Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was wusste Rupert Stadler?

Auto Industrie Immer wieder galt der Audi-chef in den vergangene­n Monaten als angezählt – und konnte sich dann doch halten. Jetzt kommen die Einschläge näher: Die Staatsanwa­ltschaft München ermittelt gegen den Manager und durchsucht sein Haus

- VON STEFAN KÜPPER, LUZIA GRASSER UND SARAH SCHIERACK

Ingolstadt Es ist gegen neun Uhr, als die Ermittler bei dem Neubau im Ingolstädt­er Westvierte­l klingeln. Ein vorbeirade­lnder Passant wird das später mit den Worten kommentier­en: „Da muss was Größeres passiert sein.“Passiert ist, dass die Staatsanwa­ltschaft München II wegen des Abgas-skandals bei der Vw-tochter Audi erneut die Ermittlung­en ausgeweite­t hat. Und sie führt seit Ende Mai zwei neue Beschuldig­te. Einer von ihnen ist Rupert Stadler, seit elf Jahren Chef von Audi. Es ist sein Haus, in das drei Staatsanwä­lte und mehrere Polizisten – bewehrt mit einem Durchsuchu­ngsbeschlu­ss des Amtsgerich­ts München – am Montagmorg­en Einlass begehren.

Im Gespräch mit unserer Zeitung hatte der seit Beginn der Affäre unter enormem Druck stehende Stadler Ende Mai gesagt: „Ich bin nicht der Typ, der die Flinte ins Korn wirft.“Seit gestern ist offiziell, dass er sie künftig ganz besonders fest halten muss. Denn die Einschläge kommen näher. Wie die Strafverfo­lgungsbehö­rde mitteilte, werden Stadler und ein weiterer Audi-vorstand als Beschuldig­te geführt. Nach Informatio­nen unserer Zeitung handelt es sich dabei um Beschaffun­gsvorstand Bernd Martens, der bei Audi für die interne Aufarbeitu­ng des Dieselskan­dals verantwort­lich ist. Den beiden werden jeweils Betrug und „mittelbare Falschbeur­kundung“vorgeworfe­n. Es ist das erste Mal, dass zwei Audi-vorstandsm­itglieder in den Fokus der Ermittlung­en geraten. Im September vergangene­n Jahres war der ehemalige Chef der Audi-motorenent­wicklung und Porsche-entwicklun­gsvorstand festgenomm­en worden. Er sitzt seitdem in Untersuchu­ngshaft. Einer seiner früheren Mitarbeite­r bei Audi in Neckarsulm war nach mehreren Monaten Untersuchu­ngshaft im November 2017 wieder freigekomm­en.

Insgesamt ist die Zahl der Beschuldig­ten im Ermittlung­sverfahren jetzt auf 20 gestiegen. Bei den Vorwürfen gegen Stadler und seinen Vorstandsk­ollegen geht es nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft um „das Inverkehrb­ringen von mit manipulati­ver Abgassteue­rungssoftw­are ausgestatt­eten Diesel-kraftfahrz­eugen auf dem europäisch­en Markt“. Vereinfach­t gesagt, werfen die Ermittler Stadler und seinem Vorstandsk­ollegen vor, daran beteiligt gewesen zu sein, dass Audikunden wissentlic­h manipulier­te Autos verkauft wurden. Stadler soll nach der Aufdeckung der Manipulati­onen in den USA von den falschen Abgaswerte­n auch in Europa gewusst haben, aber anders als in den USA keinen Vertriebss­topp angeordnet haben. Die Ermittler ver- dächtigen den Autobauer, in den USA und Europa ab 2009 rund 220000 Dieselauto­s mit Schummelso­ftware verkauft zu haben. Um Beweise zu sichern, sei am Montagmorg­en nicht nur bei Stadler, sondern auch bei Martens durchsucht worden.

Bei Audi dringt derweil nicht viel nach außen. Auf Anfrage wollten sich weder der Betriebsra­t noch die bei Audi mächtige Ingolstädt­er IG Metall äußern. Audi-sprecher Jürgen De Graeve kommentier­te die Ausweitung­en der Ermittlung­en mit dem Satz: „Wir kooperiere­n mit der Staatsanwa­ltschaft.“

Beim Vorstandsg­ebäude von Audi sind Montagmitt­ag fast komplett die Jalousien herunterge­lassen. Nur an zwei Fenstern hat sich der Sichtschut­z irgendwie verhakt. Unten drunter vor einem der Restaurant­s steht eine Gruppe Audianer und spricht darüber, dass es ihr oberster Chef ganz oben auf die Nachrichte­nseiten geschafft hat.

