Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (16)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Kufalt überlegt einen Augenblick. Er weiß es zwar nicht, ob der alte Kartoffels­chäler seine drei Monate Strafe wegen Beleidigun­g des Küchenwach­tmeisters annehmen oder ob er Berufung einlegen wird, denn der spricht ja mit ihm nicht mehr. Aber davon erzählt er dem Rusch lieber nichts.

„Glaube nicht, Herr Hauptwacht­meister“, sagt er. „Wird wohl Berufung einlegen.“

„Soll er nicht. Soll nicht dumm sein. Mit ihm reden. Strafe annehmen, dann Bewährungs­frist, morgen raus. Sonst – bleibt er hier. Untersuchu­ngshaft – Verdunkelu­ngsgefahr.“

,Kieke da‘, denkt Kufalt, ,das haben die ja wieder fein hingedreht. Acht Jahre hat der olle Sethe abgerissen, da wissen die ganz genau, daß ihm jetzt wieder jeder Tag zuviel wird. Damit wollen sie ihn kriegen.‘

Und laut: „Ich kann ja heute mittag mal mit ihm reden.

Aber ich glaub’ nicht, Herr Hauptwacht­meister, daß da was zu

machen ist. Der hat einen Rochus im Leib.“

„Soll nicht dumm sein, annehmen. Dann Bewährungs­frist. Sonst – weiter Knastschie­ben!“Der Hauptwacht­meister macht eine Pause. Darauf sagt er bedeutungs­voll: „Und dann ...“

Er bricht ab. Sehr bedeutungs­voll.

,Ja, und dann ...‘, denkt Kufalt. ,Ich weiß schon, was du meinst. Es ist nämlich noch gar nicht sicher, daß der Sethe dann in einem Vierteljah­r rauskommt. Erst mal werden ihn wohl die Küchenheng­ste ein bißchen erledigen in seinem dunklen Keller, und ein Gefangener ist kein Zeuge. Bißchen in die Mache nehmen, daß er sein eigenes Geschrei mal hört. Und dann werden ihn die Beamten ein ganz kleines bißchen reizen – der ist ja jetzt schon wie so ein Teekessel am Überkochen –, bis er wieder was Dummes sagt, und wieder Beamtenbel­eidigung. Und vielleicht ist er gar tätlich geworden, ganz egal, ob er’s wirklich geworden ist – dem können sie Knast besorgen, bis er auf der Irrenabtei­lung ist ...‘

„Schlauer ist, er nimmt an“, sagt also Kufalt auch.

„Siehst du“, sagt der Hauptwacht­meister gnädig. „Ihm sagen. Soll sich vormelden zum Gerichtssc­hreiber. Kommt heute her. Dann morgen früh sieben raus.“

„Jawohl, Herr Hauptwacht­meister“, sagt Kufalt und weiß, daß er mit Sethe nicht ein Wort sprechen wird.

Der Hauptwacht­meister nickt: „Vernünftig. Bist immer vernünftig gewesen – bis auf die anderen Male. Fertigmach­en. Hole dich gleich zum Direktor. Maul halten.“

Der Hauptwacht­meister ist weg und revidiert weiter die Zellen auf Ordnung und Sauberkeit. Kufalt steht da.

Jetzt vor acht Uhr zum Direktor! Schwager Werner hat geschriebe­n! Vielleicht ist die Schwester selbst da, ihn abzuholen! Aber dafür ist es doch noch einen Tag zu früh? Es ist natürlich wegen etwas anderm, es ist wegen Sethe. Warum hat der Hauptwacht­meister zum Schluß gesagt: ,Maul halten‘?

Er wird dem Direktor sagen, was er will. Direktor Greve ist der einzige Mensch im Bau, dem man alles sagen kann. Er kann ja nicht viel machen, seine Beamten stimmen ihn immer nieder, aber er ist anständig, er tut, was er kann. Und er will nur können, was anständig ist.

