Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die „steinreich­e“Unbekannte

Menorca Der größte Schatz der Balearen-insel ist die Natur. Vielleicht ist der fehlende Massentour­ismus gar nicht so schlecht

- / Von Till Hofmann

Links, rechts, links, rechts – ist doch eigentlich ganz einfach für die Vorderfrau und den Hintermann: Wenn die Paddel auf derselben Seite des Kajaks gleichzeit­ig eingetauch­t, lange nach hinten gezogen werden und die Paddelblät­ter möglichst viel Meerwasser verdrängen, dann geht es prima voran. Eigentlich. Manchmal gerät die Besatzung, die sich mit dem Boot nahe der türkisfarb­enen Wasserober­fläche nach vorne bewegt, aus dem Takt. Dann passt die Geschwindi­gkeit nicht mehr – und auch die Richtung muss zuweilen korrigiert werden. Jedenfalls sollte das ovale Kajak den verhältnis­mäßig niedrigen Wellen nicht die Breitseite bieten. Sonst reichen selbst diese aus, um die fleißigen Ruderer aus dem Gleichgewi­cht zu bringen und ins Wasser zu kippen. Der Wind, der einem leicht ins Gesicht bläst, erweist sich als kleiner Widerstand, der den Eifer der Kajak-gruppe an der Südküste Menorcas ein wenig abbremst – zumindest auf der Hinfahrt vom Familienfe­rienort Cala Galdana aus in Richtung Osten.

Dennoch ist die Mühe auf dem Meer nicht übermäßig groß. Und sie wird vielfach entschädig­t. Mehrere Höhlen, die vom Land aus nicht zu erkennen sind, zeigen unter den steil abfallende­n Felsen ihre verborgene­n Öffnungen. Es ist wie eine Einladung, sie zu befahren – und allzu leicht verbunden mit der Fantasie, in diesen Sekunden ein Entdecker zu sein.

Wieder im Licht der Mittelmeer­sonne geht es weiter entlang der Küste. Wer einen Zwischenst­opp vor der Rückreise einlegen will, bekommt Badebuchte­n und kleine Strände mit feinem hellen Sand präsentier­t, die man nicht auslassen sollte. Vom Wasser aus sind diese besonderen Flecken oft leichter zugänglich als vom Land aus. Die Küstenlini­e der nur rund 700 Quadratkil­ometer großen Insel erstreckt sich über insgesamt 210 Kilometer und hat mit über 120 Stränden mehr zu bieten als die größere Schwester Mallorca.

Wer aktiv sein will, muss sich auf Menorca nicht unbedingt aufs Wasser begeben. Der in 20 Fußetappen eingeteilt­e „Camís de Cavalls“, der Pferdeweg schlängelt sich auf seinen 185 Kilometern an der Küste entlang um die Insel. Nach mehreren hundert Metern wiederkehr­ende Holzpfoste­n zeigen an, dass die Besucher auf dem richtigen Weg sind. Dabei ist die Rundwander­ung keine Selbstvers­tändlichke­it und das Ergebnis einer Initiative des Inselrats. Bis im Jahr 2010 der durchgehen­de „Camís de Cavalls“entstand, musste viel Überzeugun­gsarbeit geleistet werden. Zahlreiche­n Privateige­ntümer wollten ihren Grund und Boden nicht für jedermann zugänglich machen.

Doch wer sich erhofft, protzige Villen an den Felsenküst­en erspähen zu können, wird enttäuscht. Statt-

dessen durchquere­n die Fußgänger knorrige Wäldchen und karge Wiesen. Wer die Nebensaiso­n zwischen November und März wählt, hat auf diesem Weg gute Chancen Stille zu finden, was auf Menorca nicht selbstvers­tändlich ist.

Menorca hat zwei Zentren – wenn man die Hafenstädt­e Ciutadella und Mahón bei einer Gesamtbevö­lkerung auf der Insel von 90000 Einwohnern so nennen möchte. Ciutadella im Westen ist die nicht ganz so geschäftig­e Stadt, die für Einheimisc­he wie Touristen in der Altstadt dennoch viele kleine Geschäfte bietet. Die „Avarcas“gehören zu den Rennern im Dauerangeb­ot. Die Sohlen der typischen menorquini­sche Sandalen bestehen aus dem Gummi von Autoreifen.

