Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn Tänzer die Choreograf­en sind

Theater Augsburg Zum Ende der Saison legt die Leitung des Balletts die Verantwort­ung für den Abend „New Comer“in die Hände der Compagnie. Das Ergebnis lässt sich sehen

- VON RICHARD MAYR

Für die Tänzer des Augsburger Ballett-ensembles ist die letzte Produktion der Spielzeit eine Herausford­erung der anderen Art. Zum einen, weil die Tänzer selbst als Choreograf­en den Abend gestalten, zum anderen aber – und das ist noch ungewohnte­r für sie – sind sie auch für alles andere verantwort­lich – vom Bühnenbild über die Kostüme bis hin zum Licht. Den Abend „New Comer“, der am Wochenende Premiere hatte, durften sie völlig frei gestalten.

Acht Choreograf­ien sind entstanden – die kürzeste dauert vier Minuten, die längste fast eine Viertelstu­nde. Einer der Tänzer, die choreograf­iert haben, ist Nikolas Doede. „Obwohl wir sprechen“hat er sein Stück genannt. Es ist, wie man dem Programmhe­ft entnehmen kann, seine zehnte Choreograf­ie. Er erzählt, dass das für das Ensemble ein wunderbare­s Arbeiten gewesen sei. Auf der einen Seite könne er als Choreograf das zur Sprache bringen, was ihn umtreibe, auf der anderen Seite sei es in allen acht Stücken zu einer intensiven Zusammenar­beit der Tänzer gekommen. Alle Stücke sind neu, sind extra für den Abend entstanden. Die Tänzer mussten sich nicht in vorgeferti­gten Partien zurechtfin­den, sondern konnten aktiv mitarbeite­n.

Etwa Irupé Sarmiento, die keine eigene Choreograf­ie an dem Abend beigesteue­rt hat, dafür aber getanzt hat. Es habe die Möglichkei­t gegeben, eigene Ideen einzubring­en, Bewegungen anzubieten, die Choreograf­ien mitzudenke­n und mitzugesta­lten, sagt sie.

Auffällig ist an dem zweistündi­gen Abend, wie düster und wie

Alle Stücke sind neu, extra für den Abend entstanden

schwer die Themen sind, die sich das Ensemble vorgenomme­n hat: Es geht zum Beispiel über den pausenlos vor sich hin redenden, den permanent kommunizie­renden Menschen, dem es nicht mehr gelingt, tatsächlic­h jemanden festzuhalt­en, sich mit anderen zu unterhalte­n (Nikolas Doede: „Obwohl wir sprechen“).

Historisch wird es in „For you, a flower“von Jiwon Kim Doede. Die Choreograf­in rückt die koreani- schen Zwangspros­tituierten während der japanische­n Okkupation im Zweiten Weltkrieg in den Mittelpunk­t – ein packender, aufwühlend­er Zwei-personen-tanz – in dem die Frau, die nicht fliehen kann, die immer wieder eingefange­n wird, sich in ihrer Verzweiflu­ng am liebsten selbst zerreißen würde.

Von Jose Saramagos Roman „Die Stadt der Blinden“hat sich Christine Ceconello inspiriere­n lassen. Auf der Bühne ist eine Frau, die mit eckigen und ungelenken Bewegungen immer wieder zu Boden fällt. Rund wird das alles nur in den wenigen Momenten, in denen sie gemeinsam mit einem Gegenüber tanzen kann. Aber: Dieses Glück währt nur kurz. Was die Verzweiflu­ng ins Grenzenlos­e schießen lässt. Irupé Sarmiento verausgabt sich nicht nur physisch, sondern auch emotional vollkommen: Ergreifend!

Einen starken Eindruck hinterläss­t auch Shori Yamamotos „Unknown“. In rund zehn Minuten emanzipier­t sich darin eine von drei Männern drangsalie­rte Frau, die ihnen am Schluss tatsächlic­h die Lichter ausknipst.

Positiv in allen acht Choreograf­ien fiel außerdem auf, dass Musik und Tanz sowie Musik und inhaltlich­es Thema sehr gut aufeinande­r abgestimmt waren und zueinander gepasst haben. Da haben die Choreograf­en, zu denen auch Alexander Karlsson, Alessio Monforte, Eunji Yang und Macos Novais gehören, allesamt das richtige Händchen bewiesen.

Wenn die „New Comer“nächstes Jahr wieder im Theater Augsburg zeigen können, welche Themen sie umtreiben, vielleicht springt dann auch noch ein weiterer Aufführung­stermin heraus. Die Premiere

Tanz, Musik und Inhalte passen sehr gut zueinander

war zwar nicht ausverkauf­t, die zweite Vorstellun­g schon. Für den dritten und letzten Termin gibt es nur noch wenige Karten. Auch dann werden sich die jungen Choreograf­en, die an diesem Abend alle auch in anderen Stücken tanzten, wahrschein­lich über einen langen, begeistert­en Applaus freuen können.

Weitere Aufführung am Sonntag, 24. Juni, um 18 Uhr auf der Brechtbüh ne. Karten: Tel. 08 21/324 49 00.

 ?? Foto: Jan Pieter Fuhr ?? So einfach die Frage „Wer bist Du?“auch lautet, so schwierig sind die Antworten darauf. Die junge Choreograf­in Christine Ceconello hat die Antwort in einem packenden Stück mit Irupé Sarmiento und Alexander Karlsson gegeben.
Foto: Jan Pieter Fuhr So einfach die Frage „Wer bist Du?“auch lautet, so schwierig sind die Antworten darauf. Die junge Choreograf­in Christine Ceconello hat die Antwort in einem packenden Stück mit Irupé Sarmiento und Alexander Karlsson gegeben.

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