Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mutter versorgt Sohn 228 Mal mit Drogen

Justiz Die 47-jährige Frau hat dem 15-Jährigen fast ein Jahr lang Marihuana gegeben – aus Sorge, dass er sonst dem Alkohol verfällt. Nun wurde sie verurteilt. Vor Gericht treten die schwierige­n familiären Verhältnis­se zutage

- VON MICHAEL LINDNER

Landkreis Augsburg Alkohol und Drogen spielten im Leben der Angeklagte­n Stefanie F.* in den vergangene­n Jahren eine große Rolle. Sie selbst trinke nichts, was nicht alle in ihrer Familie von sich behaupten könnten. Ihr Lebensgefä­hrte beispielsw­eise sei Alkoholike­r, wenn auch seit einigen Jahren trocken. Und auch bei einigen der vier Kinder der Patchworkf­amilie laufe vieles schief. Der älteste Sohn, 18, wurde vor Kurzem am Augsburger Amtsgerich­t verurteilt, als er in alkoholisi­ertem Zustand einen anderen jungen Mann mit einem Messer verletzte. Der jüngste Sohn, 16 Jahre alt, hat die elterliche Wohnung im südlichen Landkreis Augsburg bereits verlassen und ist zu seiner älteren Schwester „geflüchtet“, sagte Verteidige­r Marco Müller. Seine Mandantin wollte dem damals 15-Jährigen helfen, als Verzweiflu­ngstat beschreibt Stefanie F. vor dem Augsburger Schöffenge­richt ihr Handeln im vergangene­n Jahr. Denn monatelang gab sie ihm immer wieder Marihuana – insgesamt 381 Mal soll das laut Anklage der Fall gewesen sein.

Ihr Sohn habe begonnen, Alkohol zu trinken, Bier und Wodka. Immer mehr sei es geworden, sie musste ihn sogar völlig betrunken von der Schule abholen. Stefanie F. wollte sich Hilfe beim Jugendamt holen – so wie bei ihrer ältesten Tochter –, doch ihr Sohn blockte ab. Die 47-Jährige hatte Angst, dass sie ihn an den Alkohol verliert. Immer wieder geriet er wegen des Trinkens in Konflikt mit dem Gesetz: Er brach in ein Geschäft ein und sprayte Graffiti quer durch die Stadt. Der Sohn habe sie eines Tages angefleht, ihm etwas von den Drogen ihres Partners zu geben.

Da ihr Lebensgefä­hrte immer einen kleinen Vorrat hatte, habe sie kleine Mengen abgezwackt. Nur so viel, dass es ihm nicht auffalle, sagte die Frau. „Ich dachte, meinen Sohn mit dem Marihuana bremsen zu können, aber das war ein großer Fehler. Das weiß ich jetzt“, sagt Stefanie F. vor Gericht aus. Ihr Plan – Marihuana statt Alkohol – ging nicht auf, denn an seinen Trinkgewoh­nheiten haben die Drogen nichts geändert. „Sie können Ihrem minderjähr­igen Sohn kein Marihuana geben. Ihre Logik ist absurd“, sagte Richter Philipp Meyer zu der Mutter.

Das Treiben der Angeklagte­n wurde im Sommer vergangene­n Jahres aufgedeckt, als Polizisten einen Freund des Sohnes wegen Graffiti aufgriffen. In den Vernehmung­en stellte sich heraus, dass der 15-jährige Sohn der Angeklagte­n das zu Hause zugesteckt­e Marihuana mit seinen besten Freunden teilte. Die 47-jährige bisher nicht vorbestraf­te Stefanie F. legte sowohl bei der Polizei als auch bei der gestrigen Verhandlun­g ein umfassende­s Geständnis ab.

Die Staatsanwa­ltschaft ging in ihrem Plädoyer von 381 Fällen aus, die im Zeitraum von einem Jahr stattgefun­den haben. Die unerlaubte Abgabe von Betäubungs­mitteln an Minderjähr­ige sieht als Mindeststr­afe eine Freiheitss­trafe von einem Jahr vor. Die Staatsanwa­ltschaft beantragte wegen der hohen Anzahl eine Freiheitss­trafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Verteidige­r Marco Müller sprach von einem minderschw­eren Fall, da es sich um Kleinstmen­gen an weichen Drogen handelte, die seine Mandantin nicht einmal selbst gekauft habe. Er hielt eine Bewährungs­strafe von 14 Monaten für angemessen.

Das Schöffenge­richt folgte dem Symbolfoto: Friso Gentsch, dpa Antrag der Staatsanwa­ltschaft und verurteilt­e die 47-Jährige zu einer zweijährig­en Bewährungs­strafe, da es keinen minderschw­eren Fall erkennen konnte. „Sie können Ihrem Sohn nicht das eine Gift geben, nur damit er das andere Gift nicht nimmt“, sagte Richter Meyer in seiner Begründung. Das Gericht ging von „nur“228 Fällen aus, da es die Weitergabe der Drogen erst ab Januar 2017 und nicht schon ab August 2016 als erwiesen erachtete. Stefanie F. muss zudem 1500 Euro an die Drogenhilf­e zahlen. Das Urteil ist rechtskräf­tig.

*Name von der Redaktion geändert

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Damit er die Finger vom Alkohol lässt, hat eine 47 jährige Frau ihren minderjähr­igen Sohn aus Verzweiflu­ng mit Marihuana versorgt.

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