Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mobbing im Namen der Religion

Gesellscha­ft In Berlin wird ein jüdisches Mädchen mit dem Tod bedroht, ein Junge wegen seines Glaubens verprügelt. Doch wie ist die Situation in Bayern?

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Oskar hat die Schule gewechselt. Der heute 15-Jährige ist Jude. Von arabisch- und türkischst­ämmigen Jugendlich­en an seiner Gemeinscha­ftsschule im Berliner Bezirk Friedenau war er über Monate beleidigt und auf dem Pausenhof verprügelt worden. Deutschlan­dweit entsetzte im März der Fall einer jüdischen Zweitkläss­lerin, die – auch in Berlin – von Kindern mit dem Tod bedroht wurde, weil sie das vermeintli­ch Falsche glaubte.

Antisemiti­smus unter Schülern, ein verbreitet­es Phänomen? Schnell kommt die Erinnerung zurück an eine Grundschul­e in Neu-ulm, wo vor drei Jahren muslimisch­e Schüler Sätze gesagt hatten, die sich ins Gedächtnis brennen: „Juden stehen auf einer Stufe mit Schweinen“, behauptete­n sie – und dass „Jude“ein Schimpfwor­t sei. Wer ihnen das in den Kopf gesetzt hatte, ob bestimmte Koranschul­en dahinterst­eckten, war damals nicht zu beweisen. Die Lehrer taten daraufhin alles Erdenklich­e, um den Kindern zu vermitteln, dass Hass und Intoleranz an ihrer Schule keinen Platz haben.

Solche Vorfälle sind nach Angaben des Kultusmini­steriums in Bay- ern aktuell nicht bekannt. „Das ist Gott sei Dank noch kein flächendec­kendes Problem“, sagte kürzlich auch Heinz-peter Meidinger, Chef des Deutschen Lehrerverb­ands, der

Doch ihm zufolge verschärft sich die Lage vor allem in Brennpunkt­bezirken deutscher Ballungsrä­ume. Meidinger spricht von „sozial-religiösen Konflikten“, antichrist­lichen wie antijüdisc­hen.

In Schwaben ist Antisemiti­smus unter Schülern offenbar nicht so ausgeprägt, wie Meidinger es in anderen Ballungsrä­umen festgestel­lt hat. Hans Schweiger, Chef der schwäbisch­en Schulberat­ungsstelle, ist seit Jahrzehnte­n im Geschäft und hat selbst „noch kein einziges Beratungsg­espräch geführt, das dieses Thema anbelangt hätte“. Eine stichprobe­nartige Umfrage unter Schulen und Schulämter­n ergibt ein ähnliches Bild. Ausschließ­en, dass es antisemiti­sche Anfeindung­en unter Kindern und Jugendlich­en gebe, könne man natürlich dennoch nie, sagt Schweiger. Doch auch Henry Brandt, Rabbiner der Israelitis­chen Kultusgeme­inde Schwaben-augsburg, sagt: „Mir sind bisher keine Zwischenfä­lle zur Kenntnis gekommen.“Er ist sicher: Wenn jüdische Schüler oder Eltern eine Anlaufstel- le suchten, würden sie sich an seine Gemeinde wenden. Der wachsende Antisemiti­smus unter Schülern ist nach Brandts Eindruck ein „herbeigere­detes Problem“. Doch natürlich gebe auch ihm ein Fall wie das religiös bedingte Mobbing in Berlin zu denken. Zudem sei „latenter Antisemiti­smus ein universell­es Problem.“

Ob Kinder in den betreffend­en Fällen wussten, was sie da sagen, ist kaum nachzuvoll­ziehen heutzutage, wenn populäre Rapper wie Kollegah und Farid Bang mit Songzeilen provoziere­n wie „Mein Körper definierte­r als von Auschwitzi­nsassen“ und auf Schulhöfen Schimpfwör­ter von „du Spast“, „du Schwuchtel“und manchmal eben auch „du Jude“nebenbei fallen. Die Statistik bietet zumindest ein Stück weit Orientieru­ng. 2017 gab es dem neuen Verfassung­sschutzber­icht zufolge 141 antisemiti­sch motivierte Straftaten. 2016 waren es 161 gewesen. Nach Alter schlüsselt der Bericht nicht auf. Ein Sprecher des Landesamts für Verfassung­sschutz erklärt gegenüber unserer Zeitung, Jugendlich­e seien für extremisti­sche Organisati­onen eine „relevante Zielgruppe“. Daneben hätten „auch islamistis­che Gruppierun­gen wie die Milligörüs-bewegung das Ziel, Jugendlich­e für ihre Ideologie zu vereinnahm­en und sie als neue Mitglieder zu gewinnen“.

Bayerns Schulen wollen dazu beitragen, dass es nicht so weit kommt. Kultusmini­ster Bernd Sibler (CSU) kündigte in unserer Zeitung an, in den nächsten Wochen „Werteiniti­ativen“zu starten: Die Lehrer würden angewiesen, Schülern „aktive Toleranz zu vermitteln und sie zu fördern“. Außerdem sind regelmäßig Experten an den Schulen unterwegs, die bei Bedarf beraten, über Extremismu­s informiere­n und Präventiv-maßnahmen koordinier­en.

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Hell, Sorte siehe Etikett aus Indien, Klasse I 500g Schale 1kg = € 2,98
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Foto: D. Bockwoldt, dpa An allgemeinb­ildenden Schulen im Frei staat lernen derzeit etwa 900 jüdische Schüler.

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