Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Echoraum der Historie
Goncourt-preisträger Éric Vuillard las
Gestenreich und ernsthaft, freundlich und zugewandt, sich unermüdlich Notizen machend und als Einziger im gut temperierten Saal stoisch mit hellblauem Schal und dunkelblauer Jacke: So präsentierte sich am Mittwoch, zwei Tage vor seinem 50. Geburtstag, der französische Autor und Prix-goncourt-preisträger Éric Vuillard in der neuen Stadtbücherei. Der Schriftsteller mit dem dichten grauen Haar hatte sich zuvor in Augsburg einige Museen angeschaut – und von den Fuggern und Brecht war denn auch viel die Rede an diesem starken Abend, den der Taschenbuchladen organisiert hatte.
Vuillard stellte sein mit dem wichtigsten französischen Literaturpreis ausgezeichnetes Buch „Die Tagesordnung“(„L’ordre du jour“) vor. In der 118 Seiten knappen Erzählung geht es vor dem Hintergrund der Nazidiktatur um ein Geheimtreffen Hitlers mit 24 führenden Köpfen der deutschen Großindustrie 1933 und um den sogenannten Anschluss Österreichs 1938 – und um die Tatenlosigkeit Englands und Frankreichs. Vuillard, der sich in der Tradition realistischer Literatur nach Victor Hugo und Emil Zola sieht, erschafft in seinem Werk einen neuen Echoraum für bekannte historische Ereignisse.
Ungewöhnlich das große Interesse: Fast 100 Leute waren gekommen, darunter viele Mitglieder der „Association des Familles Francophones“, die dem Autor in ihrer Muttersprache Französisch folgen konnten. Aber natürlich wurde übersetzt. Und Schauspielerin Ute Fiedler las die deutschen Passagen. Die Freiheit des Künstlers ist für Vuillard Verpflichtung und Garant für Glaubwürdigkeit. Fugger habe Albrecht Dürer bezahlt für ein Porträt im Sinne des Auftraggebers, aber kein Industrieller habe Brecht für die Dreigroschenoper bezahlt … Eine Besprechung von Éric Vuillards viel diskutiertem Buch lesen Sie Samstag im Feuilleton.