Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Geheimtipp für alle Schlägerty­pen

Litauen Golfen in Litauen? Doch, das geht. Abschlag mit Überraschu­ngen am Mittelpunk­t Europas

- VON THOMAS GOSSNER

Eine Überraschu­ng kommt selten allein. Hier, ein paar Kilometer nördlich der litauische­n Hauptstadt Vilnius, soll der Mittelpunk­t von Europa liegen? So hat es jedenfalls das Französisc­he Nationalin­stitut für Geografie ermittelt, exakt auf 54 Grad 51 Minuten nördlicher Breite und 25 Grad 19 Minuten östlicher Länge. Darum heißt die Anlage, die man hier ebenfalls nie vermutet hätte, ganz folgericht­ig European Centre Golf Club. Denn dies ist die zweite Überraschu­ng auf dieser Reise: Golfspiele­n in Litauen – doch, das geht.

Der baltische Staat, der im März 1990 als erstes Mitglied der Sowjetunio­n seine Unabhängig­keit erklärte, ist nicht als große Golfnation bekannt. Gerade fünf Plätze und 1200 aktive Spieler gibt es im ganzen Land. Doch angesichts der landschaft­lichen Schönheit, der spannenden Fairways und qualitätvo­llen Grüns darf man Litauen getrost als Geheimtipp unter den Golfdestin­ationen bezeichnen. Nur zwei Stunden dauert der Direktflug von München nach Vilnius.

Die litauische Hauptstadt ist Überraschu­ng Numero drei – eine quirlige, westlich geprägte Metropole, in der vom sozialisti­schen Muff nichts mehr zu spüren ist. Am Ufer der Neris liegen die Menschen in der Sonne. Jugendlich­e zeigen mit Boards und Bikes auf der Skateranla­ge ihre Kunststück­e. Auch in der Altstadt mit ihren barocken Bauten, die als Unesco-welterbe gelistet ist, spielt sich das Leben vor allem unter freiem Himmel ab. Cafés reihen sich an Bars und Restaurant­s, Parks und Grünanlage­n werden zum Treffpunkt. Der Gediminas Prospekt mit seinen schicken Geschäften verwandelt sich am Wochenende, wenn der Verkehr ausgesperr­t ist, in eine Flaniermei­le zwischen Kathedrale und Parlament.

Größer könnte der Kontrast nicht sein zum Vilnius Grand Resort. 20 Fahrminute­n von der Großstadt entfernt, bietet das Vier-sternehaus mit dem V-club einen Championsh­ip-platz von höchstem Niveau. Wer unter der Woche spielt, begegnet mitunter kaum einer Menschense­ele. Dabei ist die Anlage dank des südafrikan­ischen Headgreenk­eepers AJ Steyn und seines vierköpfig­en Teams sehr gepflegt und anspruchsv­oll. Die pfeilschne­llen und makellosen Grüns sind für Durchschni­ttsspieler anfangs ge-

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Anreise Verschiede­ne Fluglinien, darunter auch Air Baltic, bieten mehrmals täglich Direktflüg­e von Mün chen nach Vilnius an.

Wohnen Das Vilnius Grand Resort ist etwa 25 Fahrminute­n vom Flug hafen entfernt. Es liegt inmitten deiner 160 Hektar großen Anlage direkt am See. Das Haus bietet zwei Restau rants, eine Bar und rund 200 Zim mer. Derzeit entsteht ein neues Spa mit mehreren tausend Quadratmet­ern Nutzfläche.

Golfen Das Resort bietet ein Golfpa ket mit drei Übernachtu­ngen mit Frühstück und je einer Runde auf V Club, European Centre Golf Club wöhnungsbe­dürftig, ermögliche­n dann aber sehr akkurate Putts.

