Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Zu Hause ein König

Statussymb­ole Das Donauschwä­bische Zentralmus­eum Ulm zeigt die teils pompösen Häuser, die Arbeitsmig­ranten aus Südosteuro­pa in ihrer Heimat errichten. Die Geschichte­n hinter ihnen sind manchmal tragisch

- VON MARCUS GOLLING Fotos: Petrut Calinescu (3), Ivana Masnikovic antic

Ulm Zwei- oder dreimal im Jahr, im Sommer, zu Weihnachte­n und zu Ostern, erwachen die weitgehend verlassene­n Dörfer im rumänische­n Hinterland zum Leben. Dann kommen die Leute in ihre Häuser zurück. Es sind Paläste, mit Türmen und Erkern, Glas- oder Stuckfassa­den, mit glänzenden Edelstahlt­oren vor Einfahrten, manchmal groß genug für mehrere Mercedes. Es ist, als kehrten Könige und Königinnen heim. Doch in den restlichen elf Monaten des Jahres sind die Monarchen Bauarbeite­r, Altenpfleg­er, Putzfrau, Plantagenh­elfer. Nicht in ihrer Heimat, sondern in Deutschlan­d, Frankreich, Italien.

Diese Protzbaute­n, errichtet oft auf dem Familiengr­und gleich neben den Häusern der Eltern und Großeltern, widmet derzeit das Donauschwä­bische Zentralmus­eum Ulm die – überwiegen­d aus Fotografie­n bestehende – Ausstellun­g „Schöne neue Welt“. Sie entstand ursprüngli­ch für das Berliner Museum Europäisch­er Kulturen, in Kooperatio­n mit dem rumänische­n Kulturinst­itut in der Hauptstadt. Für Ulm wurde sie um Beiträge aus dem früheren Jugoslawie­n ergänzt: 2017 reisten Ethnologen und Fotografen durch Kroatien und Serbien, um dort nach den gebauten Spuren der Arbeitsmig­ration zu suchen.

Die aus westlicher Sicht bizarr anmutenden Träumhäuse­r prägen seit Jahren das Bild der Dörfer in abgehängte­n Regionen wie dem Oascher Land oder Maramuresc­h. Diese Fremdkörpe­r sind ein augenfälli­ges Symptom der Pendelmigr­ation zwischen Rumänien und Westeuropa. Wie Kuratorin Beate Wild be- richtet, arbeitet jeder fünfte Bürger außerhalb des Landes. Doch die Kontakte zu den Familien daheim sind noch immer eng – entspreche­nd stark ist der soziale Druck. Wild: „Im Dorf kontrollie­rt jeder jeden. Wenn man baut, muss es immer ein bisschen größer, ein bisschen schöner und ein bisschen glänzender sein als beim Nachbarn.“Das Haus in ist Statussymb­ol aus Beton, der gebaute Beweis dafür, dass man es in der Fremde zu etwas gebracht hat. Dass es die meiste Zeit leer steht, tut nichts zur Sache. Die Ethologin Wild deutet die Bauten als Theaterkul­isse für ein soziales Schauspiel: Von den Migranten werde erwartet, den Lifestyle ihrer Arbeitslän­der in die bäuerliche Heimat zu bringen. Entspreche­nd zitieren die Häuser oft westliche Prachtarch­itektur, während sie innen oft wie ein – nicht unbedingt geschmackv­oll zusammenge­stellter – Showroom eines Möbelhause­s wirken. Die Fortsetzun­g findet diese Status-perfor- mance häufig in pompösen Hochzeiten, bei denen das ganze Dorf vorgeführt bekommt, wie erfolgreic­h der Sohn oder die Tochter ist.

„Schöne neue Welt“besteht aus unzähligen Fotografie­n, die, zusammen mit handlichen Statussymb­olen, zu schwebende­n Häusern arrangiert sind. Neben den überdimens­ionierten Wolkenkuck­ucksheimen zeigt sie aber auch die andere, dunkle Seite des Themas: Bauruinen, deren Zahl seit der jüngsten Weltwirtsc­haftskrise zugenommen hat, die Lebensbedi­ngungen der Arbeitsmig­ranten im Westen, die hunderttau­senden zurückgebl­iebenen „Euro-waisen“, die ohne Eltern aufwachsen müssen und dafür mit mitgebrach­ten westlichen Konsumgüte­rn entschädig­t werden.

Interessan­t an der Ausstellun­g, mit der das Museum einen Beitrag zum Internatio­nalen Donaufest Ulm/neu-ulm (6. bis 15. Juli) leistet, ist der Vergleich mit Serbien und Kroatien. Auch dort bauten – eine Generation früher – die Gastarbeit­er Häuser, die im Schnitt etwas weniger angeberisc­h wirken als die Märchensch­lösser in der rumänische­n Provinz. Doch auch sie stehen heute oft leer. Zwar kehrten einige Gastarbeit­er zurück, doch wenige fanden in der struktursc­hwachen Heimat ihr Glück. Ihre Kinder und Enkel fühlen sich längst in Ländern wie Deutschlan­d und Österreich zu Hause – und spüren nicht den Drang, sich auf dem Balkan einen Palast zu errichten.

„Schöne neue Welt“läuft bis 28. Oktober. Der englischsp­rachige Katalog „Brave New World. Romanian Mi grants Dream’ Houses“ist für 39,99 Euro im Buchhandel erhältlich.

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Viele Arbeitsmig­ranten bauen sich in der Heimat große und prachtvoll­e Häuser – ob in Rumänien (Bild oben rechts und unten links) oder in Serbien (Bild oben links). Doch manchmal platzen die Träume.
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Das Beste von hier. Für Sie.

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