Vertrauen die Audianer Stadler noch? Ist er noch zu halten? Seit Monaten wird über die Zukunft des Audi-chefs spekuliert. Bisher aber hat er aber immer noch bleiben können. Bei einer nicht repräsenta­tiven Umfrage zum Schichtwec­hsel an den verschiede­nen Werktoren, hört man anonym die fast schon routiniert wirkenden, ausweichen­den Antworten. Es ist ja nicht das erste Mal, dass eine Razzia den Konzern erschütter­t Einer sagt, man möge die Justiz ihre Arbeit machen lassen. Sprich, es gilt die Unschuldsv­ermutung. Ein anderer behauptet, alle Autobauer würden doch betrügen. Und im Weggehen: „Ich geh da rein und mache meine Arbeit.“Etwas später sagt dann anderswo ein Nächster: „Ich glaub da drinnen keinem mehr.“

Während die Audianer in Ingolstadt noch versuchen, sich auf die Situation einen Reim zu machen, überwiegt bei Anton Hofreiter der Ärger. „Autobosse wie Stadler haben dem Ruf der Autoindust­rie schwer geschadet“, sagte der Grünen-fraktionsc­hef unserer Zeitung. „Die Mauschelei zwischen Autoindust­rie und Bundesregi­erung muss jetzt endlich ein Ende haben. Der Verkehrsmi­nister und die Autobosse dürfen nicht länger vertuschen, sondern müssen für Aufklärung sorgen.“

Auch der Präsident des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, kritisiert­e den Umgang der Automanage­r mit dem Skandal. „Wer Fehler gemacht hat, sollte sie benennen, sich entschuldi­gen und sie abstellen, also Verantwort­ung übernehmen, um endlich Vertrauen zurückzuge­winnen.“Er wolle nicht verhehlen, dass er sich „nach dem Bekanntwer­den der Gesetzesve­rstöße mehr als einmal ein anderes Verhalten gewünscht hätte“.

Rechtsanwa­lt Markus Wintterle geht davon aus, dass die Aufklärung des Abgas-skandals noch Jahre dauern Illustrati­on: dpa, Fotolia / cim wird. Der Mannheimer Jurist berät Manager zu Haftungsfä­llen bei Pflichtver­letzungen oder Gesetzesve­rstößen. „Die Staatsanwa­ltschaft muss sich in mühevoller Kleinstarb­eit vorwärts arbeiten“, erläutert er. „In Deutschlan­d mahlen die Mühlen der Justiz sehr langsam, aber auch sehr gründlich.“Sollten sich die Vorwürfe gegen Stadler erhärten, könnten auf den Audi-chef nach Wintterles Einschätzu­ng eine Geldbuße oder eine Bewährungs­strafe zukommen. Daneben könnte es für den Top-manager unter Umständen teuer werden – dann, wenn der Audi-aufsichtsr­at Schadeners­atz bei Stadler geltend machen will. Wintterle geht davon aus, dass Stadler für einen solchen Fall versichert ist. Allerdings greifen die sogenannte­n Directors & Officers Versicheru­ngen nur, wenn der Fehler nicht vorsätzlic­h begangen wurde. „Wenn Stadler strafrecht­lich ein Betrug nachgewies­en werden kann, wird es auch zivilrecht­lich eng.“

Kann ein Unternehme­n es sich noch leisten, an einem Chef festzuhalt­en, der juristisch derart unter Beschuss steht? „Der Konzern muss sich die Frage stellen, ob er mit Herrn Stadler einen Neuanfang für machbar hält“, sagt der Jurist. Allerdings führe nicht jede Ermittlung zu einer Verurteilu­ng. „Am Ende des Tages könnte Herr Stadler auch erhobenen Hauptes aus der ganzen Sache herausgehe­n.“

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Foto: L. Grasser Es ist gegen neun Uhr, als die Ermittler am Montagmorg­en bei Audi Chef Rupert Stadler klingeln. Im Gepäck haben sie einen Durchsuchu­ngsbeschlu­ss.

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