Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Fächer des Unendlichen
Installation In die Moritzkirche hat die Österreicherin Elke Maier feine weiße Fäden eingezogen. Sie interpretieren den sakralen Raum.
Bei Sonnenschein werden sie sichtbar als Strahlen, die den Raum der Moritzkirche erfüllen. Mindestens hundert feine weiße Fäden spannt die österreichische Künstlerin Elke Maier flächig von der Orgelempore bis zur Apsis. „Beyond Target“– über das Ziel hinaus nennt sie ihre Raumintervention. Am Sonntag, 22. April, wird sie um 11 Uhr mit einführenden Worten und Harfenmusik von Sonja Drexler eröffnet.
Eine eigenartige Materialität erfüllt hier den Raum. Die Fäden sind manchmal sichtbar und manchmal auch nicht, obwohl sie dicht nebeneinander gespannt vorhanden sind. Elke Maier konfrontiert mit einem Paradox: Trotzdem sie „ein Maximum an Materialität“abwickelt, kann sich ihre Arbeit komplett in die Unsichtbarkeit zurückziehen. Wäre es ihr um die ständige Wahrnehmbarkeit gegangen, „hätte ich stärkeres Garn eingezogen“, sagt sie. Genau das Oszillierende aber, dieser unberechenbare Wechsel des Wahrnehmens, ist ihr künstlerisches Ziel, soll Erkenntnis hervorrufen.
„Fast ist es eine interaktive Arbeit – ein Schritt zur Seite und sie ist verschwunden. Oder sie taucht auf“, erklärt Elke Maier. Im Zusammenspiel mit dem Raum kann sie der Betrachter für sich zum Schwingen bringen. Er analysiert mit dem Wechsel seines Standorts den sakralen Raum und die Installation interpretiert den sakralen Raum, indem sie etwas und nichts ist. Trotz ihres formal strengen Aufbaus – die Fäden sind im exakt gleichen Abstand auf mehreren Ebenen längs durch die Moritzkirche gespannt („ich lege Wert auf Präzision“) – variiert die Installation beständig in ihrer Wirkung. Und sie zeigt, dass auch die scheinbare Leere im Raum etwas Gefülltes darstellt. Die Künstlerin erinnert dies an die Atomphysik, die uns sagt, dass die kleinsten Elementarteilchen in den Atomen sich auf Umlaufbahnen im leeren Raum bewegen. Und ans Weltall, in dessen schier unendlichen Weiten sich die Planeten frei bewegen.
Für den gläubigen Christen liegt es nahe, anhand dieser Installation der spirituellen Kraft nachzuspüren, die eine Kirche erfüllt als dem Raum, worin der Mensch dem Göttlichen in Wort und Sakrament begegnet. Sichtbare und unsichtbare Wirklichkeiten durchdringen sich darin, hier geschieht mehr, als den Sinnen allein zugänglich ist. Die eingezogenen Fäden darf man durchaus auch als Lichtharfe betrachten. Sie erzeugen im Resonanzkörper der Kirche mit Sicherheit einen unhörbaren Ton, wenn sie in Schwingung geraten. Hier zählt der Augenblick.
Rund 50000 Meter Garn wird Elke Maier nach zwei Wochen Ar- beit in der Moritzkirche gespannt haben. Bei aller Vorplanung lässt sie sich „vom Arbeitsprozess leiten“, wie sie die jeweiligen Fäden führt. Es gibt mehrere Haltepunkte in der Apsis, tiefer und höher gelegen. So entsteht der Eindruck, die Strahlen liefen jenseits der Kirchenmauern weiter, so wie sie aus einer unendlichen Ferne in den Sakralraum eingedrungen sind. Elke Maiers Installation bildet einen Ausschnitt ab, ein dreidimensionales Bild, das mit dem Licht auftaucht und versinkt.
Eine spannende Korrespondenz ergibt sich mit der zentralen Skulptur des Christus Salvator von Georg Petel. Er stürmt den Kirchenbesuchern geradezu entgegen, während die Fädenstrahlen Elke Maiers auf ihn und über ihm zulaufen.
Schon mehrere Kirchen hat die 1965 geborene, in Kärnten lebende Künstlerin auf ihre Art interpretiert, angefangen beim Neumünster in Würzburg über die Salzburger Kollegienkirche, der Innsbrucker Kathedrale bis zum Wiener Stephansdom. Bischof Friedhelm Hofmann von Würzburg hatte sie sogar zwei Mal 2008 und 2010 eingeladen. Mal verlaufen ihre Fäden aus der Kuppel zum Boden herab, mal quer durchs Schiff oder wie ein „Fastenschleiertuch“, so der Wiener Titel.
„Beyond Target“ist bis 15. Juli in St. Moritz zu betrachten. Die Kirche ist täglich von 8.30 bis 19 Uhr geöffnet. Am 8. Juli, 15 Uhr, wird ein Kunstgespräch in St. Moritz stattfinden.