Als der Ball schließlic­h im Loch klappert, fragt unser Flightpart­ner Ahmed mit einem maliziösen Lächeln: „War das schwer?“Eben haben wir die Sieben des V-golfclubs mehr schlecht als recht hinter uns gebracht – ein Par 5 von 557 Metern Länge, bei dem der Abschlag präzise durch zwei Baumreihen hindurch platziert sein will, bevor der mit neun Bunkern gespickte Fairway zuerst nach links und dann wieder nach rechts schwenkt. Wir blasen die Backen auf und nicken. Doch Ahmed macht alle Hoffnung zunichte, dass wir nun besseren Zeiten entgegenge­hen könnten. „Das war Baby im Vergleich zum nächsten Loch“, kündigt er fröhlich an.

Wer an der Acht auf der Scorekarte ein Par notieren will, braucht einen sicheren Drive von mindestens 180 Metern Länge über den Teich mit der Insel hinweg. Nur dann öffnet sich das Dogleg für den zweiten Schlag auf das bewegte und gut verteidigt­e Grün. Allen anderen Spielern bleibt die Möglichkei­t, mit dem kurzen Eisen in einem schmalen Korridor zielgenau vorzulegen, ohne dass der Ball nach links ins Wasser oder nach rechts ins Rough davonsprin­gt. Tatsächlic­h gibt es hier unzählige Möglichkei­ten, einen Ball zu versenken. An 15 der 18 Löcher kommt Wasser ins Spiel, und wenn die Kugel ins dichte Unterholz rollt, lohnt sich die Suche meist ebenfalls nicht.

Während wir nach der Runde bei einem Glas Svyturys, dem hellen litauische­n Bier, auf der Klubhauste­rrasse sitzen, zählen wir nicht nur die Stableford-punkte, sondern auch die Verluste bei Titleist, Srixon und Co. Sind noch genügend Bälle übrig für die morgige Runde auf dem Capitals Golf Club? Große Teile Litauens sind von Mooren geprägt, schlanke Birken und dichte Wacholderh­eide säumen die Feuchtgebi­ete. Vor allem die zweiten Neun des Capitals treffen immer wieder auf Wasserfläc­hen, die den einen oder anderen Ball kosten können.

Unseren Flightpart­ner Ahmed ficht das nicht an. Und das ist schon wieder eine der vielen Überraschu­ngen, die dieses Land bietet: Der Ägypter, den Beruf und Liebe ins Baltikum verschlage­n haben, schätzt die Unaufgereg­theit Litauens. Ein idealer Platz, um eine Familie zu gründen und Kinder aufzuziehe­n, findet er. Nicht überall in Europa hat er mit seinem dunklen Teint und seinem dichten schwarzen Haar so gute Erfahrunge­n gemacht, auch nicht in Deutschlan­d.

Spricht’s und macht sich ganz entspannt auf die Suche nach seinem Ball, der irgendwo im Rough stecken geblieben ist. Dass ein nachfolgen­der Flight deswegen zu drängeln beginnt, muss man hier nicht befürchten. Der Capitals Golf Club zählt gerade 120 Mitglieder und 3500 Greenfee-spieler im Jahr, erzählt Manager Harri Ahtiainen, der aus Finnland stammt und ebenfalls in Litauen Wurzeln geschlagen hat.

Geld verdienen lässt sich angesichts solcher Zahlen mit dem Golfsport hier nicht. Aber es lässt sich langsam etwas aufbauen, sagt Mindaugas Glinskis, der zusammen mit einem Geschäftsp­artner vor ein paar Jahren den European Centre Golf Club übernommen hat. Auf der Runde über den 18-Loch-platz zückt er immer wieder das Handy. Nicht etwa, um die Störche zu fotografie­ren, die seelenruhi­g über den Fairway spazieren. Nein, er hält hier einen schiefen Pfosten, dort einen nicht sorgfältig genug ausgemähte­n Bunkerrand fest und schickt die Bilder an das Greenkeepi­ng–team – der Chef sieht alles und hält seine Leute auf Trab.

Der Lohn dieser Anstrengun­g: Firmen wie BMW, Nike oder Turkish Airlines richten auf der abwechslun­gsreichen, äußerst gepflegten Anlage ihre Turniere aus. Und gemeinsam mit den Kollegen von V-club und Capitals arbeitet Glinskis daran, dass man bald keine überrascht­en Blicke mehr erntet, wenn man sagt: Ich fliege zum Golfen nach Litauen.

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