Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Kärnten bis Kanada: Wo es mit Wohnmobil besonders schön ist 17
Pierre Dalbéra, afp, Nils Hasenau/glasgow Life Teppichreste sezieren und nachweben und die originalen Bleiglasfenster zu Spezialisten schicken, um sie wieder herzurichten.
Sinclair erzählt, wie sie schon als Schulkind durch die Kelvingrovegalerie zur Kunstliebhaberin wurde. Nun, einige Jahrzehnte später, steht sie am östlichen Ende der Sauchiehall Street in den ehemaligen Willow Tearooms. Sie ist eine Geschäftsfrau, eigentlich alt genug, um sich zur Ruhe zu setzen. Doch wie sie zwischen Gerüsten und Abdeckplanen steht und voller Leidenschaft von der Original-holztreppe oder dem Kernstück der Tearooms, dem „Salon de Luxe“, erzählt, scheint es, als wäre die Schottin aus dem gleichen Holz geschnitzt wie einst Catherine Cranston, eine der ersten Karrierefrauen von Glasgow.
„Mackintosh at the Willow Tearooms“wird das Gebäude nach der Wiedereröffnung heißen und nicht nur Tee ausschenken, sondern auch Schulklassen über den Glasgow Style aufklären und Touristen ein umfassendes Bild von Mackintosh vermitteln. Sinclair und ihre Mitarbeiter gehen davon aus, dass allein in diesem Jahr 200000 Besucher kommen werden. „Es hat mich immer überrascht, dass Mackintosh im Ausland viel beliebter ist als in seiner Heimat“, sagt Sinclair. Für sie vollkommen unverständlich.
Tatsächlich kam einer der ersten großen Aufträge, die Mackintosh zu Lebzeiten erhalten hatte, aus Deutschland: Die Künstlergruppe „The Four“, bestehend aus Mackintosh, seiner Frau Margaret Macdonald, deren Schwester Frances und ihrem Ehemann Herbert Mcnair, machte sich vor allem Ende des 19. Jahrhunderts einen Namen in der Szene der Dekorativen Kunst. In einer deutschen Zeitschrift erschien damals ein Artikel über das Kollektiv – und der Herausgeber war so überzeugt von Mackintosh, dass der Münchner ihn beauftragte, sein Esszimmer zu gestalten.
Die gleiche Hingabe gegenüber Mackintosh wie Museums-kuratorin Alison Brown oder Unternehmerin Celia Sinclair legen auch die Mitarbeiter im Visitors Center der Glasgow School of Art an den Tag. Um von den Willow Tearooms dorthin zu gelangen, muss man nur um ein paar Ecken biegen und eine der steilen Straßen hinauflaufen, die immer wieder als Filmsets dienen – denn optisch sind einzelne Abschnitte der Stadt kaum von San Francisco oder Philadelphia zu unterscheiden.
Vor dem historischen Teil der Glasgow School of Art angekommen, versperren allerdings Baugerüste und Sicherheits-stellwände nicht nur die Sicht, sondern auch den Zugang zu dem Gebäude aus schmutziggelbem Sandstein. Der Westflügel der Kunsthochschule, die 1909 nach den Plänen von Mackintosh fertiggestellt wurde, brannte 2014 fast vollständig aus. Schuld war ein defekter Overheadprojektor im Keller. „Das Feuer
Was Mackintosh geplant hat, wirkt heute noch modern
war eine große Tragödie“, sagt Allen White bei einer Führung durch das Visitor Center gegenüber der Baustelle. Doch die Schotten formten aus der Tragödie eine Chance: Eine Restaurierung des gesamten Gebäudes war längst überfällig – Generationen von Studenten hatten ihre Spuren hinterlassen, jetzt werden nicht nur die Brandschäden behoben, das ganze Gebäude wird überholt.
White, selbst Absolvent der Glasgow School of Art, steht vor einem detailgetreuen Modell der Kunsthochschule, hinter ihm ist durch das Fenster des Visitor Centers das in Gerüste gekleidete Original zu sehen. Er zeigt auf die großen Fenster an der Nordfront, die den Künstlern in den Ateliers beste Lichtverhältnisse bieten. Die Fenster gehen über zwei Etagen und waren für die damalige Zeit ungewöhnlich. „Mackintosh war erst 28 Jahre alt, als er das Haus designte“, sagt White. „Wenn man das Gebäude anschaut, wirkt es immer noch modern. Und das macht seinen Stil aus.“
Egal ob Brown, Sinclair oder White – für die Glaswegians scheint Mackintosh ein unantastbarer Urahn zu sein. Ein Halbgott aus der Vergangenheit, der in der gesamten Stadt seine Spuren hinterließ. Nicht nur im Kelvingrove Museum, in den Willow Tearooms oder der Glasgow School of Art – auch zwischen viktorianischen Prachtbauten und dunklen Betonklötzen aus den sechziger Jahren versteckt sich Mackintosh. Mal nur als einfaches Portal, mal als ganzes Gebäude wie das ehemalige Hauptquartier der schottischen Tageszeitung in der Buchanan Street. Man merkt, dass ein Mann eine ganze Stadt geprägt hat. Wie in Barcelona.