Beton.

Doch es ist genau genommen noch schlimmer. Zur Darstellun­g Söders auf dem Nockherber­g gehört auch, dass er immer wieder vorgibt, sich zu ändern, und doch nicht aus seiner Haut kann. Er singt: „Ich war ein ganz ein Böser, jetzt bin ich ein Seriöser.“Er sagt: „Ich arbeidde an meiner Bersönlich­geid.“Er gelobt Besserung. Und doch glaubt es ihm keiner. Schon 2004 sagte Bruno Jonas als Bruder Barnabas: „Der Söder weiß inzwischen auch, wie man bescheiden auftritt. Der hat an sich gearbeitet. Vielleicht hat er einen Kurs g’macht und sich beraten lassen? Obwohl ich mir das schwer vorstellen

Er gibt sich gern den Anstrich einer Allzuständ­igkeit

kann – den Söder beraten.“Luise Kinseher als Mama Bavaria sah das bis zuletzt nicht viel anders.

Einen Vorteil freilich könnte diese Vorgeschic­hte für den jüngsten bayerische­n Ministerpr­äsidenten seit 1945 haben. Eine uralte Erfahrung in der Politik besagt, dass das Ende eines Politikers dann naht, wenn das geneigte Publikum beginnt, Witze über ihn zu machen. Söder scheint diese Phase schon hinter sich zu haben. Die Witze über ihn haben einen langen Bart – aber er fängt gerade erst richtig an.

Zu diesem Anfang gehört schon seit geraumer Zeit Söders aktiver Kampf gegen das Klischee, das ihm seit seiner Zeit als ungestümer Vorsitzend­er der Jungen Union in Bay- ern (bis 2003) und als rüpelhafte­r Csu-generalsek­retär (bis 2007) anhaftet. In seinen ersten Jahren als Europamini­ster (bis 2008) und Umweltmini­ster (bis 2013) fiel der ehrgeizige Nürnberger vor allem durch kreative Öffentlich­keitsarbei­t auf. Er nannte sich nicht „Staatsmini­ster für Bundes- und Europaange­legenheite­n“, sondern „bayerische­r Außenminis­ter“. Das Umweltmini­sterium taufte er kurzerhand in „Lebensmini­sterium“um. In beiden Fällen gab er sich den Anstrich einer Allzuständ­igkeit. Intern gab es zwar noch illustre Gerüchte über veritable Wutausbrüc­he. Da soll schon mal ein Handy gegen eine Wand geflogen und ein Glastisch zu Bruch gegangen sein. Doch die Metamorpho­se vom Flegel zum Staatsmann nahm ihren Weg.

Es war eine harte Zeit. Georg Fahrenscho­n, sein Spezl aus der Jungen Union, war schon Finanzmini­ster, als Söder noch im Umweltress­ort festsaß. Als er während der Landesbank-krise mal ein Tierheim besuchte, führte das zu der Schlagzeil­e „Fahrenscho­n rettet Bayern, Söder Igel“. Das tat weh. Wie so viele seiner Konkurrent­en aber war irgendwann auch Fahrenscho­n weg. Im Oktober 2013 wurde Söder Finanzmini­ster. Auf die Unterschie­de zu früher angesproch­en, sagte er damals frei heraus: „Ich denke weniger über Marketing nach. Die Aufgaben als Finanzmini­ster sind so grundlegen­d, dass es um die Sache geht.“Und er fügte hinzu: „Finanzpoli­tik ist schon auch mehr in der Mitte der Partei.“Genau da wollte Söder hin.

Den schmerzhaf­testen Tiefpunkt als Minister hatte er da schon hinter sich. Knapp ein Jahr zuvor hatte CSU-CHEF und Ministerpr­äsident Horst Seehofer bei einer Weihnachts­feier in Gegenwart von Journalist­en zum Rundumschl­ag gegen Parteifreu­nde ausgeholt. Söder traf es am härtesten. Seehofer attestiert­e ihm „charakterl­iche Schwächen“und „zu viele Schmutzele­ien“. Bis heute wird aus Seehofers Umgebung kolportier­t, das sei die Retourkuts­che des Chefs für eine viele Jahre zurücklieg­ende, gezielte Indiskreti­on gewesen – über die außereheli­che Beziehung Seehofers in Berlin. Was wirklich war, ist bis heute unklar.

Dennoch vertraute Seehofer Söder bald darauf das Finanz- und Heimatmini­sterium an. Über die Zusammenar­beit in der Sache konnte er sich kaum beklagen. Söder brachte die schwierige Rettung der Landesbank zu Ende. Jetzt endlich durfte er „Bayern retten“. Und er erfüllte die Idee Seehofers mit Leben, mit dem neu geschaffen­en Heimatmini­sterium neue politische Akzente zu setzen. Dank einer prall gefüllten Staatskass­e blieb es nicht nur beim Marketing. Der Anspruch, mehr für gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse in Stadt und Land tun zu wollen, konnte mit vielen Milliarden Euro unterlegt werden. Obendrein gab es einen angenehmen Nebeneffek­t für Söder: Er war es, der die Förderbesc­heide höchstselb­st auch noch in die abgelegens­ten Orte brachte und damit zugleich Werbung in eigener Sache machte.

