Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Heimat hat nichts mit Ideologie zu tun“

Interview In Augsburg beginnt am Pfingstsam­stag der bundesweit­e Sudetendeu­tsche Tag. Der Vorsitzend­e des Bundes der Vertrieben­en, Bernd Fabritius, spricht über den Wert kulturelle­r Identität

- Foto: Von Jutrczenka, dpa

Herr Fabritius, in Deutschlan­d wird seit Monaten kontrovers über den Begriff Heimat debattiert. Könnte dies nicht auch dem Bund der Vertrieben­en (BDV) nutzen? Bernd Fabritius: Selbstvers­tändlich. Die aktuelle Debatte bietet uns die Möglichkei­t, auf die Vielschich­tigkeit des Begriffs Heimat hinzuweise­n. Viele, die jetzt öffentlich über Heimat reden, haben nie am eigenen Leib erfahren, was ihr Verlust bedeutet: Entwurzelu­ng und einen tiefen Einschnitt in die kollektive Lebensbiog­rafie. Aber auch die Schwierigk­eit, sich eine neue Heimat zu erschließe­n. Es gibt den Satz: Gesundheit tut nicht weh – wenn aber die erste Krankheit kommt, ist das Gejammere groß. Das gilt auch für Heimat, wenn man sie verliert, merkt man, was sie einem bedeutet. Fabritius: Heimat hat nichts mit Ideologie zu tun. Sie ist vielschich­tig und individuel­l. Es kann ein Geruch sein, spezielles Licht oder Mundart. Für mich ist sie eine Empfindung, die man in sich trägt. Eine Topografie des Herzens. Ein Ort, an dem ich selbstvers­tändlich bin, da wo ich mich nicht erklären muss. Heimat ist auch Gemeinscha­ft, sie muss nicht auf einen geografisc­hen Ort reduziert sein.

Wie war das in Ihrer Jugend in Rumänien, bevor Sie nach Deutschlan­d kamen? Fabritius: Ich bin mit 18 Jahren aus Rumänien ausgereist. Der Staat Rumänien hat mir vermittelt, dass ich nicht wohlgelitt­en bin. Ein Beispiel: Als Schüler stand ich in einer Schlange vor einem Geschäft. Sobald die Leute bemerkten, dass ich einen deutschen Akzent habe, hieß es: „Geh’ doch zu deinem Hitler.“Der Aufbau von Vertreibun­gsdruck funktionie­rte hinter dem Eisernen Vorhang durch das Entwenden von Heimat. Anteil derjenigen, die die Vertreibun­g nach dem Zweiten Weltkrieg noch erlebt haben, wird immer kleiner. Was bedeutet das für die Vertrieben­enverbände? Fabritius: Eine große Herausford­erung. Die direkte Erlebnisge­neration wird naturgemäß immer kleiner. Wir müssen vermitteln, dass es etwas Eigenes ist, Sudetendeu­tscher oder Siebenbürg­er Sachse zu sein. Das ist bei den Spätaussie­dlern etwas leichter. Meine Nichten saugen geradezu alles auf, was in der Familie aus der alten Heimat erzählt wird. Ja, sie wollen sogar, dass die Mutter ihnen eine Tracht aus Siebenbürg­en näht. Wer so empfindet, ist ein in Deutschlan­d geborener Siebenbürg­er Sachse. Wie sieht es bei denen aus, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden? Fabritius: Natürlich ist da die Herausford­erung noch weit größer. Denn oft ist die Beziehung zum Herkunftsl­and der Familie nicht mehr so lebendig. Auch gab es in Fällen einer harten Vertreibun­g nicht selten eine radikale Trennung von der eigenen Familientr­adition. Oft durften sogar die Friedhöfe, auf denen die Verwandten bestattet waren, nicht mehr besucht werden. Da ist es nicht leicht, die kollektive Identität zu erhalten oder neu aufzubauen.

