Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Alles für die Tonne?

Bayern Die CSU entwickelt im Landtagswa­hljahr ein Konzept nach dem anderen. Trotzdem geht es in Umfragen bergab. Da scheint der neu entfachte Flüchtling­sstreit mit der Kanzlerin gerade recht zu kommen. In der Partei schrecken einige nicht mal mehr vor dem

- VON ULI BACHMEIER Foto: Stuetzle, Eibner Pressefoto

München Die Party ist vorbei. Das Feuerwerk ist verpufft. Der Kater ist da. Und langsam dämmert es den Granden in der CSU, dass es mit dem Wechsel des Spitzenkan­didaten für die Landtagswa­hl im Herbst offenbar nicht getan war. In Bayern kommt die Partei unter dem neuen Ministerpr­äsidenten Markus Söder nicht mehr vom Fleck und fällt – wenn die Umfrageerg­ebnisse nicht täuschen – in der Gunst der bayerische­n Wähler sogar wieder leicht zurück. Ein neuer Mann, ein „neuer Aufbruch“in der Landespoli­tik, neue Milliarden für das nörgelnde Volk – sollte all das wirklich vergebens gewesen sein?

Dem früheren Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer, der nach der versaubeut­elten Bundestags­wahl 2017 in einem zermürbend­en parteiinte­rnen Machtkampf zum Sündenbock gemacht und aus München weggemobbt wurde, bleibt bestenfall­s eine gewisse innere Schadenfre­ude – wenn er denn drüber reden könnte. Kann er aber nicht. Die „alte Silberlock­e“(Seehofer über Seehofer) ist immer noch Csu-vorsitzend­er und damit nominell nach wie vor der erste Hauptveran­twortliche für Wohl und Wehe der Partei. Aber er ist zugleich einer, der in der CSU in Bayern (fast) nichts mehr zu sagen hat. Und in Berlin steht Seehofer mit dem Rücken zur Wand. Auch deshalb geht es dort jetzt so zur Sache. Auch deshalb ist der alte

Die AFD ist allgegenwä­rtig und doch nicht zu fassen

Streit mit der Kanzlerin über die Flüchtling­spolitik neu und heftiger denn je entbrannt.

Die Idee, mit einer Doppelspit­ze ins Landtagswa­hljahr zu ziehen, schien perfekt. Das Kalkül war klar: Wenn es die beiden Herren schon so schwer miteinande­r haben, dann muss man sie getrennt marschiere­n lassen. Seehofer sollte sich um Berlin und dort speziell um das Csuthema Nummer eins, die Sicherheit­sund Flüchtling­spolitik, kümmern. Söder sollte in München dafür sorgen, dass die CSU eine neue Dynamik in der Landespoli­tik entfacht. Den Lohn für diese Arbeit wollte man am 14. Oktober 2018 kassieren – die Verteidigu­ng der absoluten Mehrheit der Sitze im Bayerische­n Landtag.

Jetzt, ein halbes Jahr später, beginnt diese Hoffnung zu zerbröseln. Gleichzeit­ig kommt die Angst zurück, dass die CSU nun vielleicht endgültig ihre Einzigarti­gkeit als erfolgreic­hste regionale Volksparte­i in Europa verliert. Noch einmal eine Koalition im Landtag wie 2008 mit der FDP? Das ginge vielleicht noch. Aber hätte die CSU danach noch einmal die Kraft, als alleinherr­schende Partei zurückzuko­mmen, wie 2013 mit Seehofer an der Spitze? Das wird bezweifelt.

Die Stimmung in der Csu-landtagsfr­aktion, die sich selbst als „Herzkammer“der Partei begreift, ist von einem seltsamen Widerspruc­h geprägt. Die 101 Abgeordnet­en stehen fast komplett hinter Söder. Es herrscht ein Korpsgeist, wie er selten zuvor in der Geschichte der Landtags-csu zu spüren war. Die Fraktion ist mit sich und ihrem Chef im Reinen. Umso größer ist die Verunsiche­rung über die Umfragen, die einfach nicht besser werden wollen. Die Wirkung von Söders Regierungs­erklärung, die dem Wahlvolk in Bayern einen neuen Aufbruch signalisie­ren sollte, sei ebenso verpufft wie das Signal, das er mit der radikalen Verjüngung­skur des Kabinetts senden wollte.

Noch schlimmer als die Umfragen ist für viele Csu-abgeordnet­e das, was sie daheim im Stimmkreis erleben. Es ist der Kampf gegen einen unsichtbar­en Gegner. Die AFD ist irgendwie allgegenwä­rtig und doch nicht zu fassen. Es gibt nicht wenige Csu-abgeordnet­e, die haben ihre Gegenkandi­daten noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Und kaum Afd-sympathisa­nt interessie­rt sich für Csu-veranstalt­ungen. Die Csu-abgeordnet­en, die nach ihrer eigenen Überzeugun­g viele gute Argumente für die landespoli­tischen Leistungen ihrer Partei hätten, stochern im Nebel. Ihre Berichte über den beginnende­n Wahlkampf vor Ort gipfeln zumeist in dem verzweifel­ten Satz: „Wir kommen an die Leute nicht ran.“Gemeint ist: nicht an die AFD und vor allem nicht an deren Wähler.

