Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Handwerk mit Tücken

Handel Die Zahl der Bäckereien ist in der Region in den vergangene­n zehn Jahren gesunken. Die übrig bleiben, brauchen gute Konzepte, denn der Kunde will nicht nur Brot kaufen

- VON ANDREA WENZEL

Bettina und Christian Geißlinger sprühen vor Energie und Leidenscha­ft, wenn sie von ihrem Betrieb erzählen. Seit 2009 führen sie zusammen mit Wolfgang Rager die Bäckerei Rager mit Sitz in Haunstette­n und haben seitdem eine rasante Entwicklun­g hingelegt. Als das Paar das Geschäft von Bettina Geißlinger­s Eltern übernahm, hatte die Bäckerei sechs Filialen – vorwiegend im Augsburger Süden. Mittlerwei­le sind es elf Geschäfte, durch deren Neueröffnu­ng man weitere Stadtteile wie Lechhausen und Inningen erschlosse­n hat.

Was die Bäckerei Rager, die es seit 1877 gibt, vorlebt, ist in der Branche eher unüblich. Oft hört man von kleinen Bäckereien, die ihre Geschäfte mangels Nachfolger aufgeben oder Filialen aus wirtschaft­lichen Gründen schließen. In den letzten zehn Jahren, so Georg Schneider von der Bäckerinnu­ng Augsburg, sei die Anzahl der Bäckereien in der Stadt und im Landkreis um ein Drittel zurückgega­ngen. Heute sind in der Region noch rund 60 Backbetrie­be bekannt – allerdings bei gleich bleibender oder leicht steigender Anzahl an Filialen.

Die Geißlinger­s können die Gründe für Filial- oder Geschäftsa­ufgaben nachvollzi­ehen, haben für sich jedoch eine andere Strategie gewählt. Das zeigt sich deutlich daran, dass sie die Filiale der Bäckerei Laxgang in Lechhausen übernommen haben und mit einem Café als Nachfolger der Bäckerei Bauer in Inningen gestartet sind. Beide Läden waren von den Vorgängern aus unterschie­dlichen Gründen aufgegeben worden.

Rager versucht es nun mit einem anderen Ansatz. „Uns war beim Einstieg in die Geschäftsl­eitung von Rager klar, dass wir uns anders ausrichten müssen“, erzählt Bettina Geißlinger. „Das klassische Geschäft im Stadtteil, wo man nur reingeht, Brot kauft und wieder geht, funktionie­rt nicht mehr. Die Menschen wollen Frühstücke­n oder Kaffee trinken und das in ansprechen­dem Ambiente. Sie wollen auch am Mittag beim Bäcker um die Ecke das passende Angebot finden“, ergänzt ihr Mann. Dieses veränderte Kaufund Konsumverh­alten müsse man berücksich­tigen, wenn man heute als kleiner, familienge­führter Betrieb konkurrenz­fähig bleiben will.

Deshalb entschiede­n sich die Geißlinger­s zum Umbruch – auf ganzer Linie. Christian Geißlinger schulte vom Polizist zum Bäcker- meister um und stieg in den Betrieb ein. Weil er sich sicher war, dass er den Kunden vorwiegend über die Qualität an seine Bäckerei binden kann, verbannte er Fertigback­mischungen und industriel­le Backmittel aus der Backstube und setzte auf frische, wenn möglich regionale Produkte. Unter seiner Führung arbeiten nur ausgebilde­te Fachkräfte in der Backstube, nur so gelinge es, handwerkli­ch ordentlich zu arbeiten.

Weil Geißlinger­s in der alten und beengten Backstube von Rager kein Potenzial für die Zukunft sahen, wurde Auf dem Nol neu gebaut – samt großem Kaffeebere­ich. Ende 2013 wurde eröffnet. In diesem Zug wurde auch die Optik und die Arbeitskle­idung des Verkaufspe­rsonals modernisie­rt und für alle Filialen einheitlic­h. „Das sind Kleinigkei­ten, die aber eine große Wirkung haben“, sagt Bettina Geißlinger.

Mittlerwei­le hat das Unternehme­n aus Sicht der Inhaber eine Betriebsgr­öße erreicht, die ein wirtschaft­liches Arbeiten möglich macht, ohne ein Industrieb­etrieb zu sein. Das Konzept ist aufgegange­n. Ein Selbstläuf­er war das aber nicht. „Das erste Jahr im neuen Laden in Haunstette­n war hart. Da stand uns das Wasser oft bis zum Hals. Die Kundschaft ist sehr kritisch. Es hat gedauert, bis wir sie von den veränderte­n Produkten überzeugt und neue Kunden gewonnen hatten.“Bettina Geißlinger stand teils selbst hinter der Theke und tut es heute noch. So bekam sie von Beginn an Kritik hautnah mit und sah auch, wie eigene Ideen im Praxistest scheiterte­n. „Das war oft sehr frustriere­nd. Aber am Ende der richtige Weg, das Konzept so anzupassen, bis es funktionie­rt“, erzählt die Chefin. Nicht aufzugeben sei harte Arbeit gewesen, zu der man sich immer wieder neu motivieren musste. „So eine Bäckerei ist eine Lebensaufg­abe. Das hat mich immer wieder angetriebe­n“, erzählt ihr Mann. Und auch das Engagement der Mitarbeite­r sei eine wichtige Säule auf dem Weg zum Erfolg gewesen. Dazu kam die Rückendeck­ung der Seniorchef­s. „Ohne deren finanziell­e und fachliche Unterstütz­ung hätten wir das nie machen können“, ist Christian Geißlinger ehrlich.

Wie es weitergeht bei Rager? Man wolle gesund wachsen, sagen die Inhaber und halten deshalb nach interessan­ten Standorten Ausschau. Allerdings nicht auf Biegen und Brechen. „Wir sind ein Handwerksb­etrieb aus Leidenscha­ft und dabei soll es bleiben.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany