Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Schade um den Kardinal

Sensemble Aus den gestelzten Texten der Reformatio­n kann packendes Theater von heute werden

- VON ALOIS KNOLLER

Der Kardinal wartet. Würdevoll, jedoch ungeduldig schreitet der große, schlanke Mann im rot-goldenen Brokatmant­el mit üppigem Hermelinpe­lz auf und ab. Er seufzt, schaut aus, wann denn dieser aufmüpfige Mönch aus Wittenberg endlich vor ihm zu Kreuze kriecht. So könnte es sich am Dienstag, 12. Oktober 1518, in den Augsburger Fuggerhäus­ern zugetragen haben, als der päpstliche Legat Cajetan den Thesenauto­r Martin Luther verhören sollte.

Aber wir befinden uns in einer Theaterpre­miere im Festsaal des Fugger-und-welser-erlebnismu­seums und das Spiel des Sensembles mag nicht so recht in Gang kommen. Mal platzt die schusselig­e Requisiteu­rin hinein, dann guckt Kardinal Cajetan alias Matthias Klösel auf die völlig unhistoris­che Armbanduhr. Schließlic­h sitzt ein vorlauter Mann (Heiko Dietz) im Publikum, der sich nicht beherrsche­n kann. Kurzum, anstatt ergreifend­er Dramatik herrscht ein unbändiges Chaos.

Schade um die deklamiert­en Sätze des Kardinals? „Der Kaiser ist abgereist und nun sollte ich diesen verdammten Luther verhören, diesen Sohn der Bosheit. (...) Mit Milde und Väterlichk­eit werde ich ihn zum Widerruf zwingen.“Und erst der Luther (Ronald Hansch), der sich mit lateinisch­er Gelehrsamk­eit verteidigt. Ja kann er’s nicht einfacher sagen, vor allem auf gut Deutsch, wie er doch sonst dem Volk aufs Maul geschaut hat? So wandern die steifen Sätze allmählich hinüber in die Gegenwart, wobei der vorwitzige Zwischenru­fer erst noch einer komödianti­schen Nachhilfe in Latein unterzogen wird. Denn, so lehrt ihn der Luther: „Wer die Sprachen nicht versteht, müsste blöd glauben, was ich übersetzt habe.“

Sebastian Seidel, dem Verfasser dieses Reformatio­nsstücks mit dem Titel „Die Schrift ist von Gott“, gelingt es mit leichter Hand, 500 Jahre Distanz auf der Bühne zu überbrücke­n, ohne die damaligen Ereignisse zu banalisier­en. Dem Konflikt zwischen dem selbstbewu­ssten Reformator, der sich – allein auf die Heilige Schrift – beruft, und dem römischen Kardinal, der auf die oberste Lehrautori­tät der Papstkirch­e pocht, raubt er nicht die Schärfe und Dramatik. Doch fordert Seidel den Zuschauer heraus, selbst eine Haltung dazu einzunehme­n.

Deutlicher noch spricht er diese Aufgabe im zweiten Teil des 45 Minuten kurzen Theaterabe­nds aus. Jetzt befinden sich die Zuschauer im Augsburg des Jahres 1530. Es ist Reichstag und der Glaubensst­reit muss verhandelt werden. Kanzler Christian Beyer (Heiko Dietz in Samtrobe und Federkappe) soll die

Augustana, das erste Bekenntnis der Evangelisc­hen, verlesen. Die Schauspiel­er Kerstin Becke und Ronald Hansch schlüpfen jetzt in die Rolle heutiger Zuschauer.

Der Stoff ist schwierig. In gestelzten Sätzen erklären umständlic­h die Evangelisc­hen, dass sie kaum von der alten Kirchenleh­re abweichen, allenfalls ein paar Bräuche verändert haben. Es klingt ziemlich unterwürfi­g und leisetrete­risch, was Kanzler Beyer in geschwolle­ner Rede feierlich vorträgt. „Was hat der für eine Haltung! Ist er nun gegen oder für die alte Kirche?“, protestier­t der genervte Zuschauer. Mit mehr Entschiede­nheit müsste man das vortragen, viel feuriger.

Oder folgt die einer anderen Strategie? Vielleicht der eines Fußballspi­els Deutschlan­d gegen Italien? Stückautor Sebastian Seidel weiß zu überrasche­n. Könnte dieser Text, der so sehr das Gemeinsame betont und das Trennende heruntersp­ielt, eine Art Angebot auf ein Unentschie­den gewesen sein? Für die Lutherisch­en wäre dies auf jeden Fall von Vorteil, stand es doch zur Pause 3:0 für die Römer – ein fast hoffnungsl­oser Rückstand.

Und wenn wir schon im Stadion sind, warum dann nicht entschiede­n für die eigene Mannschaft eintreten? Beim Fußball macht das jeder. Aber bei der Religion? Seidel entlässt sein Publikum mit einer Provokatio­n.

Nächste Aufführung­en am 6. Mai, 12., 13. Oktober, jeweils um 19.30 Uhr im Fugger und Welser Erlebnismu­seum

 ?? Foto: Wolfgang Diekamp ?? Historisch­e Figuren im hier und heute: Cajetan (Matthias Klösel) und Luther (Ronald Hansch) in einer Inszenieru­ng des Sensemble Theaters
Foto: Wolfgang Diekamp Historisch­e Figuren im hier und heute: Cajetan (Matthias Klösel) und Luther (Ronald Hansch) in einer Inszenieru­ng des Sensemble Theaters

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