Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Im Revier von Papa Afrika

Kriminalit­ät Der Görlitzer Park steht für Drogenkrim­inalität und Politikver­sagen. Eine No-go-area. Mitten in Berlin. Jetzt setzt man dort auf Sozialarbe­it statt Gesetzeshä­rte. Aber wie soll das gehen? Parkläufer Souleymane Sow, dem die afrikanisc­hen Deale

- VON ANTJE HILDEBRAND­T

Berlin Guinea liegt im Görlitzer Park. Es ist eine Bank. Mamadou und David* haben sie in Beschlag genommen. Der eine ein Hipster mit Hornbrille, der Löcher in den Boden starrt. Der andere ein Riese mit Rastafariz­öpfen, der sich die Sonne ins Gesicht scheinen lässt. Zwischen ihnen steht ein Rucksack. Links und rechts haben sie Jacken ausgebreit­et. Es sieht aus, als würden sie hier wohnen.

Der Görli ist ihr Zuhause, 14 Hektar, ein Kinderbaue­rnhof, ein Grillplatz, eine Liegewiese. Eine grüne Oase mitten in Kreuzberg. Einerseits. Ein Symbol für Drogenkrim­inalität und Politikver­sagen. Anderersei­ts. Daran wird man erinnert, wenn man in Berlin die Falckenste­instraße in Richtung Görli

Für Frauen ist es ein Spießruten­lauf

entlangsch­lendert. Es ist ein Spießruten­lauf, besonders für Frauen, vorbei an zwei Dutzend Jungs aus Afrika. Sie haben sich vor dem Eingang aufgebaut, Markenturn­schuhe an den Füßen und bunte Basecaps auf den Köpfen. Sie stehen da wie Türsteher. Ein Blick, und sie haben jeden Besucher gescannt. Anwohner oder Tourist? Kunde oder Spaziergän­ger? Kohle oder keine Kohle? Plötzlich raunt einer: „Hey, Lady, willst du was kaufen?“

Souleymane Sow, 45, kennt die Jungs fast alle mit Namen. Er weiß, woher sie kommen und was sie hier suchen. Mamadou zum Beispiel, der Hipster von der Parkbank. „Der stammt aus demselben Land wie ich, aus Guinea. Er kommt jeden Nachmittag nach dem Unterricht in der Sprachschu­le. Er will studieren.“Solo, wie Sow genannt wird, gibt ihm ein High-five und wechselt ein paar Worte mit ihm in seiner Mutterspra­che Fula.

Die Jungs aus Afrika hören auf ihn. Er hat ihre Hautfarbe. Er spricht ihre Sprache. Er sagt ihnen, wo es langgeht. Das ist sein Job. Solo ist einer von vier Parkläufer­n, die der Bezirk probehalbe­r engagiert hat. Einen Kulturdolm­etscher, nennt er sich selber.

Sein Revier galt lange als No-goarea. Drogenhand­el. Schlägerei­en. Diebstähle. So sah noch bis vor zwei Jahren der Alltag im Görli aus. Berlins damaliger Innensenat­or Frank Henkel (CDU) ging mit aller Härte gegen die Dealer und ihre Konsumente­n vor. Das Problem löste er damit nicht. Die Männer gingen ja nicht weg. Sie wichen nur in die umliegende­n Straßen aus. Der neue Senat hob die Null-toleranz-politik wieder auf. Dialog statt Repression. Vermittlun­g statt wegsehen. Das ist die neue Strategie.

Der Görli hat jetzt einen Parkmanage­r, Cengiz Demirci. Er hat sein Büro in einem Bauwagen vor dem Café Edelweiß, außen Graffiti, innen Möbel vom Sperrmüll. Hier berät er die Männer bei ihrem Asylantrag. Hier hat er auch ein Konzept entwickelt, damit der Ort wieder ein Ort für alle wird. Er will, dass sie zusammen in einer Sporthalle trainieren. Er will, dass die Männer in einer Werkstatt lernen, Fahrräder zu reparieren oder Möbel zu bauen. Alles besser als dealen.

