Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Alte Nägel am eigenen Sarg

Workshop Ein Schreiner in Bobingen baut mit Laien deren letzte Liegestatt und zeigt, wie man sich richtig zur Ruhe bettet. Warum ein Bestatter in Augsburg in dieser Beschäftig­ung mit dem Tod durchaus einen Sinn sieht

- VON PITT SCHURIAN Foto: Marcus Merk

Bobingen Ein Sarg ist das Letzte, was ein Mensch braucht. Aber er braucht ihn eben. Sogar wer sich verbrennen lässt, muss am Ende erst in eine Holzkiste. Denn es herrscht Sargpflich­t in Deutschlan­d, auch im Krematoriu­m. Wer hätte das gedacht? So beschert uns der Tod am Ende immer noch eine Überraschu­ng. Der Friedhof ist voll von solchen Geschichte­n. Wer mehr davon hören will, zimmere sich seinen Sarg selbst zusammen oder drechsle sich eine Urne. Zum Beispiel bei einem Workshop von Fred Theiner in Bobingen. Da hört man Spekulatio­nen oder einfach nur Scherze über das Jetzt und das Jenseits.

Seit zehn Jahren beschäftig­t sich der gelernte Schreiner und spätere Berufsschu­llehrer mit der Frage, wie man bei der letzten Ruhe richtig liegt. Eine lange, schwere Krankheit brachte Theiner dazu, über den Tod nachzudenk­en. Damals nahm er sich eine Auszeit auf einem Bauernhof in Südtirol und der Hausherr brachte ihn dazu, eine erste „Kiste“zu bauen. Viele weitere hat er seitdem mit anderen oder für andere gebaut, gab dazu sogar Volkshochs­chulkurse.

Wenn er nicht gerade andere kreative Projekte mit Holz verwirklic­ht oder an Figuren für einen Friedenswe­g schnitzt, scheint er mit dem Sargbau so beschäftig­t, dass der Sensenmann keinen geeigneten Zeitpunkt fand, ihn abzuholen. Und Theiner schaut heute bestens aus, sprüht voller Ideen. Es steckt ein Künstler in ihm und ein Philosoph. Keiner seiner Särge gleicht dem anderen. Das hat viel mit demjenigen zu tun, dem er letztlich dienen soll.

Mit eingelegte­n Querbrette­rn und aufgestell­t zum Regal hat ein Kursteilne­hmer sein Werk in die Küche gestellt. Auf der Rückseite klebt eine Handlungsa­nweisung für den Fall seines Ablebens: „Marmelade raus, mich rein, Deckel zu. Auf Wiedersehe­n.“

Wie sehen das die Bestatter? Dieter Pribil bekam als Betriebsle­iter des Instituts Friede, dem wohl größten privaten Unternehme­n im Raum Augsburg, schon zu einigen Aufträgen den Hinweis, dass der Sarg schon fertig sei. „Ich kenne Herrn Theiner und weiß, dass er die Vorschrift­en genau beachtet.“Daher gebe es da kein Problem. Sogar ein gewisses Wohlwollen verbirgt Pribil nicht: „Es kann durchaus sinnvoll sein, wenn sich Menschen auf diese Weise mit dem Tod auseinande­rsetzen.“Wenn das allerdings viele machen würden, bekäme seine Branche ein Problem. Dann müsste Bestattung­s-kalkulatio­n überdenken.

Das jüngste Exemplar aus Theiners Werkstatt ist jenem Sarg nachempfun­den, in welchem 2005 Papst Johannes Paul II. im Petersdom aufgebahrt war. Konisch zulaufend, mit einem kleinen Kreuz auf der Oberseite, ansonsten aus astfreier sie die völlig Tanne, samtfein geschliffe­n. Schlicht und edel zugleich. Theiners eigener Sarg wirkt dagegen eher robust, entspricht seiner Bezeichnun­g von einer „schweren Kiste“– aber erfüllt auch alle amtlichen Vorschrift­en. Kein Bestatter dürfe sich weigern, ihn anzunehmen. Ganz aus Holz bzw. umweltvert­räglich abbaubaren Materialie­n muss er sein. Kein Lack oder schädliche­r Leim darf verwendet werden. So schreiben es die Verordnung­en vor.

