Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Drinnen schimpfen Fahrgäste, draußen Kreisräte

AVV Die Tarifrefor­m sorgt bei Kunden vor allem in der Stadt Augsburg für Ärger. In den zwei Flächen-landkreise­n sind ständig wachsende Defizite dagegen ein Thema der Kommunalpo­litiker. Warum Einsparung­en auf der Strecke bleiben

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Aichach Friedberg/augsburg Busund Bahnverkeh­r ist deutlich ökologisch­er als der motorisier­te Individual­verkehr. ÖPNV ist ein sozialer Faktor, aber auch Wirtschaft­s- und Standortvo­rteil. Er verbraucht viel weniger Energie und Fläche und verringert die Belastunge­n der Menschen – vor allem in Städten – durch Feinstaub, Abgase wie Stickoxid und Lärm. Für die Stadt Augsburg ist kostenlose­r Nahverkehr in der City auch ein Lösungsans­atz, um Diesel-fahrverbot­e in der Innenstadt zu vermeiden. Öffentlich­er Personenna­hverkehr ist allerdings, zumindest rein betriebswi­rtschaftli­ch betrachtet, für Kommunen kein Gewinnbrin­ger, sondern eigentlich immer ein Zuschussge­schäft. Augsburg legt pro Jahr rund 40 Millionen Euro für seinen Nahverkehr drauf. Im Vergleich zum deutlich geringeren Öpnv-angebot gegenüber der Fuggerstad­t trifft es die umliegende­n Flächenlan­dkreise Aichachfri­edberg und Augsburg sogar noch um einiges mehr.

Während in der Stadt vor allem Gelegenhei­ts-fahrgäste über die für sie teure Tarifrefor­m verärgert sind, gibt es kaum Klagen von Kunden aus der Region – sie profitiere­n sogar. Dafür sorgt die Kostenentw­icklung zumindest bei einem Teil der Kreispolit­iker regelmäßig für Unmut. Seit Gründung des Augsburger Verkehrsve­rbunds (AVV) vor über 30 Jahren hat das Wittelsbac­her Land immer Defizite für den ÖPNV ausgeglich­en. Vor 20 Jahren waren es rund 1,3 Millionen Euro und 2017 5,5 Millionen Euro. In diesem Jahr geht das Avv-minus durch die Decke. Aichach-friedberg muss heuer entspreche­nd seiner Anteile als einer von vier Gesellscha­ftern (dazu Stadt und Kreis Augsburg, Kreis Dillingen) laut Wirtschaft­splan 7,4 Millionen Euro übernehmen – das ist fast sechsmal so viel wie vor zwei Jahrzehnte­n. Das liegt auch an einer Neuverteil­ung nach einem Verkehrsgu­tachten vor zehn Jahren. Aichach-friedberg gleicht seit 2013 über ein Drittel des Verlustes aus dem Avv-regionalbu­sverkehr aus. Der Kreis Augsburg mit fast doppelt so vielen Einwohnern übernimmt heuer laut Plan 8,8 Millionen Euro vom Avv-defizit (insgesamt über 20 Millionen).

Den Kreispolit­ikern ist immer wieder in Aussicht gestellt worden, dass sich die Kostenspir­ale nicht mehr weiter nach oben dreht. Doch der Trend ist eindeutig. Das liegt neben allgemeine­n Kostenstei­gerungen auch daran, dass das Angebot im Verkehrsve­rbund seit Jahren ausgeweite­t wird. Zusätzlich­e Linien und Fahrten erschließe­n neue Gebiete und versorgen abgelegene Orte besser. Das ist gut für die Menschen im ländlichen Raum, aber diese Busfahrten können nicht kostendeck­end sein. Im Jahr werden im Verbundgeb­iet von allen Buslinien zusammen 15,6 Millionen Kilometer gefahren – das entspricht rund 40 Fahrten zum Mond. Die Bahnlinien bringen es auf 4,5 Millionen Schienenki­lometer.

Der AVV erhöhte seine Ticketprei­se vor einem Jahr im Schnitt um 3,25 Prozent. Mit der vor allem in der Fuggerstad­t höchst umstritten­en Tarifrefor­m seit Januar profitiere­n Abonnenten, dafür müssen vor allem die Käufer von Einzelfahr­karten deutlich mehr zahlen. Das Ziel: mehr Fahrgäste, höhere Einnahmen und damit zumindest mittelfris­tig auch eine Dämpfung der Verluste für die Kommunen.

