Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Sie konnten mit keinem sprechen
Homosexuelle in der Ns-zeit
Auch wenn die Verbrechen der Nationalsozialisten an der jüdischen Bevölkerung Europas ungleich mehr und auch systematischer geplant waren – in den Konzentrationslagern wurden hunderttausende nichtjüdische Menschen, die der nationalsozialistischen deutschen Gesellschaft nicht passten, eingesperrt, gefoltert, ermordet. Bei der Kriminalisierung und Ausgrenzung Homosexueller setzten Polizei, Gestapo und Gerichte auf die Strafrechtsparagrafen 175 und 175a. Und auch nach 1945 behielten diese ihre Gültigkeit. Gefangene Homosexuelle, die unter den Nazis ins Gefängnis kamen, wurden nicht befreit, sondern mussten die gesamte Strafe absitzen. Bis 1969 lebten schwule Männer weiterhin im Untergrund. Dann wurde der Paragraf teilweise und erst 1994 ganz abgeschafft.
Es war der Historiker Albert Knoll, der 1992 als Pionier begann, die Geschichte der Homosexuellen zwischen 1933 und 1945 systematisch zu erforschen. Die Erinnerungswerkstatt lud ihn jetzt als ersten Referenten ihrer Vortragsreihe über „Vergessene Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung“in den Annahof ein. Seit 1997 ist Knoll Archivar der Kz-gedenkstätte Dachau und er entriss den Akten und wenigen Protokollen die
Auch aus Augsburg kamen Betroffene
Schicksale der dort wegen des Paragrafen 175 Gefangenen, Ermordeten und Überlebenden. Leicht sei das nicht gewesen, sagt er, eher Detektivarbeit. Denn die Gestapo, die die meisten Listen und Dossiers über unpassende Bürger führte, hatte ihre Akten mit dem Eintreffen der Alliierten vernichtet. Nur einen Überlebenden konnte Knoll bisher interviewen. „Das Schlimmste ist, dass diese Männer ihre Traumata mit keinem besprechen konnten, denn Homosexualität war im Grunde bis 1994 strafbar und auch danach noch lange nicht akzeptiert.“
Aus Augsburg sind dem Wissenschaftler zwei Fälle bekannt. Johann Krumm (geb. 1901) war der Erste, der 1933 überhaupt wegen Unzucht mit Männern nach Dachau verschleppt wurde. Laut Kripo-akten war er seit 1925 immer wieder wegen Diebstählen verhaftet worden. Mit dem rosa Winkel verbrachte er viele Jahre in verschiedenen Lagern, zuletzt in Dachau. Gebhard Brög (1877 – 1940) war Domvikar. Mit 30 hatte er erste sexuelle Kontakte mit Männern. 1940 nahm ihn die Kripo Augsburg fest. Ein Sondergericht in München verurteilte ihn als „gefährlichen Gewohnheitsverbrecher“, in der Einzelhaft beging er Suizid. „Schwule Geistliche wurden bevorzugt verhaftet, das war Teil des Kampfes um die ideologische Vorherrschaft“, erläuterte Knoll. Die Überlebenden, von denen Knoll einige ausfindig machen konnte, durften nach 1945 nicht mehr in den Dienst des Bistums zurückkehren.