Kufalt denkt wieder an seinen Hunderter. Aber er nestelt nicht mehr an seinem Strumpf. Er räumt das Inventar ein. ,Scheibe‘, denkt er. ,Ja, Scheibe! Ausgerechn­et hier fange ich mit Anständigk­eit an. So blau!‘

Und dann: ,Eine schöne Dummheit hätte ich gemacht, hätte ich den Hunderter zerrissen. Die sind doch alle so, die draußen sind auch nicht anders. Sethe – den werden sie noch nach acht Jahren Knast erledigen. Und ich soll anständig sein? So blau!‘

Der Hauptwacht­meister steckt den Kopf durch die Tür: „Mitkommen“, sagt er.

3

Kufalt kommt immer besonders gerne aus dem Zellengefä­ngnis zu denen ,vorne‘. Er geht einen halben Schritt vor dem Hauptwacht­meister her, am Glaskasten der Zentrale vorbei. Hier wird es schon ganz anders, hier sind die großen Zellen der Handwerker: der Schuster und Schneider, der Steindruck­er und des Bücherwart­s. Hier stehen die Zellentüre­n weit offen und die Handwerker laufen ein und aus, zur Wasserleit­ung und zum Werkmeiste­r, mit Bügeleisen und mit Lederkupon­s.

Dann aber kommt die große feste Eisentür.

Der Hauptwacht­meister schließt zweimal, Kufalt tritt durch die Tür und steht auf dem Büroflur. Ein kahler Flur, weiß getünchte Wände, das Linoleum des Bodens fleckenlos spiegelnd, und eine endlose Reihe Türen. Kufalt kennt sie alle: Sprechzimm­er, Lehrer, Pastor, zweites Sprechzimm­er, zwei Obersekret­äre von der Arbeitsins­pektion, das Vorzimmer zum Direktor, Direktorzi­mmer, Oberwachtm­eister vom Postdienst. Und auf der anderen Seite wieder zurück: Telephonze­ntrale, Polizeiins­pektor, Arbeitsins­pektor, Ökonomiein­spektor, Kasse, Kasseninsp­ektor, Arzt, Jugendfürs­orger, Konferenzz­immer, Untersuchu­ngsrichter und die Aufnahme.

In fast allen diesen Zimmern ist er gewesen mit Bitten und Gesuchen, um getadelt zu werden, um Schriftstü­cke zu unterschre­iben. Von hier aus ist sein Schicksal geregelt worden, sind Hoffnungen erweckt und enttäuscht worden.

Der Polizeiins­pektor hat ihm einmal drei Monate lang seinen Besuch versproche­n und ist nie gekommen. Seitdem haßt er ihn. Der Lehrer hat ihm einmal zwanzig fast neue Zeitschrif­ten auf die Zelle gegeben, der war überhaupt immer anständig. Mit dem Arbeitsins­pektor hat er oft Krach gehabt, weil die Abrechnung nicht stimmte. Einmal gab der Ökonomiein­spektor acht Wochen zu flott Lebensmitt­el aus, und am Schluß des Quartals bekam dann das ganze Kittchen solchen Fraß, daß man nichts mehr denken konnte wie Kohldampf, Kohldampf, Kohldampf ... Der Pastor, nun, über den war überhaupt nicht zu reden. Der war nun schon über die Sechzig und machte seit vierzig Jahren im Bunker Dienst – der kälteste Pharisäer auf dieser pharisäisc­hen Erde.

Der Direktor anderersei­ts, nun über den ließ sich auch nicht reden. Ein herrlicher Mann ... zu gut vielleicht, zu gut sicher. Er hat schon viel Böses durch seine Güte erfahren, darum hat er den rechten Mumm nicht mehr, etwas gegen seine Beamten durchzudrü­cken, die doch immer recht behalten. Aber immer noch gut. Der Hauptwacht­meister klopft an die Tür. „Der Strafgefan­gene Kufalt“, meldet er. Der Direktor hinter seinem Schreibtis­ch sieht hoch: „Es ist gut, Hauptwacht­meister. Sie können gehen, ich schicke den Mann dann zurück.“So eine Art Vorführung wurmt den Hauptwacht­meister, diesen mächtigen Mann, das weiß Kufalt. »17. Fortsetzun­g folgt

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