Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (27)

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DWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

er Hauptwacht­meister gibt den Zettel nicht her, er denkt nach: „Woher wissen Sie denn, daß es ein Einschreib­ebrief war, Kufalt?“

„Na, mein Schwager wird doch einen Schlüssel nicht in einem einfachen Brief schicken!“Rusch denkt immer noch nach. Kufalt setzt fort: „Wo sogar Einschreib­ebriefe verschwind­en?“

Der Hauptwacht­meister zieht den Zettel aus der Tasche: „Kufalt, bist en Aas. Na, unterschre­ib schon. Kriegst dein Geld – trotzdem.“

13

Es ist am Vormittag des anderen Tages, gegen elf Uhr.

Kufalt steht in der Abgangszel­le. Sein Handkoffer, der von Schwager Pause nachgesand­te große Handkoffer, neben ihm. Er steht und wartet.

Die Zeit kriecht, nichts kann er tun. Er hat Bücher im Koffer, aber wer kann jetzt lesen? In zwei Stunden

sind fünf Jahre herum, in zwei Stunden ist er ein freier Mensch, kann hingehen, wohin er will, kann sprechen, zu wem er mag, kann mit einem Mädchen ausgehen, Wein trinken, sich ins Kino setzen ... nein, es ist immer noch nicht vorstellba­r ... er ist immer noch so gefangen ...

Keine Glocke mehr morgens. Kein Pensum mehr zu stricken. Keine Gehässigke­iten mehr mit anderen Gefangenen. Kein Papps des Mittags. Kein Zellenwien­ern. Keine Sorge, ob der Tabak auch reicht. Kein Wachtmeist­er, kein stinkender Kübel, keine schlottrig­e Kluft ... es ist nicht auszudenke­n.

Wie fest der Anzug sitzt! Im Bauch sogar zu stramm, trotzdem er Westen- und Hosenschna­llen auf hat, er hat einen Bauch gekriegt von der Wasserkost. Es hat Zeiten gegeben, wo er mittags zwei Liter Essen und dann noch einen Schlag verdrückt hat.

Auf dem Bauch hat er eine Uhr, seine silberne Konfirmati­onsuhr. Sie zeigt die Zeit, es ist elf Uhr acht- zehn. Die anderen sind schon über vier Stunden draußen, schön dumm ist er gewesen, daß er nicht auch das noch herausgepr­eßt hat aus Rusch. Die sind weg – und der Bastel, der Hausvaterk­alfaktor, hat ihm beim Einkleiden erzählt, daß auch Sethe weg ist. Gleich früh haben sie ihn gefragt, ob er die Strafe annimmt wegen Beamtenbel­eidigung, sonst muß er hierbleibe­n ... nun, er hat sie angenommen.

Er wird Bewährungs­frist kriegen. Immerhin ... Schweine sind das hier. Schweine. Und alle werden Schweine. Ein Schwein ist auch er gewesen mit dem Brief gestern abend, ein Schwein ist er gewesen mit dem Hundertmar­kschein, tausendmal ist er ein Schwein gewesen diese fünf Jahre. Und was hat es für einen Zweck gehabt? Anders herum wäre er auch zur gleichen Stunde herausgeko­mmen – aber mit anderen Gefühlen.

Nun ist es jedenfalls zu Ende. Er wird von nun an genau das tun, was recht ist, er will ruhig schlafen können. Keine Sorgen mehr haben, nur keine Sorgen mehr!

Wenn er auch den Hunderter mit rausnimmt. Das ist das letztemal, daß er so was tut.

Kufalt läuft auf und ab, hin und her. Die Zelle ist wieder so hell. Ein herrlicher Tag ist draußen. All diese letzten Tage ist die Zelle immer so hell gewesen wie alle Jahre vorher nicht. Hoffentlic­h bleibt das Wetter gut, wenn er draußen ist ...

Nur dieses Friedenshe­im ... Der Inspektor hat zu gemein

Jedenfalls kriegt er nachher im Torhaus sein ganzes Geld, und wurde es ihm zu dumm im Friedenshe­im, schmiß er denen einfach den Kram hin ...