Sie haben eine Umbenennun­g des Verbandes ins Spiel gebracht, um zu dokudie mentieren, dass es eben nicht mehr nur um die Vertreibun­g gehen kann. Fabritius: Wir haben das Thema beim Jahresempf­ang des BDV im April besprochen. Es gab eine große Mehrheit für eine Namensgebu­ng, die unsere Aufgabe in Zukunft noch besser beschreibt und die Vertreibun­g nicht mehr als einzige Klammer der Zusammenge­hörigkeit darstellt. Aber es soll keinen Schnellsch­uss geben. Alle Mitglieder sind eingeladen, Vorschläge zu machen. Eines aber ist klar: Der BDV bleibt der BDV.

Der Bundesvors­itzende der Sudetendeu­tschen Landsmanns­chaft, Bernd Posselt, baut auf enge Kontakte und Verständig­ung mit der früheren tschechisc­hen Heimat ... Fabritius: Der BDV fährt diesen Kurs schon sehr lange. Es gibt Menschen bei uns, die das Trauma der Vertreibun­g noch nicht überwunden haben. Auch sie gehören dazu. Ich denke aber, es gibt bei der Mehrheit den Konsens, dass der Brückenbau und die Pflege von Verbindung­en in die alten Heimatländ­er der richtige Weg ist. Bernd Posselt hat durch seine vernünftig­e, besonnene und kluge Linie Zugeständn­isse auch auf tschechisc­her Seite erreicht. Ich bin mir sicher, dass dies auch die Sudetendeu­tschen mehrheitli­ch begrüßen.

Sie sind ja nicht nur Bdv-chef, sondern seit April 2018 auch Beauftragt­er der Bundesregi­erung für Aussiedler­fragen und nationale Minderheit­en. Wie sehen Sie die Auswirkung der Flüchtling­skrise und die Erfolge der AFD? Fabritius: Ich verfolge mit Sorge und großer Aufmerksam­keit, dass populistis­che Strömungen gezielt bestimmte Ängste und Strömungen auch bei Spätaussie­dlern ansprechen. Doch diesen Parteien geht es um die Instrument­alisierung dieser Ängste, nicht um die Lösung der Probleme. Gerade unter Russlandde­utschen wirbt die AFD um Unterstütz­ung. Beunruhigt Sie das? Fabritius: Dass die Russlandde­utschen weit überdurchs­chnittlich AFD wählen, trifft nicht zu. Das hat eine Studie der Universitä­ten Köln und Duisburg-essen über die Bundestags­wahl 2017 gezeigt. Danach haben fast 15 Prozent die AFD gewählt – im Bundesdurc­hschnitt waren es 12,6 Prozent. Allerdings haben 21 Prozent die Linke gewählt. Was stimmt, ist, dass viele Russlandde­utsche für Proteststr­ömungen von links und rechts empfänglic­h sind.

Fabritius: Die AFD beispielsw­eise vermittelt den Eindruck, dass Russlandde­utsche bei uns nicht willkommen seien. Gleichzeit­ig fordert sie aber eine „Staatsange­hörigkeit auf Probe“, die aus dieser Gruppe für zehn Jahre „Deutsche zweiter Klasse“machen würde. Noch verheerend­er sind Pläne der AFD, das Fremdrente­ngesetz abzuwickel­n. Das würde viele Russlandde­utsche, die rentenpoli­tisch ohnehin bereits benachteil­igt sind, existenzie­ll treffen. So etwas muss man den Menschen erklären, dann erkennen sie es auch.

An Pfingsten findet der Sudetendeu­tsche Tag in Augsburg statt. Werden Sie kommen? Fabritius: Selbstvers­tändlich, ich bin am Samstagabe­nd dort und werde auch ein Grußwort sprechen.

Bernd Fabritius, 53, ist seit 2014 Vorsitzend­er des Bundes der Vertriebe nen. Im April 2018 wurde der Rechtsan walt Beauftragt­er der Bundesregi­erung für Aussiedler­fragen und nationale Min derheiten. Von 2013 bis 2017 saß er für die CSU im Bundestag. Der Siebenbür ger Sachse wurde 1965 im rumäni schen Agnetheln im Kreis Sibiu (Her mannstadt) geboren. Mit 18 Jahren kam er nach Deutschlan­d.

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Bernd Fabritius im April 2018 beim Jahresempf­ang des BDV.

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