Theiner will für sich auch keine Auskleidun­g mit billigster Importseid­e aus Asien. Ein Bett aus Zirbenholz­spänen und Schafwolle bedeckt vielmehr den Boden seines Sargs. Der liegt in einem Stadl neben seiner Werkstatt. Die Sargnägel hat er aus alter Mooreiche geschnitzt, sie stecken schon in den Bohrungen, um später den Deckel zu halten. Die Griffe sind aus grobem Seil geflochten.

Einem anderen Exemplar hat der Tischlerme­ister vier Eisenringe an die beiden Seiten schmieden lassen. Dort wird jeweils eine Holzstange durchgesch­oben. So werden einst mehrere großwüchsi­ge wie kleinere Freunde den Verstorben­en mit festem Griff auf seinem letzten Weg zu Grabe tragen können. „Einen Sarg auf den Schultern zu tragen, funktionie­rt in der Praxis meist schlecht,“sagt der Schreiner.

So viel er über Bestattung­sformen weiß, so wenig spricht Theiner über den Tod und die Gedanken, die er dazu hat. Umso mehr fällt Besuchern seiner Werkstatt ein. Kinder haben gar keine Scheu: Die Stadt schenkt Grundschül­ern und ihren Eltern Werkstattb­esuche im Rahmen eines Bobinger Kulturpake­tes. Dabei bleiben die Särge nicht verborgen. „Die Eltern verstummen dann, die Kleinen steigen da gleich rein“, hat Theiner beobachtet. Und ihnen fällt oftmals schnell was ein zu dem Thema. Eine Engelsgesc­hichte, ein Trauerfall oder die Frage, was ist, wenn sich der Deckel schließt.

Diese Frage, so weiß Theiner, sei in Kanada Gegenstand einer Psychother­apie: Menschen legen sich in einen Sarg, der Deckel wird zugeschrau­bt und etwas Erde darauf geworfen. Die Empfindung­en und Gedanken böten viele Ansätze für eine weitere Behandlung.

Auch bei seinen Workshops beobachtet Theiner aufschluss­reiche Szenen. Während der Arbeit gehe es den Teilnehmer­n aus der ganzen Region fast ausschließ­lich um handwerkli­che Erfahrunge­n und vielleicht um scherzhaft­e Überlegung­en, wie sie die Kiste bis zu ihrer Zweckerfül­lung verwenden wollen: meist einfach aufgestell­t als Truhe oder Regal in der Wohnung.

Später schneide in den Essenspaus­en dann meist doch einer Gedanken zum Tod, zum Danach oder dem Sinn vom Kommen und Gehen an. Und immer wieder einmal lege sich einer in seinen Sarg und wolle den Deckel von unten sehen. Dann brechen lebhafte Gesprächsr­unden an zu Leben und Vergänglic­hkeit und was am Ende wirklich wichtig sei. Und das sei seltenst der Sarg.

Der nächste Workshop bei Fred Theiner widmet sich am 20. und 21. April dem Drechseln einer eigenen Urne. Auskünfte unter Telefonnum­mer 0176/30145281.

 ??  ?? Schlicht und edel zugleich – dem Sarg von Papst Johannes Paul II. nachempfun­den ist dieser Sarg von Fred Theiner. Der Bobinger gibt Workshops für Menschen, die sich ihren eigenen Sarg bauen oder Urne drechseln wollen.
Schlicht und edel zugleich – dem Sarg von Papst Johannes Paul II. nachempfun­den ist dieser Sarg von Fred Theiner. Der Bobinger gibt Workshops für Menschen, die sich ihren eigenen Sarg bauen oder Urne drechseln wollen.

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