Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

P Der Mann und sein Kleid

Lässig ist die Mode heute. Sportlich. Umso auffallend­er, wenn ein Mann Anzug trägt. Doch wer tut das noch – und warum? Nach Maß und von der Stange: Schnittmus­ter der Gesellscha­ft und ihre Geschichte

- Von Daniela Hungbaur

lötzlich waren sie weg. T-shirt und Jeans. In einem feinen blauen Anzug erschien Mark Zuckerberg zur Anhörung vor dem Us-kongress. Sogar mit Krawatte. Auch sie wählte der Facebook-chef in zur Firmenfarb­e passendem Blau. Kritische Beobachter kommentier­ten den neuen Auftritt sofort: Demut will der aufgrund des Datenskand­als mächtig unter Druck stehende Firmenboss mit seiner Outfitwahl zeigen. Seriosität. Respekt. Was doch so ein Herrenanzu­g alles kann.

Kleidung ist Kommunikat­ion. Sie markiert bis heute die gesellscha­ftliche Stellung ihrer Träger, schreibt Anja Meyerrose in ihrem Buch „Herren im Anzug“(Böhlau, 320 S., 40 ¤). An ihr kann man auf den ersten Blick erkennen, mit wem man es zu tun hat. Einen Anzug zieht Mann also nicht nur an. Mann spricht mit ihm. Eine Sprache, die trotz angesagter modischer Lässigkeit gehört, auf die vertraut, die verstanden wird. „Der Herrenanzu­g ist nicht weg“, betont denn auch Robert Stork. Der, etwas längeres, braunes Haar, schicke Brille, feiner blauer Anzug, weißes Hemd, blaue Krawatte, lehnt lässig an der roten Espressoba­r im Herrenmode­geschäft Eckerle in Augsburg. Er ist dort Geschäftsl­eiter. Blickt man nach draußen auf die Straße, schaut sich so um, was Männer heute tragen, kann man auch den gegenteili­gen Eindruck gewinnen. Viele bevorzugen das, was sonst der Facebook-chef favorisier­te: T-shirt und Jeans. Wer es eleganter mag, kombiniert beides mit Sakko oder Blazer. Aber Anzug?

Im Eingangsbe­reich des Herrenmode­geschäfts Eckerle stapeln sich denn auch Freizeithe­mden, teils mit

Gerade jüngere Männer legen Wert auf ihr Äußeres

floralen Mustern in frischen Frühlingsf­arben. Sportliche Polo-shirts, Pullover, Westen. Erst in der zweiten Etage befinden sich die Herrenanzü­ge. Anders als unten dominieren hier Grau, Blau, Schwarz – „Business-anzüge bestechen durch ihre Nichtfarbi­gkeit“, erklärt Stork. Werden sie aber auch noch immer stark nachgefrag­t? „Aber ja. Herrenanzü­ge sind eine Säule unseres Geschäfts, eine sehr stabile.“Noch immer hätten viele Firmen in der Region Dresscodes oder es wird zumindest von den Führungskr­äften Anzug erwartet. Es seien aber nicht nur Managertyp­en, die sich für Anzüge begeistern. „Wir haben auch sehr viele junge Kunden, die viel Wert auf ihr Äußeres legen, die beraten werden wollen, die wirklich Geld ausgeben, um einen gut sitzenden Anzug zu haben“, erzählt Stork.

Die jungen Männer, die wieder verstärkt Lust auf Mode haben, neugierig sind, sind auch die Hoffnung von René Lang. Er ist Präsident des VDMD, des Netzwerks der Mode- und Textildesi­gner in Deutschlan­d. „Der durchschni­ttliche Mann fühlt sich vom Anzug beengt“, sagt Lang. Ist er zu Hause, legt er sofort alles ab und zieht wahrschein­lich eine Jeans an – „eine vermeintli­ch bequeme Hose, dabei ist eine Jeans, die sitzt, eng und nicht bequem“. Bequemer sei dagegen eine Stoffhose. Die wiederum habe aber eben den Ruf des Dresscodes. „Und was über Jahrzehnte Pflicht war, will ich nicht. Das ist ein psychologi­sches Problem.“

Hinzu kommt: „Mode ist in Deutschlan­d kein Kulturgut“, betont Lang. Viele Männer tun sich schwer bei der Farb- und Formwahl, „einfach, weil sie es nicht gewohnt sind“. Was in anderen Ländern ein schicker Anzug ist, ist hierzuland­e ein großes Auto. „Es wer- andere Prioritäte­n gesetzt.“Viele Männer kauften Kleidung, damit sie nicht frieren. Nicht aus Spaß. „Daher geht der deutsche Mann im Schnitt zwei Mal im Jahr zum Herrenauss­tatter seines Vertrauens, sagt dem Verkäufer seines Vertrauens, er soll ihm so und so viele Hosen, Sakkos, Hemden zusammenst­ellen.“Schluss. Alles müsse sofort passen, „weil viel Anprobiere­n wollen die meisten Männer auch nicht“.

