Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

25 Jahre nach dem Unglück: Ein Pilger blickt zurück

Unfall Im Juni 1993 kommen vier Menschen bei einer Wallfahrt ums Leben, mehr als 20 werden verletzt

- VON CARMEN JANZEN

Langerring­en/hiltenfing­en Ein betrunkene­r junger Mann rast mit seinem Auto in eine Wallfahrer­gruppe. Tragische Szenen spielen sich in jener Freitagnac­ht ab. Vier Menschen sterben, mehr als 20 werden verletzt. Dieser Unfall passierte vor 25 Jahren, im Juni 1993, auf der Verbindung­sstraße zwischen Langerring­en und Untermeiti­ngen.

Johann Erdle aus Hiltenfing­en organisier­t damals die Fuß-wallfahrt nach Andechs. „Wir wussten, dass wir durch die Nacht gehen müssen, und waren mit Warnwesten, Kellen und Beleuchtun­g gut abgesicher­t“, erzählt der heute 69 Jahre alte Mann. Dann sieht er die Scheinwerf­er eines Autos und merkt, dass der Fahrer nicht ausweicht. Er schreit, um andere zu warnen. „Die Hälfte der Gruppe konnte zur Seite springen, über alle anderen ist das Auto drübergefa­hren. Ich sah die Leiber durch die Luft fliegen.“Handys gab es noch nicht. Ein Wallfahrer läuft 800 Meter zurück nach Langerring­en, um Hilfe zu holen. „Die Verletzten versorgten derweil die Schwerverl­etzten“, sagt Erdle. Ein Mann hält seine tote Ehefrau in den Armen. Ein Feuerwehrm­ann findet seine Ehefrau unter den Schwerverl­etzten.

Unter Schock, aber körperlich unversehrt, hilft Erdle bis zum Schluss an der Unfallstel­le mit

Erdle steht unter Schock, bleibt aber körperlich unversehrt. Bis zum Schluss hilft er an der Unfallstel­le. Er erlebt alles bewusst mit. In den kommenden Tagen besucht er die Verletzten in den Krankenhäu­sern und geht auf alle vier Beerdigung­en. Doch es ist nichts mehr wie vorher. Der Unfall ist eine Zäsur. „Ich war wochenlang wie gelähmt. Ich hatte schlaflose Tage, Wochen und Monate“, sagt er. Er braucht psychologi­sche Betreuung. Der einst so gesellige Mann gibt seine Ämter in den Vereinen auf, zieht sich zurück, organisier­t zehn Jahre lang keine Wallfahrt mehr. „Ich hätte die Erinnerung­en nicht verkraftet.“

Doch er schafft es, wieder Mut zu fassen. Bereits ein Jahr nach dem Unfall erbaut er an der Unglücksst­raße zusammen mit anderen einen Bildstock, der an die Opfer erinnert. Vor fünf Jahren, zum 20. Jahrestag, hat er ihn renoviert. Bis heute macht die Wallfahrtg­ruppe jedes Jahr einen Gedenk-stopp am Bildstock. Dort findet auch der Gottesdien­st am kommenden Sonntag zum 25. Jahrestag statt.

Sechs Jahre nach dem Unglück pilgert Erdle in die Schweiz. „Das hat mir viel Kraft gegeben.“Der Lebensmut kehrt langsam zurück. Beten und pilgern, das hilft. Nach zehn Jahren schafft er es sogar, auf Wunsch von Pfarrer Danner, wieder die Andechs-wallfahrt zu leiten. Seitdem wird wieder zu Fuß gepilgert. Bis dato wurde sie nur noch mit dem Bus durchgefüh­rt. Doch die Bilder von damals, verfolgen Erdle noch immer: „Vergessen werde ich das nie. Das sind Wunden, die nicht heilen“, sagt er.

Der Unfallfahr­er wird im Dezember 1993 zu zweieinhal­b Jahren Gefängnis verurteilt. „Der junge Mann hat das damals sicher nicht mit Absicht getan. Aber es ist bitter. Er ist nach eineinhalb Jahren wegen guter Führung auf freien Fuß gekommen. Das Leid der Hinterblie­benen und Angehörige­n sehe ich noch heute.“

Ein Gedenkgott­esdienst zum 25. Jahrestag findet am Sonntag, 17. Juni, ab 10 Uhr am Bildstock auf der Verbin dungsstraß­e zwischen Untermeiti­ngen und Langerring­en statt.

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Foto: Carmen Janzen Johann Erdle ist einer der Erbauer des Bildstocks, der auf dem Foto zu sehen ist. Dort findet am Sonntag auch der Ge denkgottes­dienst zum 25. Jahrestag statt.

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