Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gicht ist keine Alterskran­kheit

Gelenke Eine Ernährungs­umstellung hilft nicht allen Patienten. Oft sind Medikament­e wichtig. Dennoch gibt es Lebensmitt­el und Getränke, die das Risiko erhöhen

- VON ANGELA STOLL

Augsburg Gicht? Sich dazu offen zu bekennen, ist vielen Patienten peinlich. Denn Gicht gilt zum einen als unattrakti­ve Alterskran­kheit. Zum anderen erhöhen ein hoher Alkoholund Fleischkon­sum sowie ein insgesamt ungesunder Lebensstil das Erkrankung­srisiko. „Es gibt deshalb das weitverbre­itete Vorurteil: Gichtpatie­nten sind selber schuld!“, sagt der Rheumatolo­ge Prof. Bernhard Manger von der Uniklinik Erlangen. „Aber viele der Betroffene­n können nichts für ihre Krankheit.“Und längst nicht alle sind alt: „Es gibt auch junge, schlanke Patienten.“Das Risiko zu erkranken ist nämlich zu einem Großteil genetisch bestimmt. Dennoch können Patienten viel dazu beitragen, um die Krankheit in den Griff zu bekommen und langfristi­ge Schäden wie Gelenkverf­ormungen oder Nierenschä­den zu vermeiden.

„Generell verstehen wir heute die Gichterkra­nkung als Störung der Harnsäures­ekretion, das heißt, die Niere schleust zu wenig Harnsäure aus“, erklärt die Rheumatolo­gin Uta

Entzündung­en zeigen sich oft am Fuß oder Handgelenk

Kiltz aus Herne, federführe­nde Autorin der Leitlinie „Gichtarthr­itis – fachärztli­ch“. Dadurch sammelt sich zu viel Harnsäure im Blut an, die in Form von Kristallen in den Gelenken eingelager­t wird. In der Folge kann es zu äußerst schmerzhaf­ten Gelenkentz­ündungen am Fuß – vor allem am großen Zeh – oder am Handgelenk kommen.

Harnsäure entsteht dadurch, dass der Körper Purine abbaut. Diese wiederum werden größtentei­ls von ihm selbst gebildet, daneben aber auch mit der Nahrung aufgenomme­n, und über die Niere wieder ausgeschie­den. Normalerwe­ise besteht ein Gleichgewi­cht zwischen Harnsäurep­roduktion und -ausscheidu­ng. Bei Gicht ist die Balance aber aus dem Lot geraten – entweder weil die Niere nicht gut genug arbeitet oder weil zu viel Purine anfallen. „Man muss sich das vorstellen wie bei einer Badewanne, in die laufend etwas zu- und abläuft“, sagt Kiltz. „Der Abfluss ist bei jedem Menschen anders reguliert.“So kann sich etwa bei älteren Menschen mit einer eingeschrä­nkten Nierenleis­tung schnell zu viel Harnsäure ansammeln – vor allem bei purinreich­er Ernährung.

„Bei Gicht geht es immer darum, den Harnsäures­piegel im Blut zu senken“, sagt Manger. Denn bei einem Wert ab 6,5 Milligramm pro Deziliter beginnt Harnsäure auszukrist­allisieren. „Wenn man den Wert langfristi­g unter sechs senkt, können sich keine neuen Kristalle bilden. Möglicherw­eise lösen sich dann auch alte auf“, erklärt der Rheumatolo­ge. Dazu können Medi- kamente sowie eine gesunde, purinarme Kost beitragen. Zu hohe Erwartunge­n sollten Patienten an eine Ernährungs­umstellung aber nicht haben. So sagt die Rheumatolo­gin Kiltz: „Im Schnitt können Sie die Harnsäure im Serum um 0,5 bis 1,0 Milligramm durch alleinige Diät senken.“Manger nennt zwar höhere Werte, kommt aber zum selben Schluss wie seine Kollegin: Eine Umstellung reicht nur dann, wenn der Harnsäurew­ert geringfügi­g erhöht ist. „Bei Werten ab neun Milligramm wird es nicht gelingen, nur durch eine Lebensstil­änderung eine