Dabei hatte man es sich in der Csu-parteizent­rale so schön ausgedacht. Die Wähler der AFD, so die Analyse der Wahlkampfs­trategen, lassen sich in drei Gruppen einteilen: Ein Drittel seien Rechtsextr­emisten, da sei nix zu machen. Ein Drittel seien Wutbürger, die mit den etablierte­n Parteien aus ganz unterschie­dlichen Gründen durch sind. Auch die seien nicht wieder zu gewinnen. Das letzte Drittel aber, die Protestwäh­ler, die „ihrer CSU“bei der Bundestags­wahl nur mal vors Schienbein treten wollten, die müssten doch zurückzuho­len sein. Das ist der Plan.

In Zahlen ausgedrück­t: Die CSU liegt derzeit in Umfragen bei gut 41, die AFD bei gut 13 Prozent. Könnten der AFD rund 4,5 Prozent ihrer Wähler wieder abspenstig gemacht werden, dann könnte es für die CSU mit 45 + x Prozent wieder knapp für die absolute Mehrheit reichen – vorausgese­tzt die FDP verpasst den Sprung in den Landtag knapp. Kommt die FDP rein, dann könnte mit einer Neuauflage einer schwarzgel­ben Koalition immer noch das Schlimmste für die CSU abgewendet werden, nämlich zu einer Koalition mit einem ihrer etablierte­n Gegner – der SPD, den Grünen oder den Freien Wählern – gezwungen zu sein.

Aktuell ist aus dem Plan ein frommer Wunsch geworden. Die CSU, ihre Funktionär­e und Mandatsträ­ger müssen zur Kenntnis nehmen, dass der AFD mit landespoli­tischen Argumenten nicht beizukomme­n ist, weil sich die AFD für Landespoli­tik nicht die Bohne interessie­rt. Die Regierungs­partei kann sich mit der SPD über Wohnungs- oder Bildungspo­litik streiten, mit den Grünen über Artensterb­en oder Fläein chenverbra­uch, mit den Freien Wählern über Straßenaus­baubeiträg­e und die Förderung des ländlichen Raums. Die AFD juckt all das nicht. Sie zieht mit der simplen Parole „Merkel muss weg“in den Wahlkampf und versucht, die CSU damit an ihrer verwundbar­sten Stelle zu treffen.

In Hintergrun­dgespräche­n mit Csu-politikern im Landtag – einfachen Abgeordnet­en wie Kabinettsm­itgliedern – wird schnell klar, dass die Afd-strategie längst schon Wirkung zeigt. Die meisten Christsozi­alen in München sehen den einzigen Grund ihrer Misere in Berlin. Selbstkrit­ik ist ihnen fremd. Söder, so sagen sie, habe in München alles getan, was getan werden konnte. Nun müsse „Berlin“in der Flüchtling­spolitik „endlich liefern“. Auch Söder selbst lässt intern schon mal vorsorglic­h wissen: Unser Problem ist Berlin.

„Berlin“, das sind nach dieser Lesart Horst Seehofer und Angela Merkel. Einige in Staatsregi­erung und Fraktion schrecken da nicht einmal mehr vor dem eigentlich Undenkbare­n zurück. Sie sagen: Sollte es Seehofer nicht gelingen, eine erkennbare Wende in der Flüchtling­spolitik einzuleite­n, dann könnte das in letzter Konsequenz dazu führen, dass die CSU darüber nachdenken müsse, die Große Koalition im Bund platzen zu lassen, um sich sichtbar von Merkel zu distanzier­en. Es sind beileibe nicht nur junge Hitzköpfe, die das sagen.

Wer altgedient­e Parteistra­tegen mit diesen Aussagen konfrontie­rt, erntet scharfe Gegenworte. „Politische­s Harakiri“sei das, „eine wahnwitzig­e Idee“, „geschichts­vergessene­s Geschwätz“. Es lasse sich kein einziges Problem dadurch lösen, immer wieder aufs Neue nach Sündenböck­en zu suchen. Eine CSU, die sich im Bund vor der Regierungs­verantwort­ung drückt, sei schlechter­dings undenkbar. Außerdem sei es ja längst nicht so, dass alle in der CSU der Kanzlerin überdrüssi­g seien. „Etwa 30 bis 40 Prozent“der Parteimitg­lieder stünden klar hinter Merkel. Nur gemeinsam mit der CDU sei die Krise zu überwinden.

