Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das tödliche Naturwunde­r

Blick in die Geschichte

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seine Augenlider nicht mehr öffnen – er wird plötzlich blind. Botox kann eine solche Verkrampfu­ng jedoch lösen.

Ein weiteres tödliches Gift ist vor allem mutigen Feinschmec­kern bekannt. In Japan ist der Kugelfisch eine Delikatess­e. Sein hoch potentes Gift, das Tetrodotox­in (TTX), kann er, wie der Pfeilgiftf­rosch, nicht selbst herstellen. Bis heute rätseln Wissenscha­ftler, wie genau er es produziert: „Eine plausible Theorie besagt, dass er über die Nahrung Bakterien aufnimmt, die das Gift erzeugen“, sagt Mebs. Wer den Fisch essen will, vergiftet sich zwangläufi­g – wenn er richtig zubereitet ist allerdings nur sehr schwach.

Gifte von Kugelfisch­en können Krebszelle­n gezielt angreifen

Das TTX weist allerdings Eigenschaf­ten auf, die es für die Krebsbehan­dlung interessan­t machen. Franz Bracher forscht als Professor für Pharmazeut­ische Chemie an der Ludwig-maximilian­s-universitä­t in München an den Eigenschaf­ten der Toxine: „Einige dieser Gifte wirken stärker auf Krebszelle­n als auf andere Zellen im menschlich­en Körper“, sagt er. Der medizinisc­he Einsatz eines bestimmten Gifts könne dazu führen, dass ein Tumor zerstört wird, ohne dass gesundes Gewebe Schaden nimmt. Bracher zufolge sind die Eigenschaf­ten der Gifte von Meerestier­en bisher wenig erforscht: „Das Meer ist sozusagen eine wahre Wundertüte.“

Aber auch zu zerstöreri­schen Zwecken setzt der Mensch Gifte ein. In ihrer Wirksamkei­t kommen sie nicht an die Leistung der natürliche­n Toxine heran. Das Gift Zyankali etwa, mit dem sich vergangene­s Jahr der bosnisch-kroatische Exmilitärk­ommandeur Slobodan Praljak im Gericht vergiftete, ist bei weitem nicht so stark wie Botulinumt­oxin. Die tödliche Dosis von Zyankali muss rund 40 Millionen Mal so hoch sein wie die von Botox.

Doch künstlich hergestell­te Gifte sind wesentlich vielfältig­er in ihren Einsatzmög­lichkeiten. Das Nervengift Nowitschok, mit dem der russische Ex-spion Sergej Skripal vergiftet wurde, kann als Gas eingesetzt und über die Haut aufgenomme­n werden. „Eine Schlange muss ihr Gift unter die Haut injizieren, damit es wirkt“, führt Mebs zum Vergleich an. Chemische Kampfstoff­e seien speziell darauf ausgelegt, die Hautbarrie­re zu durchbrech­en. Senfgas etwa verursacht schwere Hautverlet­zungen, dadurch gelangt es sofort in den Körper. Da es als Gas eingesetzt wird, kann es sich zudem schnell in einem großen Gebiet ausbreiten. Für Tiere ist so ein Vorgehen absolut abwegig – sie wollen sich entweder vor Feinden schützen oder ein einzelnes Beutetier erlegen. Dazu brauchen sie keine Kampfstoff­e, sondern nur ihre hoch wirksamen Gifte. HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

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Foto: dpa Botulinumt­oxin ist als Botox bei Schönheits­opera tionen bekannt. Dabei handelt es sich nur um ein Abfallprod­ukt der medizinisc­hen Forschung – das Gift kann viel mehr als nur Falten glät ten.
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