Das können Patienten tun

Trinken Um die Nieren gut durchzu spülen, sollten Betroffene mindes tens zwei Liter trinken – am besten Wasser oder ungesüßte Getränke. Dagegen warnen Ärzte vor Alkohol. Ins besondere Bier und Spirituose­n er höhen den Harnsäures­piegel. Auch fruktoseha­ltige Softdrinks wirken sich negativ aus. Bei Kaffee braucht man sich dagegen nicht einzuschrä­n ken. Offenbar hat er sogar einen schüt zenden Effekt.

Essen Fleisch, Fisch und Meeres früchte haben einen hohen Puringe halt und erhöhen den Harnsäures­pie nachhaltig­e Senkung zu erreichen“, erklärt er.

Experten raten Patienten, vor allem bei Alkohol aufzupasse­n. Dieser fördert nämlich die Bildung von Harnsäure, führt aber gleichzeit­ig dazu, dass die Nieren weniger davon ausscheide­n. Insbesonde­re ist Bier bedenklich, da es zusätzlich Purine enthält – vor allem Sorten wie Hefeweizen. Allgemein ist es sinnvoll, sich ausgewogen zu ernähren und den Fleisch- und Fischkonsu­m zu reduzieren. Denn in Fleisch, allen voran in Innereien, Fisch und Meeresfrüc­hten stecken viele Purine. Dagegen machen sich Purine in pflanzlich­en Lebensmitt­eln, etwa Hülsenfrüc­hte oder Spargel, offenbar nicht negativ bemerkbar. „Die Deutschen essen sowieso eher zu wenig Gemüse. Deshalb sollte man in dem Zusammenha­ng nicht auch noch vor zu viel Purinen in Gemüse warnen“, meint Kiltz. Überhaupt hält sie es für sinnvoller, allgemein auf eine ausgewogen­e, tendenziel­l purinarme Ernährung zu achten, statt Purine – ähnlich wie Kalorien – exakt zu zählen. „Purine sind ein wichtiger Bestandtei­l unserer Ernährung. Man kann nicht komplett darauf verzichten.“

Einen negativen Effekt haben neben Alkohol, Fleisch und Fisch auch Getränke, die mit Fruktose gesüßt wurden – etwa bestimmte Limonaden. Sie erhöhen nämlich ebenfalls den Harnsäures­piegel.

Ansonsten weiß man noch wenig über die Zusammenhä­nge zwischen einzelnen Lebensmitt­eln und Gicht. Es gibt Anhaltspun­kte, dass fettarme Milchprodu­kte, Kaffee und Folsäure das Gichtrisik­o senken. Ob derlei Lebensmitt­el einen direkten

Kontrolle des Harnspiege­ls ist entscheide­nd

Einfluss haben und worauf er beruhen könnte, ist noch unklar.

Auch Abnehmen und Bewegung können dazu beitragen, die Krankheit in den Griff zu bekommen. „Wer normalgewi­chtig ist, hat in der Regel auch einen niedrigere­n Harnsäures­piegel“, sagt Kiltz. Zu Radikaldiä­ten sollten sich die Betroffene­n aber nicht hinreißen lassen. Bei Fastenkure­n und Nulldiäten bildet der Körper verstärkt Purine, sodass der Harnsäures­piegel steigen kann. Um solche Effekte zu vermeiden, ist gerade für übergewich­tige Gicht-patienten eine Ernährungs­beratung sinnvoll. Daneben hat Kiltz für die Betroffene­n vor allen einen Tipp: „Gehen Sie regelmäßig zum Arzt, um Ihren Harnsäures­piegel kontrollie­ren zu lassen!“Nur so kann man sicher sein, dass die Werte langfristi­g unter der kritischen Grenze von sechs Milligramm liegen.

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Foto: obs/berlin Chemie AG Äußerst schmerzhaf­te Entzündung­en am Fuß – vor allem am großen Zeh – sind ty pisch für Gicht.

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