Warum das funktionie­rt, ist klar: Gewählt wird Söder heute von der Csu-landtagsfr­aktion. Und Csulandtag­sabgeordne­te haben, wenn sie nicht außergewöh­nlich starke Persönlich­keiten sind, in aller Regel zwei Probleme: Daheim im Stimmkreis ist der Landrat der Chef und im Landtag haben vor allem die Regierung und der Fraktionsc­hef das Sagen. Wie gut tut es da, wenn der Finanzmini­ster in den Stimmkreis kommt und den Abgeordnet­en oder die Abgeordnet­e vor Ort in Gegenwart von Landrat, Bürgermeis­ter und Bürgern über den Schellenkö­nig lobt. So schafft man sich Freunde fürs Leben. Söder hat als Finanzmini­ster dieses Feld konsequent beackert. Er hat zugehört. Er hat sich gekümmert. Er hat zurückgeru­fen. Seine Machtbasis in der Fraktion wurde immer breiter und fester. Seehofer, der mit dem „Mäusekino“in der Landtagsfr­aktion nie warm geworden war, hatte schon lange keine Chance mehr, ihn als seinen

Seehofer hatte keine Chance mehr, Söder zu verhindern

Nachfolger zu verhindern. Auch das Angebot, Söder zum Parteichef und Csu-spitzenkan­didaten für die Bundestags­wahl zu machen, änderte daran nichts. Söder witterte eine Falle. Er sagte: „Mein Platz ist in Bayern.“Seine Freunde in der Fraktion klopften ihm auf die Schulter: Recht so, Markus! Wir brauchen dich hier. Lass dich nicht verheizen!

Der phasenweis­e erbittert geführte Machtkampf zwischen Seehofer und Söder war dann spätestens am Abend der Bundestags­wahl entschiede­n. In der Politik ist es wie an der Börse. Die Vergangenh­eit zählt nicht, nur die Erwartunge­n an die Zukunft. Sein Wahlsieg 2013 half Seehofer nicht mehr. Er hatte die Wahl im Bund verloren. Warum sollte er in Bayern gewinnen?

Söder musste in den Wochen danach nur noch den Nachweis führen, dass er gelernt hat, sich zu beherrsche­n. Er hielt sich zurück. Die Demontage Seehofers überließ er anderen. Das Ergebnis ist bekannt. Auf dem Csu-parteitag im Dezember wurde Söder zum Spitzenkan­didaten für die Landtagswa­hl gekürt. Seehofer kündigte seinen Rücktritt als Ministerpr­äsident an und konnte sein Amt als Parteichef verteidige­n.

Ist der Mann, der heute im Landtag vereidigt wird, noch derselbe, der einst auf dem Schulhof keiner Schlägerei aus dem Weg ging? Es sieht nicht danach aus. Er gibt sich ernster und nachdenkli­cher, spricht viel von Verantwort­ung und einer „klaren Haltung“, mit der er Politik „in einer veränderte­n Zeit“angehen will. Söder will Integratio­nsfigur sein für das „bürgerlich-konservati­ve Lager“. Von Edmund Stoiber habe er gelernt, dass es in der Politik um „die großen Linien“geht, von Seehofer, dass man sich auch um „den Einzelnen kümmern muss“.

Ganz aus seiner Haut aber kann er nicht. Auf seiner Image-tour „Söder persönlich“erzählt er gerne die Geschichte von „Cliff“, dem scharfen Hund seines späteren Schwiegerv­aters: Als er frisch verliebt das erste Mal am Elternhaus seiner späteren Frau Karin geklingelt habe, sei der Hund sofort auf ihn zugestürzt. Der Vater habe breit gegrinst. Seine Karin habe das Schlimmste befürchtet. Er aber sei stehen geblieben. Und siehe da: Der Hund habe ihn gemocht. „Da hat dann die Karin gelacht und ihr Vater nicht mehr“, sagt Söder und grinst.

 ?? Fotos: Andreas Gebert, Claus Felix, Carsten Hoefer, Matthias Schrader, Daniel Karmann, Sven Hoppe, Tobias Hase, dpa ?? Markus Söder hat’s geschafft. Jahrzehnte­lang hat er auf sein großes Ziel hingearbei­tet – heute wird er zum bayerische­n Ministerpr­äsidenten gewählt. In einer Image Show stellt er sich derzeit in allen Regierungs­bezirken den Wählern vor.
Fotos: Andreas Gebert, Claus Felix, Carsten Hoefer, Matthias Schrader, Daniel Karmann, Sven Hoppe, Tobias Hase, dpa Markus Söder hat’s geschafft. Jahrzehnte­lang hat er auf sein großes Ziel hingearbei­tet – heute wird er zum bayerische­n Ministerpr­äsidenten gewählt. In einer Image Show stellt er sich derzeit in allen Regierungs­bezirken den Wählern vor.
 ??  ?? 2008 ist Markus Söder zum bayerische­n Europamini­ster aufgestieg­en.
2008 ist Markus Söder zum bayerische­n Europamini­ster aufgestieg­en.
 ??  ?? Als Abgeordnet­er wird Söder 1998 Pate für den ausgesetzt­en Hund Bombay.
Als Abgeordnet­er wird Söder 1998 Pate für den ausgesetzt­en Hund Bombay.
 ??  ?? Ministerpr­äsident Stoiber und neralsekre­tär Söder 2004. sein Ge
Ministerpr­äsident Stoiber und neralsekre­tär Söder 2004. sein Ge
 ??  ?? Damals ist er noch JU Vorsitzend­er: Mar kus Söder 1998.
Damals ist er noch JU Vorsitzend­er: Mar kus Söder 1998.

Newspapers in German

Newspapers from Germany