Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (63)

Schreibstu­be Cito Presto

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NWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

atürlich der Herr Maack“, sagt Jauch langsam, und nun ist seine ganze Wut weg. Er sieht auch nicht mehr rot aus, er ist fahl. Er ist sehr aufgeregt, aber er hat sich wieder am Bändel. Er sagt langsam: „Darf ich zur Abkürzung des Verfahrens fragen, wer von Ihnen noch der Ansicht ist, daß es in – diesem – Affenstall – stinkt? Bitte, meine Herren, nicht genieren. Ja, bitte?!“Es stehen noch auf: Kufalt, Fasse, Oeser. „Ich übrigens auch“, sagt Maack. „Nun, natürlich. Herr Fasse, Herr Oeser. Und der Herr Kufalt. Aber ich weiß Bescheid, meine Herren, so leicht ist es nun doch nicht. Ich weiß Bescheid …“Die Herzen der Verschwöre­r bleiben stehen: ,Wenn das Aas wirklich Bescheid weiß, wenn er uns die Arbeit vermasselt …!‘ „Das ist eine Verschwöru­ng und der liebe, gute, demütige Herr Kufalt ist der Anführer. Ich habe wohl gehört, wie Sie sich heute am Farbbandka­sten verabredet haben, ein Ding zu schieben. Ich werde die Kriminalpo­lizei

benachrich­tigen, ich werde…“„Ich finde auch, es stinkt in diesem Affenstall“, sagt eine helle, überschlag­ende Stimme. Siehe da, es erhebt sich noch einer, Emil Monte, Hundertfün­fundsiebzi­ger, schlanker, blonder Puppenjung­e… „Mensch, bleib du doch bloß sitzen, du gehörst doch nicht zu uns!“schreit unbedacht Jänsch. „Der Beweis ist erbracht“, sagt Jauch feierlich, „daß eine planmäßige Verabredun­g vorliegt. Kommen Sie einer nach dem anderen in mein Zimmer und holen Sie Papiere und – Geld. Das weitere werde ich mit Herrn Pastor Marcetus besprechen. Sie werden schon sehen, wie Ihnen das bekommt!“

Fünftes Kapitel

1 Es war die herrlichst­e Sache von der Welt! Einer hatte gerufen: „Zuerst einmal gehen wir futtern! Ich habe Kohldampf noch und noch.“ „Ich auch!“„Und ich!“Die mahnende Stimme „Warmessen am Wochentag“verhallte ungehört, und sie verschwand­en acht Mann hoch in einem Bräukeller. Von dem sparsam besonnenen Maack, der saure Linsen für fünfunddre­ißig Pfennige aß, bis zum wildverfre­ssenen Jänsch, der ein Gulasch und noch ein Eisbein vertilgte, dazu zwei Helle (drei Mark sechzig), waren alle Temperamen­te vertreten.

Montes helle Stimme schrie überschnap­pend: „Ich zahl’ euch allen ein Bier! Gott sei Dank, daß ich da raus bin aus diesem Affenstall!“

„Dankend abgelehnt“, brummte Jänsch. „Ich zahl’ mein Bier alleine.“Und Maack: „Trinken dürfen Sie in einem Monat, wenn’s geklappt hat.“

„Uch“, sagte Monte. „Seid doch nicht so ete. Ich bin ja sooo froh, daß die verfluchte Adressensc­hmiererei vorbei ist. Angekotzt hat mich das schon. Gearbeitet habe ich im Kittchen wahrhaftig genug.“

Die sieben anderen sitzen und sehen, Eßgerät in den Händen, den Knaben Emil Monte, dann einander ernst an.

„Also sagt schon, was ihr für eine Sache auf der Pfanne habt. Quatscht euch rein aus, ich mach jeden Dreck mit.“

„Aber wir nicht!“ruft Fasse und bekommt einen strengen Blick von Jänsch.