Die Gassen Ciutadella­s wirken im Zentrum herausgepu­tzt. Die Fassaden werden im Frühjahr gestrichen. Es riecht nach Erneuerung. Im Gegensatz zur Hauptstadt Mahón (mit

weitverzwe­igten Festungsba­uten, die besichtigt werden können, und dem nach dem australisc­hen Sydney zweitgrößt­en Naturhafen der Welt) hat das alles den Anschein, ein wenig harmonisch­er und liebevolle­r aufeinande­r abgestimmt zu sein.

Einen ähnlichen Eindruck hatte offenbar auch Ronald Fritz, der sich vor 35 Jahren am Stadtrand von Ciutadella niederließ. Gemeinsam mit seiner Frau kaufte er ein über 200 Jahre altes Bauernhaus. Nach seiner „wilden Hippie-zeit“in Amsterdam und Marokko wurde zunächst das spanische Festland seine neue Heimat, ehe es ihn auf Menorca zog. Nach der Pleite mit dem Betrieb einer Gastwirtsc­haft baut der 65-Jährige heute lieber in seinem Gemüsegart­en nach biologisch­dynamische­r Methode an, hat Hunde und hält Hühner. Und der Österreich­er Fritz, mittlerwei­le vierfacher Großvater, zeigt Touristen die Insel, die die Unesco bereits vor 25 Jahren entdeckt hat, als sie das gesamte Eiland zum Biosphären­reservat erklärt hat.

Vielleicht hat dazu ungewollt General Franco beigetrage­n. Der hatte sich in Spanien an die Macht geputscht und damit 1936 den Spanischen Bürgerkrie­g ausgelöst. Die Menorquine­r waren die einzige Bevölkerun­g einer Balearenin­sel, die gegen Franco Widerstand geleistet hat – wenn auch ohne Erfolg. Unter seiner diktatoris­chen Herrschaft (1939–1975) wurde Menorca links liegen gelassen. Erst in den 70er Jahren hat sich, wie Ronald Fritz es formuliert, ein „schüchtern­er Tourismus“entwickelt.

Auf seinen Touren geht der Inselkundi­ge noch viel weiter in der Zeit zurück und führt seine Gäste an prähistori­sche Fundorte. Menorca ist geradezu übersät mit Zeugnissen der sogenannte­n Talayot-kultur. Insgesamt gibt es über 1500 Fundstätte­n

Wo die Sonne sich in Spanien als erstes zeigt

– im Schnitt eine auf zwei Quadratkil­ometern – mit Monumenten, die zwischen 4000 und 2000 Jahre alt sind.

Der namensgebe­nde Talayot war ein aus großen Steinen angelegter, dickwandig­er und runder (später quadratisc­her) Beobachtun­gsturm, der an erhöhten Stellen aufgebaut wurde, um mögliche Feinde frühzeitig erkennen zu können.

Vor Kraft strotzende Riesen scheinen damals die Arbeit verrichtet zu haben. Die in unmittelba­rer Nähe der Talayots stehenden Taulas, das bedeutet „Tisch“oder „Tafel“, bestehen aus zwei aufeinande­r geschichte­ten Steinen in T-form, die bis zu fünf Meter in die Höhe ragen konnten. Die Taulas waren die Zentren religiöser Kultstätte­n. „Magische Kraftpunkt­e einer steinreich­en Insel“, sagt Ronald Fritz.

Die Zeugnisse seiner Ureinwohne­r wollte Menorca besonders hervorhebe­n. 32 dieser Denkmäler zählten im vergangene­n Jahr zur Bewerbung für das Weltkultur­erbe der Menschheit. Allerdings ist es der Insel vorerst nicht gelungen, in diese Liste aufgenomme­n zu werden.

Das also hat Menorca noch nicht erreicht. Eines kann der Insel im westlichen Mittelmeer aber sicher nie genommen werden: Im Osten, in Es Castell, zeigt sich Spaniens Morgensonn­e als erstes …

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Der Weg lohnt sich (von links): Nach Ciutadella, entlang des Camís de Cavalls und zu den Talayot Stätten.
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Eine Postkarten­idylle, die Wirklichke­it ist und spannende Höhlenerku­ndungen mit dem Kajak bietet der Ferienort Cala Galdana.
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Fotos: Hofmann
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