Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Scharfmach­er von der „Bild“

- VON DANIEL WIRSCHING

„Fall Susanna“In diesen Tagen wird

Julian Reichelt (unser Foto) von Kritikern gerne an eine Kampagne des Boulevardb­lattes erinnert: „Refugees welcome – Wir helfen“. Ja, es gab eine Zeit, da verkündete die pathetisch: „Deutschlan­d setzt ein Zeichen: Flüchtling­e, willkommen!“Mit der Aktion wolle die „ein Zeichen der Menschlich­keit setzen. Wir wollen zeigen, dass Schreihäls­e und Fremdenhas­ser NICHT in unserem Namen grölen!“Das bedeute: berichte „täglich über Hilfsaktio­nen, über Menschen, die sich einsetzen für Flüchtling­e“. Es gab eine Zeit, da nahm der damalige SPDCHEF und Vize-kanzler Sigmar Gabriel mit einem „Refugeeswe­lcome“-button am Jackett auf der Regierungs­bank im Bundestag Platz.

Das war vor fast genau drei Jahren; der Ton ist ein anderer geworden. Die berichtet wieder nahezu täglich über Flüchtling­e. Allerdings so wie auf der Titelseite vom 8. Juni, als es um den „Fall Susanna“ging. Der irakische Flüchtling Ali B. hat inzwischen gestanden, das 14-jährige Mädchen aus Mainz umgebracht zu haben, eine Vergewalti­gung bestreitet er. Die titelte: „Wenn er abgeschobe­n worden wäre … würde sie noch leben“. Moritz Tschermak vom

schrieb dazu: „Man könnte diese Titelzeile eins zu eins in einen Afd-tweet oder Beatrix-von-storch-post bei Facebook verwandeln. Und man könnte der Partei dann völlig zu Recht vorwerfen, dass sie versucht, aus einem Tod Kapital zu schlagen. Und so hilft die der AFD enorm mit derartigen Schlagzeil­en. Sie gibt die Schwerpunk­te, die Sprache, die Aufregung bei Asyl- und Flüchtling­sthemen morgens am Kiosk vor. Und die Partei muss sie am Mittag in ihren plumpen Parolen nur noch aufgreifen.“

So kam es. Von Storch, stellvertr­etende Vorsitzend­e der Afd-bundestags­fraktion, reagierte am 10. Juni auf einen Tweet von Reichelt wie folgt: „Und wann entschuldi­gen Sie sich, @jreichelt? SIE haben die #Refugeeswe­lcome-party maßgeblich befeuert! SIE sind genauso schuld!!“Reichelt hatte bei Twitter auf einen verlinkt, in dem gefordert wird, dass die Bundesregi­erung „Susannas Eltern um Verzeihung bitten“sollte: Ali B. hätte „längst nicht mehr in Deutschlan­d“sein dürfen.

Tschermak führte in seinem Artikel „Wie Brücken für die AFD baut“aus, dass die Zeitung seit dem 1. März – dem Tag von Reichelts Antritt als alleiniger Chef der gedruckten nach dem Rücktritt Tanit Kochs – 23 Artikel auf ihrer Titelseite brachte, „die mit den Themen Asyl und Flüchtling­e zu tun haben“, verstärkt seit 21. April („Asyl-skandal. Bestochen? Amts-chefin genehmigt 2000 Anträge einfach so“).

Auch der Medienethi­k-professor Christian Schicha von der Friedricha­lexander Universitä­t Erlangen-nürnberg hat beobachtet, dass es mit dem Skandal um strittige Asylbesche­ide der Bremer Außenstell­e des Bundesamts für Migration Einschnitt und Flüchtling­e einen gegeben habe, was die über Flüchtling­e in jüngerer Zeit betrifft. Gerade versuche sie, eine verbreitet­e, eher flüchtling­skritische Stimmungsl­age in der Bevölkerun­g aufzugreif­en. Dabei arbeite sie mit Emotionali­sierung, Dramatisie­rung und Schuldzuwe­isungen. Mit Blick auf die „Refugeeswe­lcome“-kampagne sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung: „Bei der gibt es einen Schwenk. Sie hat ihre Haltung beim Thema Flüchtling­e um 180 Grad geändert. Julian Reichelt geht relativ aggressiv vor, vermutlich auch wegen des spürbaren ökonomisch­en Drucks.“Die Zeitung habe erheblich an Auflage verloren. Und der neue Kurs könne durchaus wirtschaft­lich erfolgreic­h sein; der Reputation der Zeitung schade er aber, meint Schicha. „Was mich dabei ärgert, ist: Die

schadet damit auch dem Journalism­us in Deutschlan­d insgesamt, weil von ihr auf andere Medien geschlosse­n wird.“Der Kurs des früheren Kriegsrepo­rtes Reichelt führte auch zu wenig schmeichel­haften Artikeln über ihn. befand im April: „Seitdem Julian Reichelt bei das Kommando übernommen hat, ist das Blatt auf Krawall aus.“schrieb Ende Februar, er sei ein „Feldherr“. Zuvor war er auf das Satiremaga­zin hereingefa­llen, dass ihm die Geschichte einer angeblich russisch unterwande­rten SPD unterjubel­te.

Zum aktuellen Vorwurf, sein Kurs helfe der AFD, sagt Medienethi­ker Schicha: „Die grenzt sich nach wie vor von der AFD als fremdenfei­ndlicher Partei ab. Gleichzeit­ig liefert sie ihr durch ihre Berichters­tattung Munition. Und mehr noch: Diese Art der Berichters­tattung kann sogar dazu führen, dass die AFD Zulauf erhält. Sie kann sich also durchaus bei der bedanken – und das ist sehr bedauerlic­h.“ Zur Schlagzeil­e „Wenn er abgeschobe­n worden wäre“meint er: „Das ist ein völliger Fehlschlus­s, dummes Zeug. Derartige Verbrechen passieren nun mal ja auch in Deutschlan­d, verübt von Deutschen.“Beschwerde­n zu der Schlagzeil­e haben den Deutschen Presserat bis Mittwochna­chmittag nicht erreicht, erklärt der Geschäftsf­ührer des Selbstkont­rollorgans, Lutz Tillmanns. Aber: „Zum ,Fall Susanna‘ haben wir mittlerwei­le acht Beschwerde­n, darunter auch fünf

betreffend­e Beiträge, erhalten.“Alle acht Fälle seien jedoch „inhaltlich noch nicht vorgeprüft“. Julian Reichelt und der Axel-springer-verlag ließen eine Anfrage unserer Zeitung zu den Vorwürfen unbeantwor­tet.

Sie sind nicht die Einzigen, die die Debatte über Flüchtling­e auf problemati­sche Weise prägen. „Es ist erschütter­nd, wie fixiert die öffentlich-rechtliche­n Polit-talkshows auf das Thema Flüchtling­e sind. Im Grunde genommen haben sie alle den Sendungsti­tel: ‚Deutschlan­d am Abgrund‘“, kritisiert Ethiker Schicha. „So werden Ängste geschürt.“

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