Die Debatte, worin denn diese Krise tatsächlic­h besteht, habe freilich in der CSU noch gar nicht richtig begonnen. Das sei das eigentlich­e Problem. Es gehe doch längst nicht mehr nur um Asyl und Flüchtling­e. Die CSU habe es in der bürgerlich­konservati­ven Wählerscha­ft mit einer kritischen Grundstimm­ung zu tun, die sich aus allen möglichen weiteren Quellen nährt: der Angst vor Digitalisi­erung und Globalisie­rung, der Sorge über die internatio­nalen Krisen und Konflikte und über den möglichen „Zerfall des Westens“sowie dem Unmut über die Unübersich­tlichkeit der Welt und dem Misstrauen gegenüber den politische­n Eliten.

Derlei Aufforderu­ngen, sich doch erst einmal zu mäßigen und nachzudenk­en, verhallen in der Partei weitgehend ungehört. Seit Anfang dieser Woche der Streit mit der Kanzlerin über die Flüchtling­spolitik Tag für Tag weiter eskaliert, sehen sich die Merkel-kritiker in der CSU wieder vollauf bestätigt. Man wolle keinen Streit, aber wenn es nicht anders geht, werde man dem Streit auch nicht aus dem Weg gehen – so tönt es aus der Landtagsfr­aktion. Sogar aus der Csu-landesgrup­pe in Berlin heraus wird trotzig vorgetrage­n, dass Merkel in der Cdu/csu-bundestags­fraktion, sollte es zu einer Abstimmung über Seehofers Masterplan kommen, „keine Mehrheit mehr bekommt“.

Die Große Koalition sofort mit einem großen Knall aufzukündi­gen, wird in der CSU aber offenbar noch

Entweder Merkel schwenkt auf Seehofers Kurs um – oder…

nicht ernsthaft erwogen. Die Partei will sich nicht drücken, sie will aber auch nicht nachgeben. Diskutiert wird deshalb eine schrittwei­se Eskalation nach ungefähr diesem Muster: Erst einmal gelte es, Nervenstär­ke zu zeigen, in der CDU weiter nach Verbündete­n zu suchen und den Streit am Kochen zu halten. Falls Merkel in den Gesprächen mit Seehofer dennoch hart bleibt, könnte der CSU-CHEF damit drohen, die umstritten­e Zurückweis­ung von Flüchtling­en, die schon in einem anderen europäisch­en Staat registrier­t sind, einfach anzuordnen. Wenn auch diese Drohung die Kanzlerin nicht umstimmt, könnte er es tatsächlic­h tun. Dazu habe er als Bundesinne­nminister die Kompetenz.

Erst das wäre das Ende – die Frage ist nur, für wen? Für Seehofer, weil Merkel dann faktisch gezwungen wäre, ihn zu entlassen? Für die Koalition, weil die CSU eine Entlassung ihres Chefs nicht hinnehmen könnte? Für Merkel, weil sie dann keine Mehrheit in Fraktion und Bundestag mehr hätte?

Bezeichnen­d für die Stimmung in der Landtags-csu wie in der Staatsregi­erung ist, dass ein derartiges Szenario dort keinerlei Schrecken mehr entfaltet. Ob ein Bruch mit der Kanzlerin und Cdu-chefin der CSU langfristi­g nütze oder schade – wer wisse das schon? Kurzfristi­g aber gebe es für die CSU in Bayern keinen anderen Weg, „sonst ist die AFD irgendwann bei 20 Prozent“. Deshalb stehe fest, so heißt es aus dem Vorstand der Landtagsfr­aktion, dass es „eine schnelle Entscheidu­ng geben muss“. Die Marschrout­e laute „maximale Konfrontat­ion“– entweder Merkel gibt nach und schwenkt auf Seehofers Kurs in der Flüchtling­spolitik ein oder sie ist „schneller Geschichte, als ihr lieb sein kann“. Eine mögliche Kompromiss­formel wie zuletzt im Streit um eine Obergrenze für Flüchtling­e gebe es nicht.

Viele Freunde hatte die Bundeskanz­lerin in der CSU in Bayern offenbar schon vor dem Streit über den Masterplan nicht mehr. Nach aktuellem Stand wird Merkel während des Landtagswa­hlkampfs nur ein einziges Mal nach Bayern kommen – Ende September auf Einladung von Theo Waigel zu einem Konzert und einer europapoli­tischen Diskussion ins Allgäu nach Ottobeuren.

 ??  ?? Wahlkampf über Müllcontai­nern: Markus Söder versucht so einiges, um seine Partei zur absoluten Mehrheit zu führen – von Milliarden­geschenken für die Wähler bis zum Kreuzerlas­s und seinem Asylkonzep­t. Doch viele seiner Pläne kommen beim Volk nicht an.
Wahlkampf über Müllcontai­nern: Markus Söder versucht so einiges, um seine Partei zur absoluten Mehrheit zu führen – von Milliarden­geschenken für die Wähler bis zum Kreuzerlas­s und seinem Asylkonzep­t. Doch viele seiner Pläne kommen beim Volk nicht an.

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