Doch es ändere sich etwas. Davon ist Lang überzeugt. Das beobachtet Stork in Augsburg. Viele, gerade jüngere Männer, lernten mit Anzügen zu spielen. Teile zu kombiniere­n, legten Wert auf Passform. Und gerade Beratung tut beim Anzugkauf not. Schließlic­h unterlaufe­n immer wieder grobe Fehler. Fehler, die nur allzu deutlich ins Auge stechen: Hose zu lang, Hose zu kurz, Ärmel zu lang, Ärmel zu kurz, der Kragen steht vom Hals ab, die ganze Jacke bewegt sich, nur weil ein Arm bewegt wird, der Reversbruc­h knickt und man kann ins Sakko hineinscha­uen. Und. Und. Und. Perfekter Sitz ist aber nur das eine. „Ich muss mich in dem Anzug vor allem auch wohlfühlen“, sagt Stork.

Ein anerkannte­r Experte, wenn es darum geht, den Anzug wie eine zweite Haut zu empfinden, ist Detlev Diehm. Der gebürtige Augsburger ist seit über 30 Jahren Herrenschn­eidermeist­er und Modedesign­er. Lange Jahre war er Chefdesign­er bei der Traditions­marke Regent, hat Modelle für Stars wie Roger Moore oder Richard Gere entworfen. Heute ist er selbststän­dig. Wer sein Reich betritt, spürt sofort eine bestimmte Geisteshal­tung, die Noblesse der Welt von gestern. Der 53-Jährige empfängt in einer Villa aus dem frühen 19. Jahrhunder­t. Gelegen in ruhiger Lage in Obermenzin­g in München. Alles in diesem Haus hat Stil. Der Raum, in dem das entscheide­nde Gespräch mit dem Kunden stattfinde­t, wird von einem wandhohen Gemälde doden miniert. Münchner Schule. Max Bergmanns Kühe scheinen direkt ins Zimmer zu marschiere­n. Was für ein Blickfang. Vor dem Gemälde elegante Stühle, ein Tischchen, Nymphenbur­g-service mit Goldrand. Wer hier Platz nimmt, will sich etwas gönnen, kennt die feinen Unterschie­de zwischen Anzug und Anzug, legt Wert auf sein Äußeres, weiß um dessen Wirkung, ist bereit, 3300 Euro und mehr auszugeben.

Es sind Männer, die oft in der Medienbran­che tätig sind, erzählt Diehm. Chefredakt­eure, Schauspiel­er, Architekte­n. Sie kommen zu ihm etwa aus Zürich, Paris, Düsseldorf, aber auch aus Bayern. Diehm zählt etwa 45 Stammkunde­n – sie sind zwischen 35 und 65 Jahre alt. Manchmal ist es auch der Anlass – beispielsw­eise eine Hochzeit – der Männer zum Maßschneid­er gehen lässt. Einen Hochzeitsa­nzug hat Diehm gerade in Arbeit, aber auch Anzüge für den Alltag. Diehm fertigt alles bis zum Knopfloch per Hand. Doch nicht nur die liebevolle Handarbeit, die an den Körper perfekt angepasste­n Formen machen den Unterschie­d. Es sind auch die Stoffe. Diehm hat viele Stoffbüche­r. Wer seine Finger über die verschiede­n verarbeite­te Wolle in unterschie­dlichen Stärken und Mustern gleiten lässt, deren fasziniere­nde Leichtigke­it spürt, versteht, warum schon im 16. Jahrhunder­t feine Baumwollst­offe aus Indien als „gewobener Wind“gepriesen und geschätzt wurden.

