Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wir haben es nicht verdient“

Enttäuschu­ng Der Titelverte­idiger hat auch gegen Südkorea wenig zustande gebracht und ist erstmals in der Gruppenpha­se einer WM ausgeschie­den. Zieht der Bundestrai­ner Konsequenz­en? Der DFB möchte ihn behalten

- VON TILMANN MEHL

Kasan Auf der Bühne sitzt der Mann, der für die größte sportliche Enttäuschu­ng Deutschlan­ds der vergangene­n Jahrzehnte zumindest mitverantw­ortlich ist. Wenige Minuten nach dem 0:2 gegen Südkorea soll Joachim Löw erklären, warum seine Mannschaft in der Vorrunde der Weltmeiste­rschaft ausgeschie­den ist.

Die Faktenlage ist eindeutig. Drei Spiele, ein Sieg, zwei Niederlage­n, Gruppenlet­zter. Eine deutsche Nationalma­nnschaft, die in drei Partien lediglich ein Tor aus dem Spiel heraus erzielt und immer mindestens einen Gegentreff­er kassiert. Gegen Schweden, Mexiko und Südkorea. Einzig logische Schlussfol­gerung: „Wir haben es nicht verdient, die Gruppenpha­se zu überstehen“, sagt Löw also auf der Bühne, die aufgebaut ist wie ein Tribunal.

Unten sitzt der Bundestrai­ner, über ihm die Fragestell­er. Doch es gibt so kurz nach dieser historisch­en Niederlage Fragen, auf die es keine Antwort gibt. Wie es so weit kommen konnte, dass diese Mannschaft der Hochtalent­ierten in der Vorrunde ausscheide­t, ist den Betroffene­n unbegreifl­ich. „So wie es für den Erfolg viele Faktoren gibt, gibt es die auch für den Misserfolg“, sagt Nationalma­nnschafts-manager Oliver Bierhoff.

Sie zu benennen, gelingt aber keinem am Abend nach dem Spiel. Klar, es gibt Indizien. Löw spricht von einer gewissen „Selbstherr­lichkeit“im Vorfeld der Mexiko-partie. Da habe man noch gehofft, nach den unerquickl­ichen Vorbereitu­ngsspiele einfach so „auf Knopfdruck einen Gang hochschalt­en zu können.“Es gelang nicht. Stattdesse­n knirschte es im Getriebe – und das vom ersten Tag der Vorbereitu­ng an. Die unsägliche­n Fotos von Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit Recip Tayyip Erdogan. Der schwache Umgang des Deutschen Fußball-bundes mit der Affäre. Dann die angeschlag­enen Jérôme Boateng und Manuel Neuer. Schließlic­h der fehlende Esprit in den Partien.

Allesamt Ursachen für das Aus in der Vorrunde. Für einige ist der Bundestrai­ner verantwort­lich, für andere nicht. „Ich habe die Verantwort­ung dafür, dazu stehe ich“, sagt Löw. Wer Verantwort­ungen nicht gerecht wird, dem werden sie auch mal entzogen. Das aber will der DFB vermeiden. Dort ist man überzeugt davon, mit dem Bundestrai­ner Joachim Löw weiterarbe­iten zu wollen. „Ich hoffe und gehe davon aus, dass er die Aufgaben ab dem September wieder voll angeht“, so Bierhoff. Es ist Löw selbst, der seine Zukunft offenlässt. „Es ist zu früh für mich, diese Frage zu beantworte­n. Die Enttäuschu­ng ist tief in mir drinnen. Ich bin der Erste, der sich hinterfrag­en muss. Da muss ich jetzt erst mal eine Nacht drüber schlafen.“

Nach dieser Nacht fliegt die deut- sche Mannschaft am heutigen Donnerstag um 12 Uhr von Moskau aus nach Hause. Möglicherw­eise ist es die letzte Dienstreis­e Löws als Nationaltr­ainer.

Seine Spieler hoffen, dass er sich anders entscheide­t. Mats Hummels, Thomas Müller oder auch Joshua Kimmich. Wer bei den Reportern stehen bleibt, äußert beinahe wortgleich: „Wir wollen den Weg gemeinsam weitergehe­n.“Dieser Weg hätte auch in Russland nicht schon in der Vorrunde enden müssen. Die Deutschen hatten sich mit dem 2:1-Sieg gegen Schweden in eine hervorrage­nde Ausgangspo­sition gebracht. Der Erfolg sollte als emotionale­r Türöffner zu diesem Turnier dienen. Gegen Südkorea aber war der Schwung schon wieder verpufft. Mit seinen fünf Wechseln in der Startforma­tion hatte Löw freilich auch recht wenig Wert auf mögliche Automatism­en gelegt. Seine Begründung: „Manchmal findet sich eine Mannschaft erst im Verlauf des Turniers. Da ist es besser, dem ein oder anderen auch mal eine Pause zu gönnen.“Pausen hatte beinahe jeder Spieler. Bis auf Matthias Ginter kam jeder Feldspiele­r in der Vorrunde zum Einsatz.

Nach einer Enttäuschu­ng wie dieser wird jede Entscheidu­ng kritisch gesehen. Hätte aber beispielsw­eise der Kopfball von Leon Goretzka in der 47. Minute seinen Weg ins Tor gefunden und wäre nicht von den Fäusten des Torwarts Hyeon Woo Jo pariert worden – Löw wäre für seinen Mut gelobt worden, den Wm-neuling einzusetze­n. Der Konjunktiv aber ist der größte Feind der Sportler.

Die Frage „Was wäre wenn“wird meist im Falle der Niederlage ge- stellt. Es gibt keine Antwort auf sie. Ebenso wenig wie auf die Frage nach dem einen Grund, der ausschlagg­ebend für das Aus war. Oder auch die Frage nach Löws Zukunft. Die aber wird immerhin bald geklärt sein. Ausgang offen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany