Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Bahnwärter­häuschen ohne Schienen

Geschichte Hinter dem Gewerbegeb­iet steht ein Stück verlorene Verkehrsge­schichte, um das sich Legenden ranken / Serie (8)

- VON MICHAEL EICHHAMMER Foto: Michael Eichhammer

Augsburg/friedberg Versteckt unter Wildwuchs hinter einem kleinen Gewerbegeb­iet an der Meringer Straße in Augsburg steht ein stummer Zeitzeuge historisch­er Tage. Das Gebäude mit der Hausnummer 110c liegt nicht zufällig nah an den Gleisen. Als die erste bayerische Eisenbahnl­inie zwischen München und Augsburg 1840 den Betrieb aufnahm, war an dieser Stelle ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt des Verkehrswe­sens der Zukunft.

Wobei die „Zukunft“damals bedeutete: Die Reise von der schwäbisch­en Metropole in die bayerische Landeshaup­tstadt dauerte zweieinhal­b Stunden. Immerhin deutlich schneller als die Alternativ­e: Für die Anreise per Kutsche nach München musste man zehn Stunden rechnen.

Beim Stierhof wurde ein erster Haltepunkt errichtet – der Vorläufer des heutigen Bahnhofs in Hochzoll. Wo die Bahnstatio­n stehen sollte, darüber wurde damals heftigst diskutiert. Der Historiker Dr. Hubert Raab, seines Zeichens Kreisheima­tpfleger Aichach-friedberg, weiß, dass sich die Friedberge­r Bürger vehement gegen eine Bahnlinie durch den Ort wehrten, während Kaufleute sich dafür einsetzten.

Letztere sahen in einer direkten Bahnstreck­e durch Friedberg die Chance, den Warentrans­port drastisch zu beschleuni­gen. Letztlich wurde der Stierhof in der Friedberge­r Au als Haltepunkt auserkoren.

Ein Empfangsge­bäude, wie man sich das heute vorstellt, war die Bahnstatio­n Stierhof nicht. Die Reisenden verkürzten sich die Wartezeite­n eher in der dazugehöri­gen Bahnhofswi­rtschaft. Der Bahnhofsvo­rsteher war für die Weichenste­llung des Durchfahrt­s- und des Ladegleise­s ebenso zuständig wie für das Frachtgut und die Fahrkarten. 1875 wurde die Bahnstatio­n verlegt.

Mit Inbetriebn­ahme der Paartalbah­n wurde der neue Bahnhof Hochzoll eingeweiht und der Haltepunkt Stierhof aufgelasse­n. Nichts von dieser bewegten Geschichte sieht man dem Gebäude im Gebüsch hinter der Meringer Straße an. Vinzenz Mayr senior von Blumen Viola lebt in der Nachbarsch­aft und erinnert sich, dass zwei ehemalige Dbmitarbei­terinnen das Haus an der Meringer Straße nach der Privatisie­rung der Bahn seit den Neunziger Jahren als Wochenendh­äuschen genutzt hatten. Mayr ist Gründungsm­itglied der Augsburg-hochzoller Eisenbahnf­reunde. Auch Mayr kann die Frage nicht beantworte­n, ob es sich bei dem Gebäude in der Wildnis auf der anderen Straßensei­te wirklich um das historisch­e, für Wohnzecke komplett umgebaute Gebäude aus der Pionierzei­t der Strecke Augsburg–münchen handelt. „Baujahr unbekannt“, lautete das Fazit der Wertermitt­ler, die das Gebäude im Auftrag des Bundeseise­nbahnvermö­gens (BEV) begutachte­ten. Geschätzt wurde es auf Baujahr 1945. Laut Plänen aus dem Jahr 1958 handelt es sich um das ehemalige Bahnwärter­häuschen.

Derzeit steht das Haus leer. Gekauft wurde es vor zwei Jahren von der Diakonie Augsburg. Wie das Gebäude zukünftig genutzt wird, steht noch zur Diskussion.

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In Hochzoll wurde am Gutshof Stierhof die erste Hochzoller Bahnstatio­n für die neu errichtete Bahnstreck­e München–augsburg 1839/1840 eingesetzt. Heute steht das von der Bahn längst verkaufte Gebäude leer.

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