Eine große Begeisteru­ng für leichte, aber strapazier­fähige Stoffe entwickelt­e sich früh in England. Beim Landadel. „Reiten, Jagen, Landpartie­n verlangten nach einer Kleidung, die bequem war“, schreibt Anja Meyerrose. Die von der Aristokrat­ie bevorzugte Prachtklei­dung aus Rüschen, Franzen, Brokat und Seide war da eher hinderlich. „In Anlehnung an die Uniform der englischen Kavallerie entwickelt­e sich für diese Tätigkeite­n der riding coat.“Bald begannen die Oberkleide­r, „jetzt dress coats genannt, in die Alltagskle­idung überzugehe­n“. So war es nicht etwa Frankreich oder die Französisc­he Revolution, die dem Anzug zum Siegeszug verhalf, bilanziert Meyerrose, sondern England. Dort bildete sich früh neben besagten Landadel eine neue Klasse von Händlern und Unternehme­rn, die sich auch optisch vom Pomp des Adels abheben wollten. Erfolgreic­he Händler waren es denn auch, die dann die Textilindu­strie aufbauten. „Mit der neuen heterogen zusammenge­setzten Bourgeoisi­e war es zur Ablösung der ständische­n Gesellscha­ftsordnung gekommen“, schreibt Meyerrose. „Die Ideologie des freien Zusammensc­hlusses auf dem Markt drückte sich in der freiheitli­chen Wahl der uniformen Kleidung aus, die Uniform der Bourgeoisi­e setzte sich durch. Prinzipiel­l stand der Anzug als dress coat jedem offen, der den Preis dafür bezahlen kann.“

Doch, wenn alle Anzug tragen können, auch die Arbeiter, wie sich dann abheben von der Masse? Ein Wunsch, der nie verschwind­et. Ein Wunsch, den zu realisiere­n Schneider sich seit jeher in besonderem Maße verpflicht­et sehen. Zumal sie im Zuge der Industrial­isierung um ihre handwerkli­che Kunst kämpfen mussten. Zu ihrem Glück gab es früh den Gentleman, der bewusst keine industriel­l gefertigte Massenware kaufte, sondern Maßanzüge.

Maßanzüge erfreuen sich auch heute wachsender Beliebthei­t. Berichtet doch Diehm, dass sich immer mehr junge Maßschneid­er selbststän­dig machen – auch in Bayern. Dabei verfolgt Diehm selbst noch ein anderes Ziel: Er will die Persönlich­keit

Eine Balance zwischen Seele und der Welt draußen

des Mannes hervorhebe­n. Um sie zu erkennen, führt er zunächst ein langes Gespräch mit seinen Kunden. „Diehm Bespoke Design“heißt denn auch sein Konzept. So erfährt er, was sich der Kunde vorstellt, welche Stoffe passen, welcher Stil bevorzugt wird.

Genau diese persönlich­e Note ist es, die Markus Grob schätzt. Der gebürtige Schweizer war beeindruck­t, als Diehm mit ihm besprach, wie sein Anzug werden sollte, vertraute ihm sofort. Über das Äußere konnte der 65-jährige Schweizer einiges sagen: dunkelblau sollte er sein, die Hose nicht zu weit, ein Zweireiher ja, aber nicht zu bombastisc­h, die Silhouette eher schmal. „Doch eigentlich geht es um etwas anderes“, sagt der Architekt. Es gehe nicht darum, einen teuren Anzug zu bekommen, nicht darum hervorzust­echen, Luxus zu verströmen. „Es geht darum, eine Balance zwischen meinem Innenleben, meiner Seele und der Welt draußen zu schaffen.“Dies gelinge eben nur mit Maßanzügen. Stangenwar­e habe zu sehr etwas Uniformhaf­tes, etwas zur Schau Gestelltes. Dabei haben nur die wenigsten Menschen den Blick dafür, einen Maßanzug zu erkennen. Das ist nicht schlimm, findet Grob: „Ich bin gut gekleidet, fühle mich aufgrund der vorzüglich­en Passform rundum wohl. Mein Anzug macht alles mit. Ich könnte sogar in ihm schlafen. Das reicht.“

Aufsehen soll der Anzugträge­r nicht erzeugen, sagt Diehm. „Der Anzug soll zum natürliche­n Teil des Auftritts werden.“Mark Zuckerberg ist das irgendwie nicht gelungen. Er sieht doch ein wenig aus wie ein Junge im Konfirmati­onsanzug. Als sei ihm der Anzug übergestül­pt worden. Vielleicht ist es nur eine Frage der Glaubwürdi­gkeit. Mann spricht eben mit seinem Anzug.

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 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Detlev Diehm setzt in seinem Atelier in München auf Handarbeit und feinste Stoffe, entstehen doch Herrenanzü­ge, die die Persönlich­keit unterstrei­chen.
Fotos: Ulrich Wagner Detlev Diehm setzt in seinem Atelier in München auf Handarbeit und feinste Stoffe, entstehen doch Herrenanzü­ge, die die Persönlich­keit unterstrei­chen.
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