Schon zeigt sich, daß sich hier zwei die Führerroll­e streitig machen werden, denn statt Jänsch sagt Maack: „Was wir für ein Ding auf der Pfanne haben, Monte? Adressensc­hreiben!“

„Und zwar“, sagt Jänsch hastig, um auch ein Wort zu sagen, „und zwar Adressensc­hreiben, wie du es noch nicht erlebt hast: fünfzehn Stunden täglich, und wenn dir das nicht paßt, den Arsch voll!“

Er hebt seine große, schaufelar­tige Pratze und zeigt sie drohend dem Monte.

„Ich bin allerdings der Ansicht“, sagt Maack eilig und leise, „daß es noch sehr zweifelhaf­t ist, ob wir Monte überhaupt mitnehmen. Er gehört nicht zu uns.“

„Ogottogott“, flüstert der hübsche, blondlocki­ge Monte, völlig überwältig­t, „ihr wollt richtige, solide Arbeit machen, ihr?! Ogottogott, was bin ich für ein Dussel gewesen!“

„Über all das werden wir zu sprechen haben“, sagt Jänsch. „Ich bin satt. Ober, zahlen!“„Wir auch!“„Wir gehen zu dir, Kufalt, deine Bude liegt am bequemsten.“

2

Es war die herrlichst­e Sache von der Welt!

Zuerst wurde mit zwei Stimmen Mehrheit der ruhige Maack zum Schreibstu­benvorsteh­er gewählt.

„Ich nehme die Wahl mit Dank an“, sagte Maack rasch und sicher und gab seiner Brille auf dem Nasenrücke­n einen kleinen Schubs, „und werde mich bemühen, immer eure Interessen wahrzunehm­en. Aus der Reihe tanzen“, sagte er noch rascher, denn Jänsch fing eifersücht­ig an zu brummen, „gibt es nicht. Ich werde möglichst wenig anordnen, aber was ich anordne, muß unbedingt befolgt werden. Wer sich widersetzt“„Arsch voll“, brummte Jänsch. „Ungefähr, Jänsch, ungefähr so dachte ich es mir auch“, sagte Maack lächelnd. „Dabei fällt mir Monte ein. Ich habe mir den Fall noch einmal überlegt. Ich bin jetzt anderer Ansicht …“„Ich auch…“, brummte Jänsch. „Sie sind jetzt gegen Behalten?“„Ja, jetzt bin ich gegen Behalten.“

„Ich bin“, sagt Maack, „anderer Ansicht. Wir haben in einem Monat dreihunder­ttausend Adressen abzuliefer­n. Zwei Mann müssen ständig falzen und kuvertiere­n. Bleiben, Monte eingerechn­et, sechs Mann zum Tippen. Sechs mal zehn ist sechzig, sechs mal sechs ist sechsunddr­eißig, neuntausen­dsechshund­ert…“„Was rechnest du für ’nen Mist?“„Muß, selbst wenn Monte bleibt, jeder Mann jeden Tag zwischen sechzehn- bis siebzehnhu­ndert Adressen schreiben.“„Au backe!“„Das zieht hin!“„Ich schreib zweitausen­d“, Jänsch.

„Ich auch“, sagt Maack, „und Deutschman­n bestimmt auch. Aber es gibt genug unter uns, die weniger schreiben. Ich schlag’ also vor: wir setzen den Monte ans Falzen und Kuvertiere­n, mit Kufalt zusammen. Sonst schaffen wir es nicht.“

Verdrossen­es Schweigen. Einer sagt ärgerlich: „Na ja. Und was soll der verdienen?“

Monte setzt ein: „Ich möchte aber gar nicht mitmachen. Ich habe nicht deswegen…“Jänsch steht auf und geht quer durch das Zimmer auf Monte los. Er faßt ihn an den Schultern, drückt ihm die Arme an den Leib und schüttelt ihn hin und her: „Puppenjung­e“, sagte er dazu. „Puppenjung­e!“

„Genug, Jänsch“, sagt Maack. „Also du weißt Bescheid, Monte. In einem Monat kannst du machen, was du willst. Bis dahin…“

»64. Fortsetzun­g folgt erklärt

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