Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ein Hauch von Wildbad Kreuth
„Theaterstücke im Dienste von Landtagswahlen sind hier nicht angemessen.“Hintergrund Der Krach um die Flüchtlingspolitik zwischen CSU und CDU ist derart verbissen, dass bereits über eine Trennung der Schwesterparteien spekuliert wird. Doch alle wissen, da
SPD Partei und Fraktionschefin Andrea Nahles forderte die Union zur Beendigung ihres Streites auf Berlin Sie gehen getrennte Wege. Selbst altgediente Unionsabgeordnete, die in ihrem politischen Leben schon viel erlebt haben, können sich nicht erinnern, dass es so etwas schon einmal gegeben hat. Im Aufzug, der sie vom Plenarsaal in der ersten Ebene des Reichstagsgebäudes in die Fraktionsebene im dritten Stock bringt, stehen die Parlamentarier von CDU und CSU noch einträchtig Seit an Seit. Doch dann scheiden sich ihre Wege. Die Bayern wenden sich nach rechts und steuern den kleinen Sitzungssaal des Fraktionsvorstands an, der große Rest der Cdu-ler geht nach links in den großen Sitzungssaal der Fraktion. Fast vier Stunden tagen die Schwestern danach getrennt voneinander.
Ein Hauch von Kreuth weht an diesem Donnerstag durchs Berliner Reichstagsgebäude. Die Einheit der Schwesterparteien, die seit 1949 eine Fraktionsgemeinschaft bilden, steht auf dem Spiel – wie 1976, als der damalige CSU-CHEF Franz Josef Strauß in Wildbad Kreuth die Aufkündigung beschloss. Die Sitzung des Bundestags wird stundenlang unterbrochen, weil CDU und CSU ihren Streit um den Umgang mit Flüchtlingen auf offener Bühne austragen und erst gar nicht mehr den Versuch unternehmen, die im Wahlkampf und bei den Koalitionsverhandlungen noch mühsam gekitteten Bruchlinien zu vertuschen.
„Was soll denn das? Wir sind doch eine Fraktion? Warum tagen wir ohne den Innenminister?“, ereifert sich ein Cdu-abgeordneter auf dem Weg in den Saal. Doch Horst Seehofer, der den Aufzug schweigend und mit ernster Miene verlässt, biegt nach rechts ab und lässt die CDU buchstäblich links liegen. Der Konflikt um seinen Masterplan für eine rasche Bearbeitung der Asylanträge und schnelle Abschiebungen droht zu eskalieren, ein mehrstündiges Krisengespräch zwischen Seehofer und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwochabend brachte keine Annäherung.
Im Kreise seiner Parteifreunde holt sich der CSU-CHEF und Innen- minister die Rückendeckung, auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder nimmt an der Sitzung teil. Und die Landesgruppe steht geschlossen hinter ihm – mehr noch, sie ist bereit, den Konflikt mit Merkel notfalls offen auszutragen. Seehofer spricht sich dafür aus, das Veto der Kanzlerin zu ignorieren und seinen Masterplan im Alleingang vorzustellen, indem er von seiner Ministerzuständigkeit Gebrauch mache. Wie unsere Zeitung aus Teilnehmerkreisen erfuhr, schließt er in diesem Zusammenhang auch einen Bruch der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU als Konsequenz nicht aus. „Für eine gemeinsame Fraktion könnte es sehr eng werden, zum Bruch fehlt nicht mehr viel“, sagt ein führendes Mitglied der Csu-landesgruppe unserer Zeitung. Und ein anderer beantwortet die Frage, ob sich da etwas zusammenbraue, nur mit einem Wort: „Gewaltig“. Aus der inhaltlichen Frage könne „dramatisch schnell eine personelle werden“, orakelt er düster, soll heißen, es gehe um die Zukunft Merkels. Auch Ministerpräsident Söder schwört die CSU auf einen harten Kurs ein. „Wir sind im Endspiel um die Glaubwürdigkeit“, sagt er, wie Teilnehmer bestätigen. Die Union stehe an einer „historischen Weggabelung“, sie müsse „endlich die Fehler von 2015 beheben“.
Geschlossen stellen sich die Abgeordneten hinter ihren Minister und ermutigen ihn, seinen Masterplan wie von ihm geplant durchzusetzen, ohne auf eine Einigung auf Eu-ebene beim Gipfel Ende des Monats zu warten. Am Montag sollen die Führungsgremien der CSU das formal beschließen – eine offene Kampfansage an Merkel! „Wir sind uns alle der besonders schwierigen Situation und der Tragweite unserer Entscheidung bewusst, aber wir erwarten von der Kanzlerin, die Pläne umzusetzen, damit verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden kann“, sagt Unions-fraktionsvize Ulrich Lange gegenüber unserer Zeitung. Die CSU versperre sich keiner europäischen Lösung, doch bis diese greife, müssten nationale Maßnahmen ergriffen werden. Und sein schwäbischer Parteifreund Georg Nüßlein, ebenfalls Vizefraktionschef, sagt: „Wir wollen die Fraktionsgemeinschaft erhalten, wir wollen die Regierung erhalten, aber wir wollen auch unsere Linie halten, Profil zeigen und deshalb ist uns der Inhalt wichtiger als das Drumherum.“Es liege nun an Merkel, eine Politik zu unterstützen, die von einer großen Mehrheit der gesamten Fraktion und weiten Teilen der Bevölkerung getragen werde.
Deutlich gespaltener zeigt sich die Stimmung in der CDU, Teilnehmer sprechen hinterher von einer angespannten Lage. Zahlreiche Abgeordnete, unter ihnen auch Gesundheitsminister Jens Spahn, schließen sich demonstrativ der Forderung Seehofers an und fordern ebenfalls eine Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze. Doch Angela Merkel rückt von ihrem Kurs nicht ab.
Eindringlich bittet sie ihre Parteifreunde darum, ihr noch 14 Tage Zeit bis zum Eu-gipfel zu geben, um eine europäische Lösung zu finden. In der nächsten Woche kämen der neue italienische Ministerpräsident
Kanzlerin Merkel verweist auf Frankreich
und der französische Staatspräsident nach Berlin – diese Gespräche wolle sie nutzen, um tief greifende Fortschritte zu erzielen. Ziel sei es, eine „juristisch wasserdichte“Rückweisung von Migranten möglich zu machen. Gegenüber ihrer Fraktion verweist Merkel auf Frankreich, das mit Italien ein derartiges Abkommen abgeschlossen habe. Auch Fraktionschef Volker Kauder und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble werben für diese Lösung. Mit Erfolg. Eine Mehrheit der Cdu-parlamentarier schließt sich dieser Position an. Auch ihre Kritiker, die in der Sache Horst Seehofer recht geben und Zurückweisungen an der Grenze fordern, sind bereit, ihr noch diese 14 Tage Zeit zu geben.
Wie es nach den getrennten Sitzungen von CDU und CSU weitergeht, ist allerdings völlig offen. Sollte Horst Seehofer tatsächlich in der kommenden Woche im Alleingang seinen Masterplan vorstellen, müsste Merkel von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und ihn entlassen, heißt es offen in der Cdu-fraktion. Das aber wäre das Ende der Regierung.