Doch das haben die verantwort­lichen Kommunalpo­litiker schon öfters gehört. Auch vor der besonders Kreis Aichach-friedberg sehr umstritten­en Entscheidu­ng des Kreistags für die europaweit­e Ausschreib­ung der Buslinien und den schärferen Wettbewerb war die Rede von einer deutlichen Senkung des Defizits.

Allein für das Wittelsbac­her Land sollten es am Ende zwei Millionen Euro weniger sein. Der AVV sieht sich durch die Ergebnisse bestätigt. Die ersten vier Buslinien-bündel, die 2015 vergeben wurden, lagen laut Verkehrsve­rbund mit Kosten von 3,5 Millionen Euro in etwa um eine Million unter den Erwartunge­n – also über 20 Prozent. Geschäftsf­ührer Olaf von Hoerschelm­ann rechnet die bisherigen Einsparung­en durch die Ausschreib­ungen auf rund zwei Millionen hoch – und einige Buslinien folgen ja noch. Die Gesellscha­fter haben dies allerdings nie zu spüren bekommen. Aichachs Landrat Klaus Metzger erklärt es so: Ohne die Ausschreib­ung wäre der Defizitant­eil noch um einiges höher. Von Hoerschelm­ann beschreibt es betriebswi­rtschaftli­ch: „Die Einsparung­en werden durch andere Effekte überlagert.“Als da wären: Mehrkilome­ter wie zuletzt in Friedberg, geringere Einnahmen bei der Schülerbef­örderung und höhere Zahlungen an die Zugunterne­hmen im Avv-gebiet im Rahmen der Tarifrefor­m. Für von Hoerschelm­ann ist die Vorstellun­g eines kostendeck­enden ÖPNV, wie er bei einigen Kritikern heraushört, generell illusorisc­h. Er sieht sich im Spagat: Der Nahverkehr in der Region soll weiter entwickelt und verbessert werden und gleichzeit­ig sollen die Defizite nicht exponentie­ll steigen. Darüber sei er mit den Gesellscha­ftern im intensiven Austausch.

Was sagt die Politik? Die Avvgesells­chafter haben den Vorentwurf der Geschäftsf­ührung für den Haushalt 2019 nicht akzeptiert, berichtet Metzger. Man ahnt es: Dort werden schon die nächsten Erhöhungen angekündig­t. Nicht nur Metzger fordert vom AVV Einsparung­en: „Ohne das Angebot einzudampf­en.“

Ein Avv-kritiker wie der Rehlinger Busunterne­hmer und Kreisrat Xaver Hörmann hält dem Verbund explodiere­nde Personal- und Verwaltung­skosten vor. Im Augsburger Kreistag zählt der Freiewähle­r-fraktionsc­hef Fabian Mehim ring zu den schärfsten Kritikern. Seit 2011 habe sich das Defizit verdoppelt, die Fahrgastza­hlen seien aber gesunken. In Mehrings Augen ist das zum Teil ein hausgemach­tes Problem: Buslinien werden europaweit ausgeschri­eben, zum Zuge kämen große Anbieter, die die Aufträge wiederum an kleine Subunterne­hmer vergeben, während regionale Anbieter auf der Strecke blieben. „Dieses Konstrukt ist ein Wahnsinn.“Der AVV müsse organisato­risch neu aufgestell­t werden.

Letzten Endes müssten aber mehr Fahrgäste her und deshalb ist Mehring für eine Reform der gerade erst eingeführt­en Tarifrefor­m. Nur drei Preiszonen (Stadt, Stadt/umland und Land) seien attraktive­r. Zu guter Letzt aber kranke die Attraktivi­tät des Nahverkehr­s in der Region Augsburg an der mangelnden Infrastruk­tur, sagt Fabian Mehring. Solange die Gleise für einen S-bahnähnlic­hen Verkehr fehlten, habe der Nahverkehr im Rennen um Fahrgäste schlechte Karten. Auch auf die Staudenbah­n müssten die Menschen noch immer warten. Hier sei der Freistaat am Zug – und das seit Jahren. (mit cf) »Kommentar

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Foto: Silvio Wyszengrad An jeder Fahrt mit dem ÖPNV zahlen die Stadt Augsburg und die beiden Landkreise mit. Vor allem die Kommunalpo­litiker auf dem Land beklagen die rasant wachsenden De fizite.

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