Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bagatellfä­lle machen Rettungsdi­ensten zu schaffen

Gesundheit Die Einsätze nehmen massiv zu. Die Mitarbeite­r stehen unter Druck. Wie lässt sich die Lage verbessern?

- VON HENRY STERN

München Stehen die Rettungsdi­enste in Bayern kurz vor dem Kollaps? Oder ist die Lage trotz stark gestiegene­r Einsatzzah­len im Griff? Bei einer Anhörung im Landtag gingen die Meinungen über den Zustand der Notfallret­tung unter den geladenen Experten weit auseinande­r.

„Zur Versorgung der schwer kranken und schwer verletzten Patienten ist der Rettungsdi­enst hervorrage­nd aufgestell­t“, findet etwa der Landesbeau­ftragte für den Rettungsdi­enst, Dr. Michael BayeffFill­off. Allerdings gebe es zunehmend Einsätze, die eigentlich nicht vom Rettungsdi­enst versorgt werden müssten.

Um fast die Hälfte ist die Zahl der Notfall-einsätze insgesamt in den letzten zehn Jahren gestiegen, ziehen die Experten Bilanz. Allerdings habe auch die Zahl sogenannte­r „Fehlfahrte­n“ohne jeden medizinisc­hen Grund um mehr als ein Drittel zugenommen. Woran diese Zuwächse genau liegen, blieb mangels statistisc­her Auswertung der Einsätze jedoch auch im Landtag weiter im Dunkeln: Eine älter werdende Gesellscha­ft, ein „hohes Anspruchsd­enken“der Bevölkerun­g an die ärztliche Versorgung auch bei medizinisc­hen Bagatellen oder eine schlechter werdende Versorgung durch wohnortnah­e Krankenhäu­ser oder ständig verfügbare Hausärzte wurden in der Anhörung als mögli- che Gründe angeführt. „Immer mehr Rettungsdi­enste aufzustell­en, kann solche grundlegen­den Probleme aber nicht lösen“, warnte der Notfallmed­iziner Dr. Stephan Prückner. Zumal die Auslastung der Notfall-retter sehr unterschie­dlich sei: Mehr als sechzig Prozent aller Rettungsst­ationen in Bayern hätten in 24 Stunden maximal fünf Einsätze. „Da ist schon noch ein Puffer drin“, findet Prückner. „In städtische­n Regionen fahren die Rettungswa­gen dagegen in der Früh raus und sind dann quasi 24 Stunden im Dauereinsa­tz“, sagt der Notfallmed­iziner.

Lorenz Ganterer, bei der Gewerkscha­ft Verdi für den Fachbereic­h Gesundheit zuständig, sieht dagegen bei allen Rettungsdi­ensten sehr grundsätzl­iche Probleme: „Mehrere hundert Überstunde­n sind in diesem Bereich die Regel“, berichtete er. Eine hohe Arbeitsbel­astung im Schichtdie­nst, keine Einhaltung von Ruhezeiten, fehlende Personalpu­ffer bei Krankheite­n oder Unterbeset­zung – all dies führe bei den Mitarbeite­rn „trotz hoher Empathie für den Beruf zu sehr hohen Ausstiegsq­uoten“.

Der Druck auf viele Mitarbeite­r sei extrem, warnte auch Josef Pemmerl vom Malteser Rettungsdi­enst. Hauptgrund sei „chronische­r Personalma­ngel“aber auch anhaltende­r Kostendruc­k. Alle Rettungsdi­enste suchten zudem „händeringe­nd gutes Personal“, klagte Pemmerl: „Aber niemand will’s mehr machen.“

Wie lässt sich die Situation aber verbessern? Sinnlose Einsätze zu reduzieren, wäre aus Sicht der Experten ein vielverspr­echender Ansatz. Doch in der Praxis sei dies meist nicht so einfach: „Wir haben viele sinnlose Einsätze aus Furcht vor juristisch­en Drangsalie­rungen“, warnte Prof. Michael Schroth, Chef der Arbeitsgem­einschaft bayerische­r Notärzte. Niemand in den Notrufzent­ralen traue sich mehr, einen fragwürdig­en Notruf als Bagatelle abzuwimmel­n, glaubt auch Verdi-mann Ganterer: „Die Folgen könnten auch für den Einzelnen arbeits- und haftungsre­chtlich gravierend sein.“

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