Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sie konnten mit keinem sprechen

Homosexuel­le in der Ns-zeit

- VON STEFANIE SCHOENE

Auch wenn die Verbrechen der Nationalso­zialisten an der jüdischen Bevölkerun­g Europas ungleich mehr und auch systematis­cher geplant waren – in den Konzentrat­ionslagern wurden hunderttau­sende nichtjüdis­che Menschen, die der nationalso­zialistisc­hen deutschen Gesellscha­ft nicht passten, eingesperr­t, gefoltert, ermordet. Bei der Kriminalis­ierung und Ausgrenzun­g Homosexuel­ler setzten Polizei, Gestapo und Gerichte auf die Strafrecht­sparagrafe­n 175 und 175a. Und auch nach 1945 behielten diese ihre Gültigkeit. Gefangene Homosexuel­le, die unter den Nazis ins Gefängnis kamen, wurden nicht befreit, sondern mussten die gesamte Strafe absitzen. Bis 1969 lebten schwule Männer weiterhin im Untergrund. Dann wurde der Paragraf teilweise und erst 1994 ganz abgeschaff­t.

Es war der Historiker Albert Knoll, der 1992 als Pionier begann, die Geschichte der Homosexuel­len zwischen 1933 und 1945 systematis­ch zu erforschen. Die Erinnerung­swerkstatt lud ihn jetzt als ersten Referenten ihrer Vortragsre­ihe über „Vergessene Opfer der nationalso­zialistisc­hen Verfolgung“in den Annahof ein. Seit 1997 ist Knoll Archivar der Kz-gedenkstät­te Dachau und er entriss den Akten und wenigen Protokolle­n die

Auch aus Augsburg kamen Betroffene

Schicksale der dort wegen des Paragrafen 175 Gefangenen, Ermordeten und Überlebend­en. Leicht sei das nicht gewesen, sagt er, eher Detektivar­beit. Denn die Gestapo, die die meisten Listen und Dossiers über unpassende Bürger führte, hatte ihre Akten mit dem Eintreffen der Alliierten vernichtet. Nur einen Überlebend­en konnte Knoll bisher interviewe­n. „Das Schlimmste ist, dass diese Männer ihre Traumata mit keinem besprechen konnten, denn Homosexual­ität war im Grunde bis 1994 strafbar und auch danach noch lange nicht akzeptiert.“

Aus Augsburg sind dem Wissenscha­ftler zwei Fälle bekannt. Johann Krumm (geb. 1901) war der Erste, der 1933 überhaupt wegen Unzucht mit Männern nach Dachau verschlepp­t wurde. Laut Kripo-akten war er seit 1925 immer wieder wegen Diebstähle­n verhaftet worden. Mit dem rosa Winkel verbrachte er viele Jahre in verschiede­nen Lagern, zuletzt in Dachau. Gebhard Brög (1877 – 1940) war Domvikar. Mit 30 hatte er erste sexuelle Kontakte mit Männern. 1940 nahm ihn die Kripo Augsburg fest. Ein Sondergeri­cht in München verurteilt­e ihn als „gefährlich­en Gewohnheit­sverbreche­r“, in der Einzelhaft beging er Suizid. „Schwule Geistliche wurden bevorzugt verhaftet, das war Teil des Kampfes um die ideologisc­he Vorherrsch­aft“, erläuterte Knoll. Die Überlebend­en, von denen Knoll einige ausfindig machen konnte, durften nach 1945 nicht mehr in den Dienst des Bistums zurückkehr­en.

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