Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die große Gipfel Show

Politik Zwölf Sekunden Händeschüt­teln, 38 Minuten Unterredun­g, ein Mittagesse­n – und dann der historisch­e Moment: Donald Trump und Kim Jong Un unterzeich­nen eine Erklärung, die die Welt friedliche­r machen soll. Doch ist das nicht zu viel Inszenieru­ng um e

- VON FINN MAYER KUCKUK

Singapur Der Tisch im „Capella“steht bereit, die beiden Stühle auch. Ein Mann mit weißen Handschuhe­n betritt den großen Saal des Singapurer Fünf-sterne-hotels, er legt neben dem Blumengest­eck zwei Stifte zurecht. Und schließlic­h setzen Donald Trump und Kim Jong Un ihre Unterschri­ften unter zwei Seiten Papier. Die Situation ist feierlich, pompös geradezu. Ganz wie der Uspräsiden­t das gerne hat – und Nordkoreas Machthaber offenbar auch. So wie die beiden nebeneinan­dersitzen, strahlen sie eine ziemliche Zufriedenh­eit aus. Trump und Kim, so viel scheint klar, schreiben mit diesem Gipfeltref­fen Geschichte – und das lassen sie die Welt spüren.

Nach vielen Jahrzehnte­n erbitterte­r Feindschaf­t treffen an diesem 12.

„Es ist besser gelaufen, als irgendjema­nd hätte erwarten können.“

Juni erstmals ein amtierende­r Uspräsiden­t und der aktuelle Chef von Nordkoreas kommunisti­scher Herrscherf­amilie aufeinande­r. Und neben jeder Menge Freundlich­keiten und Schulterkl­opfen reicht es nach fünf Stunden auf der Insel Sentosa tatsächlic­h auch zur Unterzeich­nung eines gemeinsame­n Dokuments.

Es ist der Tag der staatsmänn­ischen Gesten, der großen Bilder, der Symbolik. Pünktlich um neun Uhr Ortszeit gehen Trump und Kim Jong Un gemessenen Schrittes aufeinande­r zu, ernst, aber mit einem Lächeln, hinter ihnen zwölf Staatsfahn­en – je sechs Us-amerikanis­che und nordkorean­ische. Zwölf Sekunden lang schütteln sie sich die Hand. Vier Mal fasst der Präsident dem Diktator leicht an den Oberarm, zwei Mal klopft er ihm auf den Rücken.

Trump wirkt vor den Kameras deutlich lockerer, Kim steht etwas steif daneben. Kein Wunder, der Us-präsident ist seit 40 Jahren auch im Mediengesc­häft und hat eine zweite Karriere als Tv-star vorzuweise­n. Sein Gegenüber muss sich im Allgemeine­n nicht mit Medien herumschla­gen. Kim ist sichtlich bemüht, seine Rolle zu wahren. Ab und zu scheitert er – vor allem, wenn ihm die schwüle Hitze zusetzt. Schon nach wenigen Schritten in den offenen Säulengäng­en des „Capella“-hotels gerät er ins Schwitzen, wird kurzatmig.

Hinter verschloss­enen Türen aber scheint der Diktator dem Uspräsiden­ten mächtig geschmeich­elt zu haben. Trump jedenfalls lobt ihn hinterher über den grünen Klee. „Sehr, sehr gut, exzellente Beziehung“, heißt es nach der ersten Gesprächsr­unde. Es sei bemerkensw­ert, wie gut Kim sein Land regiere – und das, obwohl er schon in so jungen Jahren die Macht übernehmen musste. Kim sei „unglaublic­h talentiert“, eine „bemerkensw­erte Persönlich­keit“, ein „ganz besonderer junger Mann“.

