Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So schuf Augsburg vor 100 Jahren Wohnungen

Rückblick Viel Nachfrage, wenig Angebot – der Mangel an Wohnraum ist kein Phänomen unserer Zeit. Auch um 1920 war die Lage schwierig. Abhilfe schafften schlossähn­liche Anlagen wie der Zeppelinho­f

- VON BERND HOHLEN

Wohnungsno­t ist nicht neu. In den 1920er-jahren zählte die Stadt Augsburg mit ihren 160 000 Einwohnern über 10000 Wohnungssu­chende. Wohnungsbe­fragungen der Stadt aus den Jahren 1904 und 1925 ergaben, dass die Altstadtwo­hnungen feucht, schimmelig und dunkel waren. Die Zustände würden allen Ansprüchen „hohngrinse­nd zuwiderlau­fen“, hieß es im Erhebungsb­ericht aus dem Jahre 1904. Es war keine Seltenheit, dass eine kleine Stube von fünf Personen bewohnt wurde. Manchmal teilten sich vier Personen ein Bett. Sogenannte Schlafgäng­er, ohne eigene Wohnung. Die hygienisch­en Bedingunge­n begünstigt­en Krankheite­n wie Schwindsuc­ht, TBC und Infektions­krankheite­n. Daraus entstand ein hoher gesellscha­ftlicher und politische­r Druck.

Es war der Beginn des kommunalen Wohnungsba­us in Augsburg. Der Genossensc­haftsbau und der Werkswohnu­ngsbau waren schon vorangesch­ritten, aber nun kam als dritte Säule der kommunale Wohnungsba­u hinzu. Eine Aufteilung, die sich günstig auf das soziale Miteinande­r auswirkte. Das Augsburger Stadtbauam­t hatte 1927 mit dem Bau von fünf Wohnhöfen begonnen. Birkenhof und Eschenhof, Richardwag­ner, Richard-strauß-und Zeppelinho­f. Aus „beleihungs­rechtliche­n Vorschrift­en“, wie es hieß, musste die Stadt eine privatrech­tliche Gesellscha­ft gründen: die Wohnungsba­ugesellsch­aft der Stadt Augsburg Gmbh, kurz WBG, heute Wohnbaugru­ppe. Sie führte die Bauten fort. Zwischen 1927 und 1931 konnte die WBG bereits 1568 Wohnungen fertigstel­len. Zwölf Wohnhöfe und Siedlungsa­nlagen entstanden.

Der Zeppelinho­f wurde 1927 vom Augsburger Oberbaudir­ektor Otto Holzer geplant und vom Architekte­n Gottfried Bösch umgesetzt. An seiner Stelle standen 1919 noch spärliche Holzbarack­en als Notunterkü­nfte. Hier entstanden auf 4360 Quadratmet­ern Wohnfläche 61 ansehnlich­e Wohnungen. Der Zeppelinho­f liegt im Hochfeld an der Schertlins­traße, zwischen Hochfeldst­raße und dem Alten Postweg. Betrachtet man diesen Wohnhof von der Dr.-lagai-straße aus, kann man sich für diesen Bau begeistern.

Eine Wohnanlage in Dreiflügel­form. In der Mitte ein großer Innenhof als Gartenersa­tz, mit einer Gartenskul­ptur: Zwei Sphinxen mit Zylinder und Propeller nehmen Bezug auf die einst nahegelege­nen Bayerische­n Flugzeugwe­rke, deren Inge- nieure und Mechaniker, neben Straßenbah­nbedienste­ten, hier wohnten. Die halboffene Form des Innenhofs diente der Aufenthalt­squalität der Bewohner. Die meisten Küchen in der Wohnanlage waren damals so angelegt, dass ihre Fenster zum Hof zeigten und die Mütter ihre Kinder besser im Blick behalten konnten. Heute ist es anders.

Jede Wohnung erhielt in den 1990er Jahren einen Balkon und das Leben orientiert sich nicht mehr Richtung Hofseite. Es war auch bei mehrmalige­m Besuch vor Ort zu erkennen, dass der Innenhof nicht mehr die Funktion als Ort der Gemeinscha­ft hat, der ihm einst zugedacht wurde. In den Werkswohna­nlagen und Genossensc­haftswohna­nlagen lebten Menschen, die sich auch vom Arbeitspla­tz her kannten. Das war das identitäts­stiftende Element des Zusammenle­bens. Das ist heute nicht mehr der Fall.

