Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

D Die Welt vor meinem Fenster

Zugreise Eine Fahrt mit dem luxuriösen Eastern & Oriental ist wie eine Zeitreise in die 20er Jahre. Draußen ziehen Reisfelder und Megacitys vorbei und doch bleibt der Zug das Ziel. In drei Tagen von Singapur nach Bangkok

- / Von Nicole Prestle

ie wahren Gegensätze werden sich erst im Lauf der Reise zeigen. Für den Anfang aber fühlt sich dieser Luxus normal an. Den vergangene­n Abend haben wir in Singapur verbracht – in einem Hotel, in dem die Blumenbouq­uets so groß sind wie zu Hause im Garten der alte Hibiskus-busch. Das Fullerton, ein Haus mit Geschichte, war einst Sitz der Hauptpost und ist nun vor allem eines: imposant. Fünf Restaurant­s, ein mehrere Stockwerke hohes Atrium, dorische Säulen, Kassettend­ecke, das kleinste Zimmer 35 Quadratmet­er.

Und dann, einen Tag später, dieser Zug. Maximale Verkleiner­ung. Doch Luxus, das lernen Reisende an Bord schnell, bedarf nicht räumlicher Weite.

Der Zug steht schon bereit, als wir an der vor Singapur-sauberkeit strotzende­n Woodland Railway Station ankommen. Die Waggons grün-creme, die Griffe an den Einstiegen goldfarben, die Stewards vor den Türen in Livree, mit weißen Handschuhe­n und mit gewinnende­m Lächeln. Für drei Tage werden sie den Passagiere­n nahezu jeden Wunsch von den Augen ablesen. Für drei Tage sind diese Passagiere nicht normale Reisende – wer einsteigt, begibt sich gewisserma­ßen auf eine Zeitreise in die 20er Jahre. Der Zug ist in diesem Fall das Ziel.

Denn dieser ist kein normaler Zug, wie er ansonsten in Asien verkehrt.

Die Passagiere ziehen, zerren, bangen…

König der Züge, Zug der Könige nannte man den original Orient-express, der ab Ende des 19. Jahrhunder­ts Paris und Konstantin­opel, das heutige Istanbul, verband. Der Erste Weltkrieg bedeutete sein vorläufige­s Ende, der Zweite sein endgültige­s. Sein Ruhm aber lebte weiter, und so gewann fast ein Jahrhunder­t später die Idee Gestalt, wenn schon nicht die Route, so doch diese komfortabl­e Art des Reisens wieder aufzunehme­n. Im September 1993 verkehrte der „E & O“zum ersten Mal zwischen Singapur und Bangkok. Doch seine Geschichte reicht weiter zurück. 1972 in Japan gebaut, fuhr er fast 20 Jahre lang als „Silver Star“durch Neuseeland. 1991 wurde er zum „Eastern&oriental Express“umgebaut. Seither ist er ein klimatisie­rter Mikrokosmo­s auf Schienen, der sich seinen Weg von einer Megastadt zur anderen vorbei an Wellblech-dörfern durch Dschungel und Bambuswäld­er bahnt.

Doch all dies tritt beim Einsteigen zunächst in den Hintergrun­d. In den Gängen herrscht jetzt mehrsprach­ige Aufgeregth­eit; keiner weiß so recht, wohin. Auf der Suche nach dem richtigen Abteil schieben Passagiere sich mit Koffern durch schmale Gänge. Doch ganz offenkundi­g gibt es hier nicht nur Grünschnäb­el. Die Kenner haben ihr großes Gepäck beim Schaffner abgegeben und flanieren nun ohne anzuecken mit Handköffer­chen ins „Zimmer“. Die anderen ziehen, zerren, bangen: Wird dieses Monster aus Schnallen und Reißversch­lüssen im Abteil Platz haben?

Sorgen, die sich bald zerstreuen. Die Kabinen sind Raumwunder: Betten, Tisch, Kleidersch­rank, ein kleines Bad mit Dusche und WC – alles passt in- und übereinand­er. Wer zum ersten Mal auf Schienen reist, kommt in Versuchung: Was passiert, wenn man hier zieht, da drückt, dort kippt? Kaum probiert, klopft es an die Türe: „Madam, do you need help?“Oh, das war also der Rufknopf für den Steward. Macht nichts, sagt der, weil er ohnehin gerade nach den Wünschen für den Nachmittag­stee fragen wollte: Schwarz, grün, doch lieber Kaffee – und den Kuchen? Mit oder ohne Sahne?

Die Wahl ist noch nicht getroffen, da setzt sich der Zug in Bewegung. 17 Waggons, drei Restaurant-, ein

und ein Salonwagen samt Boutique und Bücherei zuckeln los nach Bangkok. Die 2030 Kilometer bis dorthin legt der Zug mit beobachter­freundlich­en 60 Stundenkil­ometern zurück. Wer jetzt aus dem Fenster sieht, spürt, was dieser hochmodern­e und streng organisier­te Stadtstaat einst war: Regenwald. Jeder Zentimeter wurde ihm abgetrotzt.

Auch im Abteil geht es jetzt um Zentimeter. Der Steward hat das Tablett mit Tee und Pâtisserie auf ein Hockerchen vor das Sofa gestellt, die eigenen Beine passen gerade so daneben. Silberkänn­chen, Sil-

weiße Servietten, bestickt mit dem Emblem des E&O, eine Etagere. Wahrschein­lich speist kaum einer zu Hause nur halb so nobel. Doch genau dies hat man ja gebucht: drei Tage Luxus, für die man keinen Finger rühren, sondern lediglich den Geldbeutel etwas weiter öffnen muss.

Denn natürlich ist eine solche Reise nicht günstig. In der kleinsten Doppelkabi­ne, dem Pullman-abteil mit seinen sechs Quadratmet­ern, zahlt man pro Person knapp 2400 Euro. Eines der Betten dient bei Tag als Sitzgelege­nheit. Während die Gäste abends dinieren, funktionie­bar-

ren die Stewards das Sofa um, klappen darüber ein zweites Bett aus, legen Filzpantof­feln und Bademantel zurecht. Wer in der Präsidente­nsuite logiert, hat fünfeinhal­b Quadratmet­er mehr – Bar und Ankleidebe­reich inklusive. Paneele aus Kirschund Ulmenholz gibt’s in beiden Klassen.

Aber wer hält sich schon oft auf im Abteil? Das liegt auch daran, dass es in den Kabinen kein WLAN gibt. Wer diese Welt vor dem Fenster auch nur kurz durch sein Smartphone-universum ersetzen will, muss laufen. Weit laufen. Waggon für Waggon. Durch alle drei Speisewabe­rbesteck, gen. Und durch den Salonwagen, in dem Bordpianis­t Peter eben vor einer Tasse Kaffee Platz genommen hat, jetzt aber pflichtsch­uldig zum Piano eilt. Er macht das jedes Mal, wenn ein Gast den Wagen betritt. Es könnte sein, dass dieser kein „Durchreise­nder“ist, sondern bleiben will. Dann sollte, ja dann müsste, gespielt werden. „Strangers in the Night“für Amerikaner und Elvis Presleys „Muss i denn zum Städtele hinaus“für die Deutschen.

Jetzt aber, am frühen Abend, hat Peter viel Freizeit. Die Gäste sitzen um diese Zeit lieber im Panoramawa­gen, dem hintersten Waggon mit

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Eine Reise in eine andere, luxuriöse Welt ist die Fahrt mit den historisch­en Wagen des Eastern & Oriental Express.
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Fotos: Prestle
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