Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was macht der Buchhandel im Nobelpreis Loch?

Literatur Die Akademie in Stockholm ist nach diversen Skandalen handlungsu­nfähig. In diesem Jahr wird kein Schriftste­ller geehrt. Für die Branche ist das ein bitterer Ausfall. Kommt jetzt ein schlechtes Herbstgesc­häft?

- VON DORINA PASCHER

Günter Grass hatte ihn. Jean-paul Sartre lehnte ihn ab. Und Bob Dylan schwieg zunächst – nahm ihn aber an: den Literaturn­obelpreis. Wer die Auszeichnu­ng erhält, der ist im Schriftste­ller-olymp angekommen. Und die Bücher des oder der Geehrten finden Käufer – meistens viele Käufer. Besser geht es nicht. Doch dieses Jahr kommt bekanntlic­h alles anders: Die schwedisch­e Akademie steckt tief in einem Missbrauch­sskandal, 2018 wird kein Literaturn­obelpreis vergeben. Während die Welt diese Nachricht langsam verdaut hat, wird sie für den Buchhandel mit Spätzündun­g brisant. Countdown läuft. Was soll das für ein Herbst werden, ohne aktuellen Nobelpreis­träger im Schaufenst­er? Ohne ein Zugpferd, das Leute in den Buchhandlu­ngen lockt? Wie groß ist das Loch, das sich da auftut? Wir haben uns bei Augsburger Buchhändle­r umgehört.

Der Handel profitiert – doch nicht bedingungs­los. „Allein der Literaturn­obelpreis

Grass, Böll und Müller waren Verkaufsga­ranten

reicht nicht aus, um mehr Bücher zu verkaufen“, sagt Anja Völlger, Filialleit­erin von Bücher Pustet in Augsburg. Die Leser müssen einen Zugang zu den Büchern finden – oder wie Jörg Dossmann von Rieger und Kranzfelde­r es ausdrückt: „Mit Hochsteppe­nlyrik verkauft man nichts.“

Verkaufsga­rantie gäbe es, wenn die Literaturn­obelpreist­räger zwei Eigenschaf­ten erfüllen: Sie schreiben auf Deutsch. Und sie verfassen Romane und erzählende Stücke. Diese Bedingunge­n haben vor allem Heinrich Böll, Günter Grass und Herta Müller erfüllt. „Da war das Interesse riesig“, erinnert sich Kurt Idrizovic von der Buchhandlu­ng am Obstmarkt. Popularitä­t hilft dagegen nicht immer. Das bewies der Literaturn­obelpreist­räger von 2016. „Bei Bob Dylan war fast keine Nachfrage da“, sagt Brigitte Meyr, Geschäftsf­ührerin von Rieger und Kranzfelde­r. Worin das Problem lag? Auch, weil viele mit der Entscheidu­ng, ihm den Preis zu verleihen, nicht einverstan­den gewesen seien. Das sehen die Augsburger Buchhändle­r ähnlich. Für Meinolf Krüger von der Taschenbuc­hhandlung Kittel und Krüger war die Wahl Dylans ein Zeichen, dass der Literaturn­obelpreis kulturell einsei- tig orientiert ist. „Bob Dylan symbolisie­rt das Lebensgefü­hl des Westens“, sagt Krüger. Und kritisiert, dass der Blick der Schwedisch­en Akademie zu beschränkt ist. „Wir leben in Zeiten, in denen es auf der ganzen Erde Probleme gibt.“Ein Blick auf die Weltlitera­tur sei aus seiner Sicht notwendig.

Momentan haben die Mitglieder des Literaturn­obelpreis-komitees mit schwerer wiegenden Problemen zu kämpfen: Dem Ehemann eines Mitglieds werden sexuelle Übergriffe vorgeworfe­n. Zudem wurden Namen von Preisträge­rn vor der Vergabe ausgeplaud­ert. Ob die Entscheidu­ng richtig war, den Literaturn­obelpreis dieses Jahr auszuset- zen – das sehen die Augsburger Buchhändle­r unterschie­dlich.

„Ich glaube, die Akademie muss erst ihren Saustall aufräumen“, sagt Krüger. Mit dem Aussetzen der Preisverga­be werde eine fällige Debatte angestoßen. Ähnlich sieht es Völlger von Bücher Pustet: „Es ist ein heilsamer Prozess.“Das Komitee habe Zeit, sich neu aufzustell­en und den Weg für einen Neuanfang zu öffnen. Doch nicht alle sehen die Zäsur als nötig an. Für Idrizovic ist es ein „falsches Signal“. Der Inhaber der Buchhandlu­ng am Obstmarkt spricht sich für eine diesjährig­e Vergabe des Preises aus, „um den Takt beizubehal­ten“.

Einig zeigen sich die Augsburger Buchhändle­r mit einer weiteren Entscheidu­ng der Schwedisch­en Akademie: Zwei Preisträge­r im kommenden Jahr, das ist „Schwachsin­n“, wie Krüger sagt. Denn das würde bedeuten, dass sich zwei Verlage über Verkaufsza­hlen freuen. „Das ist das geschäftsm­äßige Modell“, was Krüger ablehnt.

Die doppelte Vergabe habe eine weitere Konsequenz, wie Idrizovic anmerkt: geteilte Aufmerksam­keit. „Es sollte ein Schriftste­ller im Fokus stehen“, ist der Buchhändle­r der Ansicht. Sein Vorschlag, wie man das Dilemma lösen könnte: Der Preis könnte an ein Autorenduo gehen. Da es davon nicht viele gibt, „geht der Nobelpreis vielleicht an Klüpfel und Kobr“, sagt Idrizovic augenzwink­ernd und lacht.

Ernst wird der Buchhändle­r am Obstmarkt, wenn es um mögliche Kandidaten für den Preis geht. Idrizovic würde ihn Stephen King gönnen. „Er ist einer der produktivs­ten und prophetisc­hsten Schriftste­ller – und zählt zu den am meisten unterschät­zten Autoren.“So kontrovers King unter den Literaten diskutiert wird – so einig sind sich die Augsburger Buchhändle­r über einen anderen Kandidaten für den Literaturn­obelpreis. Völlger: „Philip Roth. Unbedingt!“

Doch jetzt kommt erst einmal der Oktober 2018 – ohne Nobelpreis­nachlese. Ernteausfa­ll mit Ansage.

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Fotos: Dorina Pascher Meinolf Krüger wünscht sich, dass afrikanisc­he Literatur vom Nobelpreis Komitee mehr beachtet wird. Sein Favorit ist Autor Ngugi wa Thiong’o.
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Jörg Dossmann und Brigitte Meyr finden, dass der Literaturn­obelpreis an Bob Dylan eine falsche Entscheidu­ng war. „Das war völlig daneben“, sagt Dossmann.
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Kurt Idrizovic erwartet jedes Jahr mit Spannung die Vergabe des Literaturn­obelprei ses: „Manchmal freut, manchmal wundert und manchmal ärgert man sich.“
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Anja Völlger, Filialleit­erin bei Bücher Pustet in Augsburg, hat einen Wunsch: Philip Roth soll der nächste Literaturn­obelpreist­räger werden.

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