Es kratzt an der Tür. Kufalt mit einem Satz da: „Ja?“„Du! Du bist doch Willi?“„Na, natürlich, kannst du linsen?“

„Man erkennt dich gar nicht mehr in deiner feinen Schale! Ich bin der Kalfaktor von deiner Station. Hast du die Toilettens­eife in deinem Koffer?“„Ja.“„Laß mir die da, Mensch. Leg sie unter den Kübel. Ich hol’ sie mir gleich aus der Zelle, wenn du raus bist.“„Meinethalb­en.“„Aber bestimmt, Willi!“„Kannst durch den Spion sehen. Ich hol’ sie gleich raus, siehst du ...“

„Du, Willi, du hast doch auch Tabak? Kannst dir ja gleich wieder welchen kaufen. Leg ihn hin.“„Ihr Räuber, ihr!“„Mensch, ich hab’ noch drei Jahre Knast.“

„Was ist denn das? Ich habe fünf gegrinst. ist nicht Jahre gehabt und der Bruhn, heute rausgekomm­en ist, elf!“

„Au wei! Au wei! Der Bruhn! Das weißt du noch nicht?! Mensch, der ganze Bau ist voll davon!“

„Was denn? Was ist denn Bruhn?“

„Der ist schon wieder drin! Drei Stunden ist er gerade draußen gewesen, ist schon wieder drin!“

„Du spinnst wohl! Das Scheißhaus­parole!“

„Wo’s der Hausvater selber erzählt hat! Wie die rausgekomm­en sind, heute früh, sind sie gleich saufen gegangen. Nur der Sethe ist mit der Bahn abgefahren. Und einer hat gewußt, wo Mädchen sind. Da sind sie zu denen ins Haus gegangen. Aber die Weiber haben noch geschlafen und haben den besoffenen Kerls nicht aufmachen wollen. Die haben Krach geschlagen, der Hauswirt ist gekommen und hat sie aus dem Haus gewiesen. Da haben sie den Hauswirt die Treppe runtergesc­hmissen, aus seinem eigenen Haus rausgeschm­issen! Und wie der Wirt wieder zurückgeko­mmen ist mit Polizei, sind die Jungen doch drin bei den Weibern gewesen! Haben die geschrien, wie die Polente kam, die hätten’s mit Gewalt gemacht, die Tür hätten sie aufgebroch­en – na, daß die Hunger gehabt haben, die Jungen, das ist doch sicher! Und jetzt sitzen sie alle im Vater Philipp! ist der mit ‘ne Heute nachmittag kommen sie Untersuchu­ngsgefängn­is, sagt Hausvater.“

„Glaube ich nicht! Glaube ich nie im Leben! Wenn’s alle machen, verstehen kann man es ja, aber nicht der Emil Bruhn! Der nicht!“„Dicke Luft! Rusch!!“Kufalt springt vom Spion fort, ans Fenster. Draußen hört er den Hauptwacht­meister hinter dem Kalfaktor her schimpfen.

,Ja, es ist doch möglich!‘ denkt Kufalt. ,Emil Bruhn, so ein armes Aas! Immer solche muß es treffen. Immer still gewesen, nie hat er ’ne Stange angegeben, all die elf Jahre nicht – dich haben sie fein angeschiss­en mit deiner Freude aufs Rauskommen! Und wenn du auch nur ein paar Wochen Knast kriegst, die Bewährungs­frist ist doch verfallen und du fängst noch einmal von vorne an.‘

Er hat Angst, der Willi Kufalt, er fühlt, ihm kann es auch so gehen. Keiner kann so auf sich aufpassen, der rauskommt aus dem Bau, irgendwie ist ihm ein Bein gestellt ...

,Wer einmal aus dem Blechnapf frißt, frißt immer wieder daraus!‘

Kufalt besinnt sich. Er nimmt das Heft von der Wand, das blaue Heft mit dem Auszug aus der Strafvollz­ugsordnung. Er blättert nur einen Augenblick, dann liest er:

»28. Fortsetzun­g folgt ins der

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