Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Merkels „Mission impossible“
Asylpolitik I Nur zehn Tage bleiben der Bundeskanzlerin für eine europäische Lösung. Vor ihr steht ein Verhandlungsmarathon. Und ihre Union debattiert munter weiter
Berlin Die „Mission impossible“hat begonnen. Angela Merkel muss das Unmögliche möglich machen, und das in weniger als zwei Wochen. Bis zum Eu-gipfel Ende nächster Woche verbleiben ihr gerade noch zehn Tage, um im Asylstreit mit Innenminister Horst Seehofer Ergebnisse zustande zu bringen – entweder bilaterale Lösungen mit den wichtigsten Transitländern auf den Flüchtlingsrouten durch Europa oder eine große europäische Lösung.
Auf dem Programm der Kanzlerin steht ein Verhandlungsmarathon. Schon am Montagabend geht es los, als Merkel den neuen italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte im Kanzleramt empfängt. Was eigentlich als eher harmloser Antrittsbesuch zum gegenseitigen Kennenlernen geplant ist, hat sofort den Charakter eines Krisengesprächs. Denn der parteilose Conte steht einer Regierung vor, in der die rechtspopulistische Lega mit ihrer Forderung nach einem Ende der Aufnahme von Flüchtlingen massiv an Stimmen gewonnen hat, und der neue Innenminister Matteo Salvini von der Lega entschlossen ist, seinen Worten auch Taten folgen zu lassen. Die Forderung Deutschlands, Flüchtlinge, die in Italien registriert und dann nach Deutschland weitergereist sind, wieder zurückzunehmen, wird von der neuen Regierung kategorisch abgelehnt.
In Berlin geht die Angst um, dass Italien, sollte Seehofer mit seinen Zurückweisungen Ernst machen, Flüchtlinge überhaupt nicht mehr registriert, sondern nach Deutschland durchwinkt. „Das wäre die Neuauflage des Herbstes 2015“, heißt es warnend in Regierungskreisen. Eine schnelle Lösung mit Italien ist jedenfalls nicht in Sicht, zumal auch Vertreter der Oppositionsparteien wie Laura Garavini von der sozialdemokratischen PD in aller Offenheit sagen: „Italien wird sich weigern, Flüchtlinge aus Deutschland zurückzunehmen.“
Am Dienstag trifft sich Merkel im Gästehaus der Bundesregierung im brandenburgischen Meseberg mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der sich – wie die Kanzlerin – für eine Reform des europäischen Asylsystems mit gleichen Regeln und Standards in allen Mitgliedsländern der EU ausspricht. Zudem wollen beide die europäische Grenzschutzbehörde Frontex stärken und ausbauen. Am Abend kommt auch Eu-kommissionspräsident Jean-claude Juncker nach Meseberg.
Macron kann in den Gesprächen aus eigenen Erfahrungen berichten, wie gering die Wirkung einer bilateralen Vereinbarung ist: So gibt es bereits seit 1999 ein Rückführungsabkommen zwischen Frankreich und Italien, auf dessen Grundlage Paris im vergangenen Jahr rund 56 000 Flüchtlinge nach Italien zurückschickte. Doch dort wird so gut wie nichts unternommen, um die Flüchtlinge aufzunehmen oder von neuen Versuchen abzuhalten, illegal ins Nachbarland einzureisen – ein endloses Katz-und-maus-spiel.
In der Union geht auch am Dienstag die Debatte zwischen CDU und CSU um die Asyl- und Flüchtlingspolitik mit unverminderter Heftigkeit weiter. Gegenüber unserer Zeitung äußern mehrere Cdu-abgeordnete ihr Unverständnis, dass Merkel am Montag erneut Seehofer mit ihrer Richtlinienkompetenz gedroht hat, sollte er am 1. Juli im Alleingang die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze anordnen. Das sei eine „unnötige Provokation“, sagt ein Parlamentarier, „warum gießt sie neues Öl ins Feuer?“Das trage nicht zur Befriedung bei.
Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein (CSU) sagte unserer Zeitung, es sei „notwendig und richtig“, dass die Kanzlerin für eine europäische Lösung kämpft. Dabei gehe es um die Richtlinien, „nicht aber bei dem, was Horst Seehofer an den Grenzen umsetzen muss, falls die Lösung nicht zustande kommt“. Die geplanten Zurückweisungen würden auf geltendem Recht basieren. „Eine Richtlinienkompetenz, die über geltendem Recht steht, gibt es nicht“, so der Abgeordnete aus dem Kreis Günzburg. Er zeigt sich optimistisch, dass es nicht zum Worstcase-szenario kommt. „Die Kanzlerin ist zudem zu klug, um einen Koalitionspartner über die Richtlinienkompetenz aus der Regierung zu weisen.“