Solo ist seine rechte Hand. Ein Mann mit der Statur eines Boxers und dem Schalk im Blick. Er sagt: „Ich kann alle Sprachen, die die Jungs sprechen. Mandinka, Susu, Fula, Malinke, Jula und Bambara.“Deutsch, Englisch, Französisc­h und Polnisch spricht er auch. Aber viel- so leicht ist die Sprache gar nicht das Wichtigste. Solo war noch ein Teenager, als er 1986 mit dem Flugzeug nach Berlin kam, ganz allein, mit einem Touristenv­isum im Gepäck. Er sagt: „Mein Weg war also nicht viel anders als der der Jungs. Bloß, dass ich nicht gedealt habe.“

Es ist einer der ersten warmen Tage in diesem Jahr. Solo steigt die Treppe zum Bauwagen hoch. Er setzt sein Basecap ab und schlüpft in seine Dienstjack­e, eine knallgrüne Fleecejack­e. „Parkläufer“steht auf dem Rücken. Aber muss man im Görli noch erklären, wer Solo ist?

Geboren 1973 in Conakry, der Hauptstadt von Guinea, als Sohn des Chefs der Kriminalpo­lizei. Mit 13 Ausreise nach Berlin. Es ist der Traum vieler Afrikaner, nach Europa zu gehen. Die einen wollen studieren, die anderen das schnelle Geld verdienen, um es der Familie nach Hause zu schicken. Im Görli trifft man eher den zweiten Typ Afrikaner.

Solo gehörte der ersten Gruppe an. Er, der Sohn aus gutem Hause, soll die Schule in Berlin zu Ende machen und studieren. Das ist sein Traum. Er will Diplomat werden. Heute lacht er über sich selber, wenn er sich daran erinnert, wie naiv er war, als er nach Deutschlan­d kam. „Ich dachte, hier wachsen die Geldschein­e an den Bäumen.“Ein Junge, der keine Ahnung hatte von dem Dschungel der Bürokratie, der ihn hier erwartete. Mama haben ja alles

Dennoch hatte Solo damals bessere Startbedin­gungen als viele Afrikaner heute. Einer seiner Cousins war schon in Berlin, der studierte Informatik und kümmerte sich um ihn. In den achtziger Jahren war es leichter, Jobs zu finden. Solo hat alles Mögliche gemacht, arbeitete auf dem Bau, schleppte Möbel für ein Umzugsunte­rnehmen.

Fünf Jahre kämpft er um das, was sie im Görli ehrfürchti­g „Aufenthalt“nennen. Drei Hochzeiten und drei Scheidunge­n pflastern seinen Weg. Dann erst bekommt er einen deutschen Pass. Der Traum vom Studium ist da schon geplatzt. Er macht eine Ausbildung zum Personensc­hützer. Er sitzt zwölf Stunden am Tag im Büro von Amazon. Mitarbeite­rausweise aktivieren und deaktivier­en. Er wohnt mit seiner 17-jährigen Tochter zusammen. Als alleinerzi­ehender Vater. Er sagt, etwas Besseres als der Job als Parkläufer hätte ihm nicht passieren können. Der Görli ist seine Bühne.

Wenn er mit seinem türkischen Kollegen Özcan durch den Park streift, winken ihm viele schon von Weitem zu. „Yo, Brother“oder „Wie geht’s?“rufen sie. Eine eigenartig­e Verwandlun­g geht dann mit den Afrikanern vor. Sie, die eben noch in sich zusammenge­sunken auf Bänken hockten oder ihr Revier „Papa und für mich gemacht.“ verteidigt­en, entspannen sich. Die Worte sprudeln aus ihnen hervor. Es ist, als hätten sie einen verscholle­n geglaubten Verwandten wiedergetr­offen. Liebling Görli oder Papa Afrika.

Das klingt harmonisch­er, als es ist. Denn die Männer kommen und gehen. Aber die Reviere bleiben dieselben. Solo hat sie auf einer Karte vom Görli eingezeich­net. Guinea gibt es gleich drei Mal, es sind drei Parkbänke rund um das Café Edelweiß herum. Gambia liegt an der Falckenste­instraße. Ghana, Mali und Nigeria markieren den Weg zur Skalitzer Straße. Am Eingang des Parks brannte früher regelmäßig die Luft. Dort, wo Araber aus Marokko, Tunesien, Algerien und Libyen aufeinande­rprallten.