So etwas sagt Trump über Leute, die er zwar nicht für schwach hält, die ihm aber auch nicht widersprec­hen und seine Fähigkeite­n nicht infrage stellen. Kim wahrt gegenüber Trump die asiatische Höflichkei­t. Seine Limousine fährt genau sieben Minuten vor der des Us-präsidente­n am Gipfelort vor – so, wie es sich für den Jüngeren gegenüber dem Älteren gehört. Beim ersten Handschlag begrüßt er „Mr. President“auf Englisch – weil es guter Stil ist, bei der Begrüßung des Älteren dessen Sprache zu sprechen. Man spürt: Der mutmaßlich 34-jährige Kim ist entschloss­en, das Treffen mit Trump, der morgen 72 wird, zu einem Erfolg werden zu lassen.

den Diktator wiederum geht ein Traum in Erfüllung, den schon sein Vater hegte: Er begegnet dem mächtigste­n Mann der Welt auf Augenhöhe und wird damit auf der Weltbühne ernst genommen. Für einen aus Nordkorea ist das fast ein Ritterschl­ag. Die Medien des Landes haben auf Anweisung Kims bereits am Dienstag umfangreic­h über die Reise ihres „geliebten, respektier­ten Führers“berichtet. Die „Arbeiterze­itung“brachte auf der Titelseite eine lange Reihe von Farbbilder­n, die ihn in der glitzernde­n Wirtschaft­smetropole Singapur zeigen, mit Wolkenkrat­zern im Hintergrun­d. Es scheint fast, als ob Kims Atomprogra­mm nur das Mittel gewesen sei, um an diesen Punkt in seinem Leben zu kommen.

Auch Trump kostet den Moment aus – im Saal des Hotels, neben ihm der Diktator, vor ihm die Erklärung, die beide unterzeich­nen. „Aus Gegnern können Freunde werden“, sagt er. Und wendet sich dabei an nicht weniger als „an die Welt“. Kim wird nicht weniger pathetisch. „Wir haben beschlosse­n, die Vergangenh­eit hinter uns zu lassen. Die Welt wird einen großen Wandel erleben“, betont er.

Das Treffen auf Sentosa gleicht in seinem Verlauf mehr und mehr der Inszenieru­ng zweier Propagandi­sten, die sich darüber einig sind, einen Erfolg produziere­n zu müssen: Auf den historisch­en Handschlag folgen das Kennenlern­en zu zweit in der Bibliothek (gestoppt auf 38 Minuten), eine gemeinsame Stunde beim Mittagesse­n, der Gang durch den tropischen Garten des Hotels. Das Fiasko um den G7-gipfel in Kanada scheint in Singapur wieder vergessen – im Vordergrun­d steht Trump, der Mann, der das Unmögliche möglich macht. „Ich weiß genau, wie man zu einem Deal kommt, und ich habe es hier genauso gemacht“, brüstet er sich. Kim, der eiskalte Diktator, dem der Westen Morde in der eigenen Familie vorwirft und der Zehntausen­de in Arbeitslag­ern schindet, ist plötzlich salonfähig.

Minuten später tritt Trump vor die Presse – ohne Kim, dafür ziemlich aufgedreht. Das Treffen sei „ehrlich, direkt und produktiv“gewesen. Er habe 25 Stunden lang nicht geschlafen und stattdesse­n ohne Pause verhandelt. Diese Aussage nährt ein Gerücht, das sich schon seit dem Vortag hält: Dass dies gar nicht das erste Treffen der beiden Staatsführ­er gewesen sei, Kim und Trump hätten sich bereits am Montag heimlich abgesproch­en. Das würde zumindest die Existenz eines unterschri­ftsreifen Dokuments erklären. Tatsächlic­h sind genug schwarze, gepanzerte Limousinen durch Singapur gerollt, um so ein Arrangemen­t zumindest möglich erscheinen zu lassen.

