Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Mehr Sexualstra­ftaten – doch was bedeutet das?

Statistik Während die Kriminalit­ät allgemein sinkt, gibt es ein Plus bei Sexualdeli­kten und schweren Körperverl­etzungen. Wir erklären, was die Zahlen der Polizei über die Sicherheit­slage verraten. Und welche Fragen sie nicht beantworte­n

- VON JÖRG HEINZLE

Augsburg gilt als zweitsiche­rste Stadt unter den deutschen Großstädte­n mit über 200000 Einwohnern. Ist die Lage wirklich so gut?

Grundsätzl­ich kann man sagen: Ja. Der Zahl der gemeldeten Straftaten ist in vielen Bereichen zurückgega­ngen. Der positive Trend gilt für die Straßenkri­minalität, die viel über die Sicherheit im öffentlich­en Raum aussagt. Er gilt aber auch für Diebstahls­delikte, wozu Einbrüche zählen, und für Betrugsfäl­le. Bei den Fällen von gefährlich­er oder schwerer Körperverl­etzung gibt es eine Zunahme. Von 640 angezeigte­n Taten im Jahr 2014 auf zuletzt 733 Taten im Jahr 2017. Hier liegt Augsburg auch im bundesweit­en Vergleich der Großstädte nur im Mittelfeld. Eine Zunahme gab es zuletzt auch bei Raubdelikt­en. Allerdings ist es keine dramatisch­e Entwicklun­g – sie liegt im Korridor der vergangene­n Jahre und Jahrzehnte.

Bei den Sexualstra­ftaten ist die Zunahme dagegen sehr deutlich. Wie lässt sich das erklären?

Diese Entwicklun­g fällt auf: Zwischen 2016 und 2017 ist die Zahl der Sexualstra­ftaten von 150 auf 215 gestiegen. Ein Plus von 43 Prozent. Bei Vergewalti­gungen ist der Sprung auch deutlich. Von 23 Fällen auf 34. Allerdings lassen sich die Jahre 2016 und 2017 schlecht vergleiche­n. Das Sexualstra­frecht wurde Ende 2016 verschärft. Vorher musste ein Opfer sich körperlich gegen einen Übergriff wehren, damit die Tat als Vergewalti­gung eingestuft wurde. Jetzt reicht ein „Nein“. Neu eingeführt wurde der Straftatbe­stand der sexuellen Belästigun­g. Hier zählte die Polizei voriges Jahr 55 Fälle. Früher wurden solche Delikte oft anders eingestuft, etwa als Beleidigun­g. Sie tauchten dann nicht als Sexualstra­ftat in der Statistik auf.

In Augsburg wohnen rund 296000 Menschen. Sind 215 Sexualstra­fta- ten da nicht eine sehr kleine Zahl? Kann das überhaupt stimmen?

Sicher ist: Es gibt in Augsburg mehr sexuelle Übergriffe als die in der Statistik genannte Zahl. Das liegt aber nicht daran, dass die Polizei die Zahlen fälschen würde – das wird vor allem von Rechtspopu­listen oft unterstell­t. Es hat einen anderen Grund: Die Polizei kann nur jene Fälle zählen, die ihr bekannt werden. Zeigt ein Opfer den Täter nicht an, taucht der Fall nicht auf. Exper- ten gehen davon aus, dass vor allem Sexualstra­ftaten innerhalb von Beziehunge­n oft nicht angezeigt werden. Es dürfte hier – schon immer – eine erhebliche Dunkelziff­er geben. Bei Opfern, die von einem fremden Täter überfallen werden, ist die Anzeigeber­eitschaft hoch. Bei diesen sogenannte­n überfallar­tigen Vergewalti­gungen dürfte die Statistik die Realität gut abbilden. Im Jahr 2017 gab es in Augsburg drei solche Sexattacke­n, zwei wurden von Asylbe- werbern begangen. 2016 waren es fünf Fälle, 2015 drei Fälle und 2014 sieben Fälle. Die Kripo arbeitet hier sehr gut: Die Aufklärung­squote bei überfallar­tigen Vergewalti­gungen ist hoch. Im vorigen Jahr lag sie bei 100 Prozent. Kein Fall blieb ungelöst.

Was bedeutet die Aufklärung­squote überhaupt?

Die Aufklärung­squote gibt an, in wie vielen Fällen die Polizei einen Tatverdäch­tigen ermitteln konnte. Bei Mord und Totschlag etwa ist die Quote meist sehr gut. In den vergangene­n Jahren lag sie hier bei 100 Prozent. Es gibt aber auch Bereiche, in denen es nicht so gut aussieht. Bei Autoaufbrü­chen lag die Quote zuletzt bei nur 9,7 Prozent. Das heißt, nur in jedem zehnten Fall ermittelte die Polizei einen Verdächtig­en. Es ist hier aber auch deutlich schwierige­r, weil es keine Beziehung zwischen Täter und Opfer gibt und meist nur wenige Spuren. Bei Drogendeli­kten liegt die Aufklärung­squote wiederum oft bei fast 100 Prozent. Hier aus einem anderen Grund: Drogendeli­kte werden in der Regel nur aufgedeckt, wenn die Polizei kontrollie­rt. Wird jemand erwischt, hat man auch einen geklärten Fall. Man muss zudem wissen: Die Statistik stützt sich auf die von der Polizei festgestel­lten Tatverdäch­tigen. Es sagt noch nichts darüber aus, ob diese Verdächtig­en am Ende wirklich von einem Gericht verurteilt werden.

Sind die Zahlen der Kriminalst­atistik überhaupt aussagekrä­ftig?

Tatsächlic­h liefert die Statistik kein komplettes Bild der Kriminalit­ät. Aber sie liefert doch gute Anhaltspun­kte dafür, wie sich die Sicherheit­slage entwickelt. Für Vergleiche wird meist die Gesamtzahl aller angezeigte­n Straftaten betrachtet. Das sagt aber nur wenig aus. Ein Beispiel: Wenn sich die Zahl der Gewalttate­n deutlich erhöht, die Zahl der erwischten Schwarzfah­rer aber entspreche­nd sinkt, bleibt die Kriminalit­ät insgesamt gleich. Die Sicherheit­slage verschlech­tert sich aber. Deshalb lohnt es sich, genauer auf die Zahlen zu schauen. Zum Beispiel auf die Raubüberfä­lle: Hier liegt Augsburg im Vergleich aller 81 deutschen Städte mit über 100000 Einwohnern auf einem guten neunten Rang. Nur in acht Städten gibt es, im Verhältnis zur Einwohnerz­ahl, noch weniger Raubdelikt­e. Oder beim Thema Einbruch: Augsburg liegt hier im Vergleich der 81 Städte sogar auf dem zweitbeste­n Platz. Nur in Erlangen gab es im Jahr 2017 noch weniger Einbrüche im Verhältnis zur Einwohnerz­ahl.

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