Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Zwischen Patientenwohl und ökonomischen Notwendigkeiten
Patienten wünschen sich, dass ihr Wohl bei der medizinischen Versorgung an oberster Stelle steht. So einfach liegen die Dinge jedoch nicht, da niedergelassene Ärzte und andere Heilberufler systembedingt auch wie Kaufleute agieren und legitimerweise Erwerbsinteressen verfolgen. Diese ökonomische Seite der Gesundheitsversorgung ist nicht neu: Der Versorgungsgedanke steht sogar an der Spitze des Hippokratischen Eides. Die Ökonomie hat aber in den letzten beiden Jahrzehnten eine viel größere Bedeutung erlangt, weil die Gesundheitspolitik in großem Umfang wirtschaftliche Anreize schafft, um das ärztliche Handeln und das Gesamtsystem zu steuern und die Kosten des Gesundheitswesens in einer alternden Gesellschaft unter Kontrolle zu halten. Im Spannungsfeld von Patientenwohl und ökonomischen Notwendigkeiten kommt dem Medizinund Gesundheitsrecht die Aufgabe zu, die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Verfolgung wirtschaftlicher Interessen zu markieren. Häufig stellt sich in Grenzfällen die Frage, ob eine Kooperation oder das Ausnutzen wirtschaftlicher Anreize strafbar ist. Solche Fälle haben in den letzten Jahren immer wieder mediale Aufmerksamkeit erlangt. Dabei stand lange der sogenannte Abrechnungsbetrug im Vordergrund, bei dem Leistungserbringer Privatpatienten oder den Kassen Leistungen in Rechnungen stellen, die sie nicht in der rechtlich vorgeschriebenen Weise erbracht haben. Zudem hat der Gesetzgeber vor zwei Jahren mit der Einführung der Vorschriften gegen Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen die Spielregeln auf dem Gesundheitsmarkt verschärft. Dies hat zu einem Selbstreinigungsprozess geführt, weil viele Ärzte, Krankenhäuser und Medizinproduktehersteller ihre Vertragsbeziehungen auf die Vereinbarkeit mit dem geltenden Recht überprüft und nötigenfalls angepasst haben. Das sogenannte Medizinwirtschaftsstrafrecht ist nicht nur von großer praktischer Relevanz, sondern stellt auch ein reizvolles Forschungsfeld dar, weil es sich durch „Multinormativität“auszeichnet, das heißt berufs-, gesundheits-, gesellschaftsund strafrechtliche Vorschriften miteinander verzahnt des und Bezüge zu ethischen Normen sowie dem Verfassungsund Europarecht aufweist. Gleichermaßen interessant wie anspruchsvoll ist auch die Aufgabe, die allgemeine Dogmatik des Strafrechts auf die Querschnittsmaterie „Medizinstrafrecht“zu übertragen, Diskrepanzen zu erkennen und diesen, wo möglich, abzuhelfen. Auf beiden Aufgabenfeldern steht die Forschung erst am Anfang.