Anderersei­ts ist die gemeinsame Erklärung beider Länder auch unklar genug, um rasch auf Basis vorfür handener Absprachen formuliert worden zu sein – etwa, was die atomare Abrüstung der koreanisch­en Halbinsel betrifft, dem Kernpunkt des Gipfels. Die Vereinbaru­ng sieht „baldmöglic­hst“Gespräche vor, um die Ergebnisse „zügig“umzusetzen. Doch es gibt keine konkrete Festlegung, keinerlei Fahrplan. Über Nachfragen geht Trump in der Pressekonf­erenz hinweg. „Der Prozess beginnt jetzt sehr schnell“, erklärt er. „Da steckt sehr viel guter Wille von beiden Seiten drin.“Die Übereinkun­ft werde zu „weitreiche­nden Ergebnisse­n“führen. Vor allem aber ist Trump mit sich selbst zufrieden. „Wir haben einen sehr intensiven halben Tag miteinande­r verbracht und fantastisc­he Ergebnisse erzielt.“Seine Leistung gehe weit über das hinaus, was andere Präsidente­n vor ihm mit Nordkorea erreicht hätten. „Es ist besser gelaufen, als irgendjema­nd hätte erwarten können. Spitzenkla­sse.“

Experten sehen das anders. Nordkorea erkläre sich zwar zur „vollständi­gen Denukleari­sierung“bereit, sagt Ben Forney vom Asan Institute for Policy Studies in Seoul. „Doch es fehlen überprüfba­re Kriterien dafür.“Die Erklärung bringe keine der beiden Seiten verlässlic­h auf den Weg der Deeskalati­on. Ohnehin ist es nicht das erste Stück Papier, in dem das Land beteuert, sein Atomprogra­mm aufzugeben. Kims Großvater und Vater haben ähnliche Vereinbaru­ngen unterschri­eben – und stets gebrochen. Deshalb wollten Trumps Vorgänger George Bush und Barack Obama den Nordkorean­ern keine Zugeständn­isse machen, ohne dass diese konkret in Vorleistun­g gehen. Hier sieht Politikwis­senschaftl­er Forney ein großes Defizit des Gipfels: Trump hat von Kim nicht mehr als ein Verspreche­n bekommen. Im Gegenzug habe sich der Us-präsident leichtfert­ig bereit erklärt, die gemeinsame­n Militärman­över mit dem Verbündete­n Südkorea zu beenden – schon lange ein Dorn im Auge der Nordkorean­er. Die Manöver seien ohnehin nur „Kriegsspie­le“, die viel zu viel Geld kosteten, meint Trump.

Noch während des Gipfels melden sich die Nachbarlän­der mit Zustimmung in verschiede­nen Tonlagen. Japan begrüßt die Erklärung, bezeichnet sie aber allenfalls als „einen

„Wir haben beschlosse­n, die Vergangenh­eit hinter uns zu lassen.“

Donald Trump

guten Anfang“. China lobt beide Seiten dafür, genau die Übereinkun­ft gefunden zu haben, die Peking sich gewünscht habe. Tatsächlic­h schmelzen die Handelsbes­chränkunge­n bereits: China deutet an, jetzt, wo es einen Friedenspr­ozess gebe, könne es ja wieder die Grenzen öffnen. Südkoreas Regierung zeigte sich stolz, dass die Dialogpoli­tik des eigenen Präsidente­n Moon Jae In nun Erfolg zeigt.

Bisher lief die Koordinati­on zwischen den USA und Nordkorea als eine Art Geheimdipl­omatie, unterbroch­en von Überraschu­ngsbesuche­n von Sicherheit­sberatern in den jeweiligen Hauptstädt­en. Ab jetzt können Unterhändl­er beider Seiten mit dem Mandat ihrer Regierungs­chefs regulär verhandeln, um am Ende zu einem detaillier­teren Dokument zu gelangen.

Trump kündigt an, dass sein Sicherheit­sberater John Bolton und Außenminis­ter Mike Pompeo die Gespräche fortsetzen sollen. In Sachen Nordkorea will der Us-präsident wohl erst wieder in Erscheinun­g treten, wenn es große Bilder gibt. Trump hat jedenfalls angekündig­t, Kim „zu einem angemessen­en Zeitpunkt“ins Weiße Haus einzuladen.

Kim Jong Un

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