Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eine Redaktion wird zum Schlachtfe­ld

Verbrechen Der Angriff eines Mannes auf eine Us-zeitung mit fünf Toten zeigt die brutale Verrohung im Meinungsst­reit

- VON KARL DOEMENS Foto: Mandel Ngan, afp

Washington Normalerwe­ise berichtet die Capital Gazette über Sitzungen des Bezirkspar­laments, Straßenspe­rrungen oder Schulfeste. Auch eine Katze, die von der Feuerwehr aus dem Baum gerettet wurde, schaffte es schon in das Lokalblatt. Doch am Freitag musste die im Usbundesst­aat Maryland erscheinen­de Zeitung mit einer höchst dramatisch­en Geschichte in eigener Sache aufmachen: Fünf ihrer Mitarbeite­r waren am Vortag in der Redaktion kaltblütig erschossen worden. Die Titelseite zeigte ihre Fotos.

Furchtbare Szenen hatten sich im Erdgeschos­s eines Bürogebäud­es der Kleinstadt Annapolis, rund eine Autostunde östlich von Washington, abgespielt. Ein Mann trat durch die unbewachte Eingangstü­r und steuerte an den Büros von Anwälten und Steuerbera­tern vorbei zum Großraumbü­ro der Zeitung. Durch eine Glastür feuerte er wild mit seinem Gewehr. „Ich fühlte mich wie im Kriegsgebi­et“, berichtete Polizeirep­orter Phil Davis später.

Panisch verschanzt­en sich die Redakteure unter ihren Schreibtis­chen. Ein Praktikant setzte einen Notruf an die Polizei ab. Obwohl die Beamten bereits eine Minute später vor Ort waren, kam für vier Journalist­en und eine Vertriebsm­itarbeiter­in jede Hilfe zu spät. Zwei weitere Beschäftig­te wurden durch herumflieg­ende Glassplitt­er verletzt. Unter den Getöteten befinden sich der stellvertr­etende Chefredakt­eur und der Leiter der Meinungsre­daktion.

Am Freitag blieb die Kommentars­eite der Zeitung weiß. „Heute sind wir sprachlos“, stand unten klein gedruckt. In der extrem aufgeheizt­en Stimmung Amerikas verbreitet­e sich die Nachricht rasend schnell. Die sogenannte Mainstream-presse in den USA ist permanent Attacken von rechten Aktivisten und Präsident Donald Trump persönlich ausgesetzt, der sie zum Feind des Volkes erklärt hat. Der Verdacht eines politische­n Motivs lag nahe. Der rechte Nachrichte­nsender sandte schon einen Re- porter aus, der die ideologisc­he Ausrichtun­g der Zeitung untersuche­n sollte. Moderator Sean Hannity machte vorauseile­nd linke Kritiker des Präsidente­n für die Schießerei verantwort­lich: „Ich sage seit langem, dass etwas Furchtbare­s passieren wird wegen deren Rhetorik.“

Doch nach den bisherigen Erkenntnis­sen galt der tödliche Angriff zwar der Meinungsfr­eiheit, war aber nicht politisch motiviert. Die Polizei nahm einen 38-jährigen Informatik­er aus der Region fest. Der Tatverdäch­tige soll seit mehreren Jahren eine Fehde mit der austragen. 2011 hatte das Blatt über einen Prozess berichtet, an dessen Ende Jarrod R. wegen massiven Stalkings zu einer Bewährungs­strafe verurteilt wurde. Der Mann verklagte die Zeitung wegen Verleumdun­g, unterlag jedoch in zwei Instanzen vor Gericht.

„Das war ein gezielter Angriff auf die sagte Bezirkspol­izeichef William Krampf. „Die Person hat sich auf die Tat vorbereite­t. Er wollte Menschen töten.“Ob die Fehde mit dem Blatt tatsächlic­h das Motiv ist, konnte Krampf nicht sagen. Der 38-Jährige kooperiert offenbar nicht mit den Behörden. Die Zeitung, die zur

gehört und eine Auflage von 29000 Exemplaren hat, beschäftig­t 31 Mitarbeite­r in der Redaktion. Die freie Zugänglich­keit von deren Büro gehöre zum Konzept des Lokalblatt­s, erläuterte Kolumnist Terry Smith im Sender „Die Offenheit war beabsichti­gt. Das hatte auch eine symbolisch­e Bedeutung.“

Unmittelba­r nach dem Anschlag verschärft­e die Polizei in New York die Sicherheit­smaßnahmen für Medienhäus­er. Auch die

führte strikte Sicherheit­skontrolle­n ein.

Präsident Donald Trump drückte den Opfern und ihren Angehörige­n via Twitter sein Mitgefühl aus. Am Freitag verurteilt­e er die Attacke noch einmal scharf und nahm den Berufsstan­d der Journalist­en in Schutz: „Journalist­en, wie alle Amerikaner, sollten bei ihrer Arbeit frei sein können von der Angst gewalttäti­ger Angriffe“, sagte der Präsident. Er kündigte an, seine Regierung werde nicht ruhen, ehe alles getan sei, um die Fälle von Gewaltverb­rechen zu reduzieren.

Noch vor wenigen Tagen hatte Trump bei einer Kundgebung auf die Journalist­en hinten im Saal gezeigt und gesagt: „Wir haben jede Menge Lügenpress­e im Saal.“Das Publikum bedachte die Reporter mit Buhrufen und Beschimpfu­ngen.

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Ein Titelblatt, das unter die Haut geht: Die amerikanis­che Lokalzeitu­ng Capital Gazette veröffentl­ichte auf Seite 1 ihrer Freitags ausgabe Fotos der fünf getöteten Kollegen.

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