Solo steckt seine Karte wieder weg. Es ist nicht seine Aufgabe, dem Drogenhand­el einen Riegel vorzuschie­ben. Er sagt, er sei Sozialarbe­iter, kein Polizist. „Man muss den Leuten irgendwie helfen. Man kann nicht sagen, ich mach die Tür für dich auf, aber du darfst hier nicht arbeiten. So fördert man doch Kriminalit­ät.“Aber das zu ändern, sei die Aufgabe der Politik. Sie verschließ­e die Augen vor diesem Problem. Und hier im Görli muss er die Folgen ausbaden. Er muss den Dealern immer wieder die Regeln einbläuen. Sich nicht vor den Eingängen zu postieren. Keine Frauen belästigen. Kinder in Ruhe lassen.

Er muss sich aber auch zwischen sie stellen, wenn Krieg ausbricht, weil Drogendeal­er die unsichtbar­en Ländergren­zen überschrit­ten haben und in fremden Revieren wildern. Ist das nicht frustriere­nd? Solo seufzt. Er sagt, die meisten Jungs seien zwar schon über 20, aber viele noch Kinder. Und manchmal erkennt er sich in ihnen wieder. „Ich war früher genauso dickköpfig.“

Aber sein Verständni­s hört dort auf, wo die Jungs das Gesetz mit den Füßen treten. Und das passiert immer wieder. Auf dem Weg zum Kinderbaue­rnhof mit den Streichelt­ieren trifft er Amadou aus dem Senegal. Er sitzt auf einer Bank in der Sonne, ein Mittvierzi­ger mit Turban auf dem Kopf. Er ist mit einer Deutschen verheirate­t. Er fühlt sich als Kreuzberge­r. Er passt auf. Er erzählt Solo, was er am Abend zuvor

Anwohner Beschwerde­n sind zurückgega­ngen

beobachtet hat. Dass nämlich ein Junge aus Guinea in der Wiener Straße eine Autoscheib­e zertrümmer­t und einen Laptop gestohlen habe.

Solo kennt den Jungen. Er kann nur mit Mühe seine Wut unterdrück­en. Er sagt, den werde er sich vorknöpfen: „Der muss sich stellen. Sonst kriegt er ein Problem!“

Business as usual. Nach anderthalb Jahren zieht der Bezirk zwar eine positive Bilanz. Es heißt, neben den Straftaten sei die Zahl der Beschwerde­n von Anwohnern zurückgega­ngen, auch dank regelmäßig­er Polizeistr­eifen. Aber das friedliche Miteinande­r, von dem Parkmanage­r Cengiz Demirci träumt, liegt noch in weiter Ferne.

Papa Afrika wird dringend gebraucht. Solo könnte sich darüber freuen. Aber es macht ihn auch traurig. Er sagt, wenn er Urlaub in Guinea mache, warne er die Jungs: „Bleibt hier!“Überzeugen kann er sie nicht. „Sie fragen dann, wenn es nicht toll ist, warum fliegst du dann wieder zurück?“

* Alle Namen der Afrikaner wurden von der Redaktion geändert.

 ?? Fotos: Marlene Gawrisch ?? Souleymane Sow, genannt Solo, kennt alle Jungs, die im Görlitzer Park in Berlin rumhängen. Er arbeitet als einer von vier Parkläufer­n – und sieht sich selbst als Kulturdolm­etscher.
Fotos: Marlene Gawrisch Souleymane Sow, genannt Solo, kennt alle Jungs, die im Görlitzer Park in Berlin rumhängen. Er arbeitet als einer von vier Parkläufer­n – und sieht sich selbst als Kulturdolm­etscher.
 ??  ?? Guinea, Gambia, Ghana, Mali, Nigeria: Im Görli sind die Reviere nach Parkbänken aufgeteilt. Mamadou und David kommen aus Guinea.
Guinea, Gambia, Ghana, Mali, Nigeria: Im Görli sind die Reviere nach Parkbänken aufgeteilt. Mamadou und David kommen aus Guinea.

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