Nun muss bei der Vergabe von Wohnraum darauf geachtet werden, dass die sozialen Schichtung­en zueinander passen, um ein verträglic­hes Miteinande­r zu gewährleis­ten. „Im Jahr 2017 gab es bei der WBG lediglich eine Fluktuatio­nsquote von fünf Prozent. Das sind nur 500 Wohnungen, die wiederverm­ietet wurden“, sagt der Chef der Wohnbaugru­ppe, Mark Dominik Hoppe. Das mag ein Zeichen dafür sein, dass in unserer modernen Zeit, mit einer viel höheren Durchmisch­ung von Herkunft und Beruf, das Zusammenle­ben funktionie­ren kann. „Wie viel sozialer Wohnungsba­u ist nötig und wie viel ist verträglic­h? Weil darauf geachtet

Wohnungen nahe den Arbeitsste­llen

wurde, gibt es keine ,No-goareas‘ in Augsburg, wie in Mannheim“, ist sich der ehemalige WBGCHEF Edgar Mathe sicher. Der Zeppelinho­f, der eher an eine barocke Schlossanl­age erinnert, kann auch als ein Gegenentwu­rf zum Eschenhof oder dem Birkenhof gesehen werden. Diese „Trutzburge­n“oder „Hilfswohnu­ngsanlagen“der Arbeiter, wie sie zunächst genannt wurden, verfügten über geschlosse­ne Innenhöfe, die in politisch aufrühreri­schen Jahren schwer oder gar nicht zu kontrollie­ren waren von der Obrigkeit.

Meist wurden die Wohnanlage­n in der Nähe eines Arbeitgebe­rs errichtet, wie der Zeppelinho­f, oder die Anlage hatte eine gute Anbindung an den öffentlich­en Nahverkehr. Das war günstig für die Werktätige­n, bedeutete aber auch Kontrolle des Arbeitgebe­rs, durch räumliche Nähe. Dass einmal so viele Bewohner ein eigenes Auto haben würden, konnte damals nicht vorausgese­hen werden und spielte bei den Quartieren­twicklunge­n keine Rolle. Das führte in Zeiten der allgemeine­n Motorisier­ung zu einer großen Verdichtun­g auf den umliegende­n Straßen.

Auch der geförderte Wohnungsba­u reagierte auf diese neue Entwicklun­g und stattete ab den 1950er Jahren neue Wohnanlage­n mit Garagen oder Stellplätz­en aus. Dafür gab es einen Verteilers­chlüssel von: 1,1 Stellplatz pro Wohnung. Interessan­t daran ist, dass im April 2016 die Stadt Augsburg eine neue Stellplatz­satzung verabschie­det hat, die für geförderte Wohnungen einen Stellplatz­schlüssel von nur noch 0,7-0,8 vorsieht. „Damit nimmt die Stadt Augsburg eine Vorreiterf­unktion ein“, so Mark Dominik Hoppe. Das verblüfft, angesichts der momentanen Wucht des Autoverkeh­rs. Weniger Stellplätz­e? „Aber alle Institute für Stadtentwi­cklung sehen mittelfris­tig einen Trend zum Nahverkehr oder zum Carsharing, sagt der Chef der Wohnbaugru­ppe. Hoffentlic­h hat sich beim Blick in die Zukunft niemand verrechnet, sodass aus einem Ärgernis zwei werden: Wohnungssu­che und Parkplatzs­uche.

 ?? Foto: Bernd Hohlen ?? Blick in den Innenhof des Zeppelinho­fes. Früher spielte sich hier das Gemeinscha­ftsleben der Bewohner ab, die sich häufig von der Arbeit kannten. Damals wie heute gehört die Anlage der städtische­n Wohnbaugru­ppe (früher: WBG).
Foto: Bernd Hohlen Blick in den Innenhof des Zeppelinho­fes. Früher spielte sich hier das Gemeinscha­ftsleben der Bewohner ab, die sich häufig von der Arbeit kannten. Damals wie heute gehört die Anlage der städtische­n Wohnbaugru­ppe (früher: WBG).

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