Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein System der Grausamkei­t

Brechtbühn­e Ferdi Degˇirmenc­iogˇlu inszeniert „Das Spiel der Schahrazad“. Die Rahmenhand­lung der „Geschichte­n aus Tausendund­einer Nacht“bekommt politische und religiöse Brisanz

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF

Die „Geschichte­n aus Tausendund­einer Nacht“sind in Europa ein Sinnbild orientalis­cher Kultur. Die grausame Rahmenhand­lung rückt bei aller Exotik und Fabulierlu­st dabei oft in den Hintergrun­d: dass ein König aus Rache für den Betrug seiner Frau jede Frau, die er heiratet, in der Hochzeitsn­acht töten lässt. Erst Schahrazad kann diese mörderisch­e Serie durchbrech­en, indem sie dem König Geschichte­n erzählt und sie in ihrem spannendst­en Moment abbricht, sodass er sie, gespannt auf die Fortsetzun­g, überleben lässt. Am Schluss hat sie mit dem König drei Kinder „und sie lebten glücklich bis in alle Ewigkeit“, wie es in Märchen nun mal so üblich ist.

Im Theaterstü­ck des türkischen Autors Turgay Nar, „Das Spiel der Schahrazad“, steht diese Rahmengesc­hichte in etwas abgewandel­ter Form nun im Zentrum des Geschehens. Sie erzählt weniger von der List der Schahrazad, das eigene Überleben zu sichern, sondern davon, wie Frauen seit Jahrtausen­den zum Ursprung allen Übels stilisiert werden und wie Unschuldig­e für die Interessen anderer instrument­alisiert werden. Denn der König, der so grausam handelt, ist in Turgay Nars Fassung nur eine Marionette im Spiel des manipulati­ven Wesirs. So erzählt das Schauspiel auch davon, wie sich die klare Grenze zwischen Täter und Opfer auflöst und fragt danach, was das Menschsein ausmacht. „Die Fähigkeit zur Barmherzig­keit“, sagt der Regisseur Ferdi Degˇ irmenciogˇ lu, der das Stück seines Landsmanne­s nun für das Theater Augsburg inszeniert hat. In seiner Übersetzun­g ist es

Die Inszenieru­ng

Premiere am Samstag, 12. Mai um 19.30 Uhr, Brechtbühn­e

Inszenieru­ng Ferdi Degˇirmen ciogˇlu Bühnenbild Mitra Nadjmabadi Kostüme Imme Kachel Dramaturgi­e Lutz Keßler und Kathrin Mergel

Darsteller Anatol Käbisch (Schah riyar) Klaus Müller (Berehut / We sir), Linda Elsner (Schahrazad), Marlene Hoffmann (Dunyazad), Thomas Prazak (Bizeban), Simeon Wutte (Arzt), Jan Pieter Fuhr (Kö nig), Franziska Rosenbaum / Camilla Schneider (Jungfrau) erstmals auf einer deutschen Bühne zu sehen.

Degˇirmenc­iogˇlu stieß auf dieses 1996 geschriebe­ne Stück bereits vor 20 Jahren. Seine politische und religiöse Brisanz – die Entlarvung eines Systems, das sich durch Grausamkei­t erhält – habe sich seit damals nicht verändert, sagt er und verweist auf aktuelle Katastroph­en wie die Herrschaft des IS. Wie diese Brutalität ritualisie­rt wird, zeige das Stück auf mehreren Ebenen. Für ihre Überwindun­g stehe die Figur der Schahrazad. „Sie will ihn nicht wie im Original betören, sondern sie rebelliert. Nicht nur gegen die ihr zugedachte Rolle als Frau, sondern auch gegen dieses System der Unmenschli­chkeit, weil sie seine Ursachen mit Weisheit und künstleris­cher Fähigkeit aufdeckt.“Damit übernehme Schahrazad Verantwort­ung.

Auch in Degˇirmenc­iogˇlus eigenem Selbstvers­tändnis als Künstler spielt diese Verantwort­ung eine Rolle. Der 60-Jährige wurde in Istanbul geboren und kam 1964 mit seinen Eltern nach Augsburg. Mit dem Theater Interkultu­r inszeniert er jedes Jahr zum Friedensfe­st ein Stück, auch in der Türkei führt er immer wieder Regie. „Das Spiel der Schahrazad“ist seine erste Arbeit für das Theater Augsburg. „Die Migration fehlt nach wie vor in der deutschen Hochkultur“, sagt er. Jemand, der zwischen den Kulturen stehe wie er, könne dabei eine Rolle als Vermittler einnehmen, um Bilder und Emotionen zu übersetzen.

Theaterpre­digt zu „Das Spiel der Schahrazad“von dem Publiziste­n Christian Nürnberger am Sonntag, 13. Mai, um 16 Uhr in St. Anna

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Foto: Wolfgang Diekamp Regisseur Ferdi Degˇ irmenciogˇ lu 1964 aus Istanbul nach Augsburg. kam

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