Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Peter Albustin bringt seit 50 Jahren die Post
Porträt Peter Albustin trägt schon sein Leben lang jeden Tag Briefe aus. Die Maxstraße und der Rathausplatz zählen unter anderem zu seinem Revier. Dem 65-Jährigen wird seine Arbeit nie langweilig. Dafür erlebt er zu viel
Peter Albustin schiebt jeden Tag viele Dinge vor sich her: persönliche Briefe, Postkarten aus dem Urlaub, vor allem aber Rechnungen und wichtige Einschreiben. Seit mehr als 50 Jahren läuft der Postbote mit seinem knallgelben Zustellwagen durch Augsburg und verteilt Briefsendungen. Er erlebte schon viel. Seine liebste Zustelladresse ist ein Eckhaus am Rathausplatz.
Der Mann mit dem grauen Schnurrbart und dem gelben Zustellkarren hat in der Innenstadt schon viele Menschen kommen und gehen sehen. Albustin selbst ist aus der Maximilianstraße nicht wegzudenken. Er verkörpert eine Art Konstante im trubeligen Alltag auf Augsburgs Prachtstraße. Die Menschen hier kennen ihn. Knapp über 50 Jahre liegt Albustins Ausbildung bei der Deutschen Post zurück. Zunächst trug er in einem Randbezirk aus. Seit 43 Jahren aber sind die Maximilianstraße und ihr Umfeld das Revier des gebürtigen Augsburgers, der in der Firnhaberau aufwuchs. Er klappert die Maxstraße ab, aber auch die etlichen Seitenstraßen und Gassen sowie den Rathausplatz. Die Gangfolge darf der Postbote nicht einfach nach Lust und Laune ändern. „Das müsste ich vorher melden.“Ob ihm nach so vielen Jahren mit der immer selben Strecke nicht langweilig wird?
Albustin überlegt. Nein, sagt er dann. Er mag Augsburg und er mag vor allem die Maxstraße, auf der er viele ihm bekannte Menschen treffe. „Zeit für ein kurzes Gespräch ist immer. Hauptsache, ich erledige meine Arbeit rechtzeitig.“Und dann sind da diese Geschichten, die zwischendurch passieren. Etwa, als er an einem Briefkasten auf eine ältere Bewohnerin traf. Die alleinstehende Seniorin sagte ihm, sie habe derartige Briefe schon öfters erhalten, wisse damit aber nichts anzufangen. Albustin ließ sich die Post von der alten Dame zeigen. „Das waren Gerichtsbriefe. Da ging es um eine Räumungsklage, aber die Frau hatte das nicht verstanden“, erzählt er. Der Postbote informierte sofort den Mieterverein. „Der kümmerte sich dann um die Frau.“Er erinnert sich auch an die Kneipe „Zur Brezn“, die es heute noch in der Nähe des Königsplatzes gibt.
Vor circa 30 Jahren hätten sich in der Brezn einige Menschen ohne festen Wohnsitz regelmäßig getroffen, berichtet er. Sie benutzten das Lokal als Postadresse. Albustin trug dorthin etwa Sendungen mit Wohngeld aus. „Es lief alles im Guten.“Aber den Namen „der Postbote von der Brezn“habe er damals schnell weggehabt. Neulich habe er in der Wintergasse eine nette Entdeckung gemacht, sagt der Postbote und zeigt Bilder auf seinem Smartphone. Auf einem ist ein Schild an einem Haus zu sehen. „Liebe Besucher und Bewohner, zur Zeit brütet eine Amsel in einem der Fahrradkörbe. Bitte seid ein bisschen leise,“steht darauf. Als Albustin einige Tage später dort wieder vorbeikam, las er nun: „Vorsicht bitte, Amselküken hüpfen im Hof herum, danke.“Über so etwas kann sich Albustin freuen. Er ist Zeuge des pulsierenden Lebens in der Innenstadt, be- kommt viel mit. Einmal stand er selbst unfreiwillig im Mittelpunkt.
An dem Tag hatte Albustin, der morgens um 5.15 seine Arbeit im Zustellstützpunkt in der Holzbachstraße beginnt und gegen 10.30 Uhr
Unfreiwillig im Zentrum des Geschehens
mit seinem Karren in die Innenstadt ausrückt, seine Arbeit beendet. Zusammen mit seiner Frau ging er eine Kleinigkeit in der Stadt essen und verlor sein gelbes Wägelchen dabei aus dem Blickfeld. Als er zurückkam, war es verschwunden. Wie sich herausstellte, hatten Kunden in der Zwischenzeit die Polizei geholt. „Sie machten sich Sorgen, dass mir etwas passiert sein könnte“, schildert Albustin den Vorfall.
Die Polizei hatte seinen Zustellungskarren allerdings mitgenommen. Albustin ging aufs Revier. Dort sagte er den Beamten, sein Wagen müsse bei ihnen sein. „Welches Kennzeichen hat er denn?“, wollte ein Polizist wissen. „Nein“, sagte Albustin. „Kein Auto. Ich meine doch meinen Zustellungskarren.“Seitdem habe er ihn nie wieder aus den Augen gelassen.
Wie viel Post er in seinem Leben schon zugestellt hat, kann er nicht sagen. Er weiß aber, dass es in der Innenstadt weniger Briefkästen gibt als etwa in der Firnhaberau, wo einige Hochhäuser stehen. Dennoch erhielten die einzelnen Adressaten im Zentrum mehr Post als andere, weil es sich oft um Arztpraxen und Büros handele. Mit dem Fahrrad ist Albustin nie unterwegs. „Das Laufen ist in der Innenstadt praktischer.“Am Tag lege er zu Fuß schon zwölf Kilometer zurück, sagt er. Das weiß der 65-Jährige genau. Schließlich schaut er auf den Schrittzähler seines Handys.
„In zwei Jahren laufe ich drei Paar Schuhe durch.“Der Verschleiß wird sich ab Ende des Jahres wohl reduzieren. Denn an Silvester ist Albustins letzter Arbeitstag. Dann geht er in Rente. So ganz vorstellen kann er sich das noch nicht. Ach ja, warum seine liebste Zustelladresse das Eckhaus am Rathausplatz ist?
Albustins Erklärung ist einfach: „Es ist jeden Tag das letzte Haus auf meiner Tour.“