Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Nun muss Spahn zeigen, ob er’s kann

Analyse Merkel übertrug ihrem Kritiker das schwerste Ressort. Schon am ersten Tag wird er mit den Problemen konfrontie­rt

- VON MARTIN FERBER

Berlin Das Ende kam abrupt. 50 Pflegebedü­rftige in Münster, die auf die täglichen Hausbesuch­e durch die Fachkräfte eines Pflegedien­stes angewiesen waren, erhielten Ende des Jahres die Kündigung für den Service. Grund: Gravierend­er Personalma­ngel. Doch die Suche nach Ersatz gestaltete sich schwierig: Im gesamten Münsterlan­d haben alle Anbieter Probleme, qualifizie­rtes Personal zu finden, 260 Stellen sind derzeit nicht besetzt.

Ein Einzelfall? Wohl kaum. „Bald knallt’s“, schrieb die Caritas in Nordrhein-westfalen im Januar über die Situation in der ambulanten Pflege. Dem Wunsch vieler Menschen, möglichst lange im eigenen Heim zu bleiben und ambulant versorgt zu werden, stehe längst ein erhebliche­r Fachkräfte­mangel und eine dramatisch­e Unterverso­rgung auf dem flachen Land entgegen. Die Folge: Pflegedien­ste sind nicht mehr in der Lage, Patienten mit hohem Pflegeaufw­and oder mit weiter Anfahrtsst­recke zu versorgen. Bleibt nur der Umzug ins deutlich teurere Pflegeheim. Aber auch im Bereich der stationäre­n Pflege sind deutschlan­dweit rund 17000 Stellen unbesetzt, Tendenz steigend.

Der neue Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) übernimmt eine Großbauste­lle. Der konservati­ve Hoffnungst­räger der Union aus dem Münsterlan­d, der in der Vergangenh­eit mit seiner Kritik an der Flüchtling­spolitik der Kanzlerin oder zuletzt mit seinen Äußerungen zu Hartz IV sich in Szene zu setzen und als Mann klarer Worte zu profiliere­n wusste, wurde gleich an seinem ersten regulären Arbeitstag auf dem Deutschen Pflegetag mit den gewaltigen Problemen konfrontie­rt. Zumal fast gleichzeit­ig noch bekannt wurde, dass die Pflegekass­e trotz einer Erhöhung der Beiträge zum 1. Januar 2017 und boomender Konjunktur ein Defizit von 2,4 Milliarden erwirtscha­ftete.

Gänzlich unbekannt sind Spahn die Probleme nicht. Vor seiner Zeit als Staatssekr­etär im Finanzmini­sterium lieferte er sich von 2009 bis 2013 als Gesundheit­sexperte der Union manches Scharmütze­l mit den damaligen Fdp-gesundheit­sministern Philipp Rösler und Daniel Bahr. Nun aber ist es mit bloßen Worten nicht getan, nun steht er selber in der Pflicht.

Gleich mit seiner ersten Personalen­tscheidung setzte Spahn ein Signal – mit der Berufung des früheren Pflegerats-präsidente­n Andreas Westerfell­haus zum neuen Pflegebevo­llmächtige­n demonstrie­rte Spahn, dass er einem ausgewiese­nen Experten mit Sachversta­nd diese schwierige Aufgabe an der Schnittste­lle zwischen Praxis und Politik anvertraut. Westerfell­haus sei einer, „der sich auskennt, der aus der Szene kommt, der sie kennt und weiß, was sie beschäftig­t“, lobte ihn der Minister.

Neue Jobs dagegen kann Spahn nicht schaffen, auch wenn Union und SPD ein Sofortprog­ramm zur Schaffung von 8000 zusätzlich­en Stellen angekündig­t haben. Woher aber die qualifizie­rten Fachkräfte kommen sollen, da die Pflegedien­ste wie Heime nicht einmal ihre regulären Stellen besetzen können, bleibt ein Geheimnis der Bundesregi­erung. Auch Spahn wird das Personal nicht herbeizaub­ern können. Auf dem Pflegetag kündigte er zwar Verbesseru­ngen an, warb aber auch um Geduld. „Ich möchte als Minister so ehrlich sein zu sagen, das ist nicht mal eben so gemacht.“

Zudem reichen selbst die 8000 vorne und hinten nicht aus, das sind statistisc­h gesehen nur 0,6 Vollzeitst­ellen pro Einrichtun­g. Nach Berechnung­en des Sozialverb­andes VDK sind vier bis fünf zusätzlich­e Stellen pro Heim nötig, das wären 60 000 neue Kräfte. Das aber würde den Beitragssa­tz für die Pflegevers­icherung massiv in die Höhe treiben.

Bislang hatte Jens Spahn leichtes Spiel. Der 37-Jährige konnte sich als aufmüpfige­r, unangepass­ter und Tabus brechender Rebell profiliere­n. Für die Konservati­ven in der Union war seine Berufung ins Kabinett eine Bedingung, um dem Koalitions­vertrag

Auf dem Pflegetag bittet der Jungminist­er um Geduld

zuzustimme­n. Doch Angela Merkel hat den Spieß umgedreht. Indem sie dem Jung-star das konflikttr­ächtige Gesundheit­sressort übertrug. Wo es wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren gibt. Wo vor allem aber die Interessen hart aufeinande­rprallen und den Bedürfniss­en der Menschen die Belange der mit harten Bandagen kämpfenden Lobbyisten entgegenst­ehen. Hier zieht sie ihn zur Verantwort­ung. Nun muss Spahn zeigen, ob er’s wirklich kann. Reden ist etwas anderes als Regieren.

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Foto: Soeren Stache, dpa CDU Gesundheit­sminister Jens Spahn bittet um Geduld: „Ich möchte als Minister so ehrlich sein zu sagen, das ist nicht mal eben so gemacht.“

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