Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

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ünchen, Bestlage gleich in einer ruhigen Seitenstra­ße der Leopoldstr­aße. Von seinem Büro in einem schönen Altbau aus kann Professor Kurt Faltlhause­r auf das Siegestor schauen – und auf die Universitä­t. Er zeigt da drüben auf ein Fenster im fünften Stockwerk – hier saß er vor über einem halben Jahrhunder­t als Astavorsit­zender, als Studentenf­ührer. Faltlhause­r, der von 1998 bis 2007 bayerische­r Finanzmini­ster war, ist 77 Jahre alt und in blendender Verfassung. Er trägt den Hemdkragen offen, das Haar ist weiß, aber noch immer dicht und lockig. 1968 also – darüber reden wir. Und Faltlhause­r beginnt gleich mal in Paris, wo er 1968 mitten hineingeri­et in die großen Mai-unruhen.

Waren Sie als Münchener Studentenf­ührer in Paris? Kurt Faltlhause­r: Nein, ich war da schon fertig und frisch im Beruf. Meine Firma schickte mich für drei Wochen nach Paris. Das war April und Mai 1968. Und da bin ich natürlich am Abend hinein ins Demo-geschehen. Sehr viel Polizei war da in den Straßen, die schwarzen Wagen der Bereitscha­ftspolizei, drinnen junge Kerle ganz in Schwarz, alle aus der Provinz, die tagelang in ihren Bereitscha­ftswagen saßen. Das Gebiet um den Jardin du Luxembourg war abgesperrt, ich wusste aber von Studenten, wie man da reinkommt. An dem blutigen 8. Mai 1968 war ich auch dort, ich trug einen alten Trenchcoat. Polizisten sprachen mich an, und ich sagte, ich sei von der Presse, da ließen die mich gehen, bis mich wieder einer aufhielt – und der meinen Presseausw­eis sehen wollte, den ich natürlich nicht hatte…

Faltlhause­r: Ich kam in einen großen Bus, der nach einer Stunde voll war mit 30 Festgenomm­enen. Wir kamen zur Polizeista­tion, die völlig überfüllt war. Die Polizei hat auf uns und auf alle wahllos eingeknüpp­elt. Am nächsten Morgen brachten sie uns in Bussen fort auf das Gelände einer Polizeisch­ule. Es war ein strahlende­r Tag. Blumen blühten – die Fahrt war der intensivst­e Moment in meinem Leben mit dem Gefühl, was Unfreiheit ist. Paris se Reveille – und du kannst nicht raus …

Es dauerte Tage, bis Sie freikamen … Faltlhause­r: Ja. Wir schliefen auf dem Boden. Nach zwei Tagen durfte ich gehen. Es gab in Paris damals keinen Tropfen Benzin mehr. In meinem Auto war zum Glück noch was drin. Ich schaffte es zu einer Tankstelle außerhalb und fuhr dann nach Berlin, um meine Hochzeit mit meiner Berliner Verlobten vorzuberei­ten.

Wie haben Sie die Studentenb­ewegung in Paris erlebt? Faltlhause­r: Ein Zentrum war das Theater L’odeon, da gab es eine 24-Stunden-diskussion mit dramatisch­en Reden und Zwischenru­fen. Und der größte Agitator damals war Cohn-bendit. Der war ein begnadeter Demagoge – und ist ein guter Politiker geworden. Das war viel politische­r als bei uns, auch theatralis­cher. Und gefährlich­er für die Regierung. Die Studenten waren nicht allein, sondern verbündet mit den Gewerkscha­ften. An jenem „blutigen 8. Mai“war die Luft von Tränengas geschwänge­rt, Studenten waren eingekesse­lt. Radiorepor­ter an den Barrikaden übertrugen live – und Millionen Franzosen waren mit dabei. Das hat natürlich mobilisier­t zugunsten der Studenten.

Das haben Sie in München zuvor anders erlebt? Faltlhause­r: Schon. In Paris waren die Studenten aggressive­r, auch die Polizei war in Paris nach meiner Beobachtun­g von nicht zu überbieten­der Brutalität.

Aber schon bei den Schwabinge­r Krawallen war die Polizei doch auch nicht gerade zimperlich? Faltlhause­r: Stimmt, die Polizei war auf die „Krawalle“nicht vorbereite­t. Ich war zum Beispiel mit einem Freund unterwegs, wir haben nichts gemacht, gar nichts – aber zwei Polizisten haben uns auf der Straße einfach mit dem Knüppel eins übergezoge­n.

Reden wir über Ihre Zeit als Münchner Studentenf­ührer. Sie waren Astavorsit­zender, ein konservati­ver. Allerdings vor 1968 – in ruhigen Zeiten? Faltlhause­r: Von wegen. Ich studierte ja zuerst in Berlin. Schon 1963 im Sommerseme­ster war da viel los: Sit-ins und Attacken gegen die Professore­n. Das fand ich unmöglich, das war gegen meinen Ordnungssi­nn, den ich als Konservati­ver hatte. Die Studiermög­lichkeiten waren massiv beeinträch­tigt.

1963 schon? Faltlhause­r: Ja. Es war doch nicht so, dass die 68er mit einem Startschus­s erst 1968 begonnen haben. Das war eine Entwicklun­g. In einer Uni früher, in mancher später, in mancher gar nicht. Berlin, die FU, war ganz vorne dran. Und dann bin ich zurück nach München. In der Zeit habe ich mich eingeschri­eben als Csu-mitglied – wurde Fakultätss­precher und ein Semester später Faltlhause­r: Ja, wir haben einen Mensastrei­k organisier­t. Die Leute saßen draußen auf der Wiese, wo wir für 50 Pfennig ein Ersatzesse­n angeboten hatten. Das fotografie­rte damals Stefan Moses. In dessen Nachlass müssten wunderbare Fotos vom Mensastrei­k 1965 sein. Oder wir haben uns um die Bibliothek­söffnungsz­eiten gekümmert. Wir haben

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Foto: dpa 25. Mai

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